Ende Juli geschickt hatten. Was wurden sie sagen, wenn er ihnen schriebe und von seiner schmerzenden Narbe berichtete?

Schon hallte Hermine Grangers Stimme in seinem Kopf wider, schrill und voller Panik:

»Deine Narbe tut weh? Harry, damit ist nicht zu spa?en… Schreib an Professor Dumbledore! Und ich werd auf der Stelle in ›Magische Hauskrankheiten und Gebrechen‹ nachsehen… Vielleicht steht da was uber Fluchnarben drin…«

Ja, das wurde Hermine raten: Geh sofort zum Schulleiter von Hogwarts und schlag vorher am besten noch in einem Buch nach. Harry blickte durch das Fenster auf den mit konigsblauen Schleiern uberzogenen Morgenhimmel. Er hatte gro?e Zweifel, ob ein Buch ihm jetzt helfen wurde. Soweit er wu?te, war er der einzige Mensch, der einen Fluch wie den Voldemorts uberlebt hatte; deshalb war es hochst unwahrscheinlich, da? er seine Leiden in Magische Hauskrankheiten und Gebrechen wiederfinden wurde. Und was den Schulleiter anging, so hatte Harry keine Ahnung, wo Dumbledore in den Sommerferien hinfuhr. Einen Moment lang belustigte ihn die Vorstellung, da? Dumbledore mit seinem langen Silberbart, dem langen Zaubererumhang und dem Spitzhut irgendwo an einem Strand lag und sich Sonnenol auf die lange Adlernase rieb. Allerdings, wo immer Dumbledore auch war, Hedwig wurde ihn sicher finden; Harrys Eule hatte es bisher noch immer geschafft, ihre Briefe zu uberbringen, sogar ohne Adresse. Doch was sollte er schreiben?

Lieber Professor Dumbledore, Verzeihung, da? ich Sie belastige, doch heute Morgen hat meine Narbe wehgetan. Mit freundlichen Gru?en, Harry Potter

Selbst in seinem Kopf klangen diese Worte albern.

So versuchte er sich vorzustellen, was Ron, sein anderer bester Freund, sagen wurde, und schon tauchte vor Harrys Augen Rons lange Nase und sein sommersprossiges Gesicht mit nachdenklicher Miene auf.

»Deine Narbe tut weh? Aber… aber Du-wei?t-schon-wer kann doch gar nicht in deiner Nahe sein, oder? Im Ernst… das wurdest du doch merken? Er wurde wieder versuchen dich zu erledigen, meinst du nicht? Ich wei? nicht, Harry, vielleicht zwicken Fluchnarben immer ein wenig… ich frag mal Dad…«

Mr Weasley war ein voll ausgebildeter Zauberer, der in der Abteilung gegen den Mi?brauch von Muggelartefakten im Zaubereiministerium arbeitete, doch soviel Harry wu?te, war er in Sachen Fluche nicht einschlagig bewandert. Jedenfalls behagte Harry die Vorstellung nicht, die ganze Familie Weasley wurde erfahren, da? er, Harry, schon wegen ein paar Wehwehchen nervos wurde. Mrs Weasley wurde einen noch gro?eren Aufstand machen als Hermine, und Fred und George, Rons sechzehnjahrige Zwillingsbruder, dachten womoglich noch, Harry wurde die Nerven verlieren. Die Weasleys waren fur Harry die tollste Familie der Welt; er hatte die Hoffnung, da? sie ihn schon bald zu sich einluden (Ron hatte etwas von der Quidditch-Weltmeister-schaft erwahnt), und irgendwie wollte er nicht, da? sein Aufenthalt mit besorgten Nachfragen zu seiner Narbe gestort wurde.

Harry massierte seine Stirn mit den Handknocheln. Was er wirklich wollte (und er schamte sich beinahe, es sich selbst einzugestehen), war so etwas wie eine Mutter oder einen Vater: ein erwachsener Zauberer, dessen Rat er erfragen konnte, ohne sich blod vorzukommen, jemand, der ihn gern hatte und der Erfahrung hatte mit schwarzer Magie… Und dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Es war so einfach und so offensichtlich, da? er kaum fassen konnte, wie lange er gebraucht hatte – Sirius.

Harry sprang vom Bett, sturzte durchs Zimmer und setzte sich an seinen Schreibtisch; er zog ein Blatt Pergament zu sich her, fullte seine Adlerfeder mit Tinte und schrieb: Lieber Sirius, hielt inne und uberlegte, wie er sein Problem am besten ausdrucken konnte. Warum, so wunderte er sich immer noch, hatte er nicht sofort an Sirius gedacht? Doch wenn er genauer uberlegte, war es vielleicht gar nicht so merkwurdig – schlie?lich hatte er erst vor zwei Monaten herausgefunden, da? Sirius sein Pate war.

Es gab einen einfachen Grund, warum Sirius bis dahin in Harrys Leben uberhaupt nicht aufgetaucht war – Sirius hatte in Askaban gesteckt, dem schrecklichen Zauberergefangnis, das von Dementoren genannten Wesen bewacht wurde, blinden, Seelen saugenden Finsterlingen, die dann nach Hogwarts gekommen waren, um den entflohenen Sirius zu suchen. Doch Sirius war unschuldig – die Morde, fur die er verurteilt worden war, hatte Wurmschwanz begangen, Voldemorts Helfer, den jetzt fast alle fur tot hielten. Harry, Ron und Hermine wu?ten es jedoch besser; letztes Jahr waren sie Wurmschwanz von Angesicht zu Angesicht begegnet, doch nur Professor Dumbledore hatte ihnen diese Geschichte abgenommen.

