POKERRUNDEN

KAPITEL 1

Die Bastarde arbeiteten mal wieder schlampig, und Azzie hatte es sich doch gerade bequem gemacht. Er hatte eine Position genau in der richtigen Entfernung zu dem feurigen Loch in der Mitte der Grube und den mit Rauhreif uberzogenen Eisenwanden gefunden, die sie ringformig umschlossen.

Die Wande wurden von der teufelseigenen Klimaanlage nahe dem absoluten Nullpunkt gehalten, wahrend es in der Mitte der Grube hei? genug war, um Atome ihrer Elektronen zu berauben, und ab und zu kam es zu einem Hitzeschwall, der Protonen hatte schmelzen konnen.

Nicht, da? eine derartige Hitze oder Kalte uberhaupt erforderlich gewesen ware. Es war Overkill oder – zutreffender ausgedruckt – Uberfolter. Nach kosmischen Ma?staben besitzen Menschen – selbst wenn sie tot sind und in die Grube geworfen werden – nur eine au?erst geringe Toleranzbreite, was Temperaturen betrifft. Sobald sie die Ertraglichkeitszone in der einen oder anderen Richtung uberschreiten, sind sie nicht mehr in der Lage, zwischen schrecklich und grauenhaft zu unterscheiden. Welchen Sinn macht es schon, so einen jammerlichen Wurm einer Million Grad Celsius auszusetzen, wenn ihm lacherliche funfhundert Grad die gleichen Schmerzen verursachen? Unter diesen Extremtemperaturen hatten nur die Damonen und die anderen ubernaturlichen Kreaturen zu leiden, die sich um die Verdammten kummerten. Ubernaturliche Wesen besitzen eine weitaus umfangreichere Gefuhlsskala als Menschen, was fur sie meistens zu gro?em Unbehagen fuhrt. Manchmal auch zu exquisiter Lust, aber es ist unziemlich, in der Grube von Lust zu sprechen.

Naturlich gibt es in der Holle mehr als nur eine Grube. Millionen und Abermillionen Menschen sind tot, und taglich kommen mehr dazu. Die meisten von ihnen mussen zumindest eine Weile in den Gruben verbringen. Es liegt auf der Hand, da? gewisse organisatorische Ma?nahmen erforderlich sind, um sie alle unterbringen zu konnen.

Die Grube, in der Azzie Dienst tat, trug den Namen Nordpein 405. Sie gehorte zu den altesten ihrer Art und war schon in babylonischen Zeiten in Dienst gestellt worden, als die Menschen noch gewu?t hatten, wie man so richtig sundigt. Auf ihren Wanden waren noch immer die angerosteten Basreliefe geflugelter Lowen zu erkennen, und sie war im Hollenregister fur Historisch Wertvolle Bauwerke verzeichnet. Aber es erfullte Azzie nicht mit Stolz, in einer beruhmten Grube Dienst zu tun. Er wollte nur herauskommen.

Wie alle Gruben bestand auch Nordpein 405 aus ringformigen Eisenmauern, die eine gewaltige Mullkippe umschlossen. Ihr Zentrum bildete ein Loch, in dem ein au?erordentlich hei?es Feuer loderte, das gluhende Schlacke und brennende Lava ausspie. Das Glei?en war erbarmungslos grell. Nur Volldamonen wie Azzie war es gestattet, eine Sonnenbrille zu tragen.

Die Qualen der Verdammten wurden von einer Gerauschkulisse begleitet und verstarkt, die man mit etwas Wohlwollen als Musik bezeichnen konnte. Hilfsteufel hatten inmitten eines verfilzten Gewirrs aus verfaulendem und verrottendem Unrat einen Halbkreis freigeraumt. Auf dieser freien Flache sa? auf Apfelsinenkisten ein Orchester, das aus vollig untalentierten Musikern bestand, die wahrend des Musizierens ums Leben gekommen waren. Hier in der Holle wurden sie gezwungen, die Werke der schlechtesten Komponisten zu spielen, die die Welt jemals gekannt hat. Auf der Erde sind ihre Namen langst in Vergessenheit geraten, in der Holle jedoch, wo ihre Kompositionen ohne Unterbrechung gespielt und sogar auf Radio Kazum ubertragen werden, sind sie beruhmt.

Nicht weit davon waren die Hilfsteufel damit beschaftigt, die Verdammten auf ihren Grillrosten zu wenden und zurechtzulegen. Wie die Guhls mochten sie ihre Menschen am liebsten gut verwest und in einer Marinade angerichtet, deren Zutaten aus Essig, Knoblauch, Anchovis und Madenso?e bestand.

Was Azzie aus seiner verdienten Ruhepause gerissen hatte, war die Tatsache, da? die Toten im Sektor direkt ihm gegenuber nur in Achter- oder Zehnerreihen aufgeschichtet worden waren. Er verlie? seine (relativ) gemutliche Ruhestatte und kraxelte einen Berg aus verrottenden Eierschalen, matschigen Eingeweiden und Huhnerkopfen hinab zum ebenen Boden, wo er bequem uber die Leichen hinwegtrampeln konnte.

»Als ich euch gesagt habe, ›stapelt sie hoch auf‹«, wandte er sich an die Hilfsteufel, »habe ich wirklich hoch gemeint.«

»Aber jedes Mal, wenn wir versuchen, sie noch hoher zu stapeln, kippen sie um!« protestierte der Vorarbeiter der Hilfsteufel.

»Dann besorgt irgend etwas, um sie abzustutzen! Ich mochte, da? diese Stapel mindestens zwanzig Reihen hoch sind!«

»Das durfte schwer werden, Herr.«

Azzie starrte ihn an. Ein Hilfsteufel wagte es, ihm zu widersprechen? »Tu es, oder du kannst ihnen Gesellschaft leisten«, knurrte er.

»Jawohl, Herr! Stutzmaterial kommt sofort, Herr!« Der Hilfsteufel rannte davon und rief seiner Arbeitsgruppe entsprechende Anweisungen zu.

Azzies Schicht hatte wie ein weiterer ganz normaler Tag in den Hollengruben begonnen. Aber das sollte sich schon kurz darauf radikal und unerwartet andern. So ist das nun mal mit Veranderungen. Wir gehen gebeugten Hauptes und trubsinnigen Blickes unserer gewohnten Wege, des bekannten Trottes uberdrussig und uberzeugt, da? es ewig so weitergehen wird. Warum sollte sich etwas andern, wenn keine Veranderung in Sicht ist, wenn uns kein Brief erreicht, keine Eilzustellung, nicht einmal ein Telefonanruf, der ein bedeutendes Ereignis ankundigt? Also resignieren wir, ohne auch nur zu ahnen, da? der Bote bereits unterwegs ist und sich Hoffnungen manchmal erfullen, selbst in der Holle. Man konnte sogar behaupten, da? sich Hoffnungen besonders in der Holle erfullen, da die Hoffnung an sich von einigen Theoretikern zu den grundlegenden diabolischen Qualen gerechnet wird. Dabei konnte es sich allerdings auch um eine Ubertreibung der Geistlichen handeln, die sich uber solche Dinge auslassen.

Azzie sah, da? die Hilfsteufel begannen, eine zufriedenstellende Arbeit zu leisten. Seine Tagesschicht wurde