Eine wunderbare Stunde lang hatte Harry geglaubt, endlich die Dursleys verlassen zu konnen, denn Sirius hatte ihm ein Zuhause angeboten, sobald sein Name rein gewaschen war. Doch diese Chance war ihm wieder geraubt worden – Wurmschwanz war entkommen, bevor sie ihn zum Zaubereiministerium hatten bringen konnen, und Sirius mu?te fliehen, um sein Leben zu retten. Harry hatte ihm geholfen, auf dem Rucken eines Hippogreifs namens Seidenschnabel zu entkommen, und seither war Sirius auf der Flucht. Der Gedanke an ein Zuhause, das Harry vielleicht gewonnen hatte, wenn Wurmschwanz nicht entkommen ware, hatte ihn den ganzen Sommer uber nicht losgelassen. Mit der Vorstellung im Kopf, den Dursleys um ein Haar fur immer entkommen zu sein, war es Harry besonders schwer gefallen, zu ihnen zuruckzukehren.

Und doch hatte Sirius Harry in manchem geholfen, auch wenn er nicht bei ihm sein konnte. Dank Sirius hatte Harry jetzt all seine Schulsachen bei sich im Zimmer. Die Dursleys hatten ihm das noch nie zuvor erlaubt; sie hatten immer gewollt, da? es Harry so elend wie moglich ginge, und zugleich Angst vor seinen Fahigkeiten gehabt, deshalb hatten sie seinen Schulkoffer bisher im Schrank unter der Treppe eingeschlossen. Doch ihre Haltung hatte sich geandert, als sie herausgefunden hatten, da? Harrys Pate ein gefahrlicher Morder war – Harry hatte bequemerweise vergessen ihnen zu sagen, da? Sirius unschuldig war.

Harry hatte zwei Briefe von Sirius erhalten, seit er wieder im Ligusterweg wohnte. Nicht Eulen hatten sie uberbracht (wie es unter Zauberern ublich war), sondern gro?e, hellbunte tropische Vogel. Hedwig hatte diese glamoureusen Eindringlinge gar nicht gemocht; nur au?erst widerwillig erlaubte sie ihnen, aus ihrem Wassernapf zu trinken, bevor sie wieder davonflogen. Harry jedoch mochte die Vogel; sie erinnerten ihn an Palmen und wei?en Sand, und er hoffte, Sirius, wo immer er war (was er in seinen Briefen nie verriet, falls sie abgefangen wurden), wurde es sich gut gehen lassen. Harry konnte es sich kaum vorstellen, da? die Dementoren unter der strahlenden Sonne lange uberleben wurden; vielleicht war Sirius deshalb nach Suden gegangen. Seine beiden Briefe, unter dem au?erst nutzlichen losen Dielenbrett unter Harrys Bett versteckt, klangen recht frohlich, und er hatte Harry jedes Mal aufgefordert, ihm zu schreiben, falls er ihn brauchen sollte. Nun, jetzt brauchte er ihn wirklich…

Das kalte graue Licht, das den Sonnenaufgang ankundigte, drang allmahlich ins Zimmer und Harrys Lampe schien zu verblassen. Schlie?lich, als die Sonne aufgegangen war und die Wande seines Zimmers in Gold getaucht hatte, als Gerausche aus Onkel Vernons und Tante Petunias Zimmer zu horen waren, raumte Harry die zerknitterten Pergamente von seinem Schreibtisch und las den fertigen Brief noch einmal durch.

Lieber Sirius,

danke fur deinen letzten Brief, dieser Vogel war so riesig, da? er es kaum durch mein Fenster geschafft hat.

Hier geht es zu wie immer. Mit Dudleys Diat lauft es nicht besonders gut. Meine Tante hat ihn gestern erwischt, wie er Doughnuts in sein Zimmer schmuggelte. Sie haben gedroht, ihm das Taschengeld zu kurzen, wenn er das noch mal macht, und daraufhin ist er furchtbar wutend geworden und hat seine PlayStation aus dem Fenster geworfen. Das ist eine Art Computer, auf dem man spielen kann. Ziemlich dumm von ihm, wenn du mich fragst, denn jetzt hat er nicht mal Giga-Gemetzel Teil III, um sich abzulenken. Mir geht's ganz gut, vor allem weil die Dursleys schreckliche Angst haben, du konntest hier auftauchen und, wenn ich dich darum bitte, sie alle in Fledermause verwandeln.

Aber heute Morgen ist etwas Merkwurdiges passiert. Meine Narbe hat wieder wehgetan. Das letzte Mal hat sie geschmerzt, weil Voldemort in Hogwarts war. Aber ich glaube nicht, da? er irgendwo in meiner Nahe sein kann, oder? Wei?t du, ob Fluchnarben manchmal noch nach Jahren wehtun?

Ich schick dir diesen Brief mit Hedwig, sobald sie zuruckkommt, im Augenblick ist sie jagen. Gru? Seidenschnabel von mir. Harry

Ja, dachte Harry, das kann ich so lassen. Von seinem Traum wollte er lieber nichts erwahnen, sonst dachte Sirius womoglich noch, er sei mit den Nerven vollig am Ende. Er faltete das Pergament zusammen und legte den Brief an den Tischrand, bereit fur Hedwig, wenn sie zuruckkam. Dann stand er auf, streckte sich und offnete noch einmal den Schrank. Ohne einen Blick auf sein Spiegelbild zu werfen, zog er sich an und ging hinunter zum Fruhstuck.

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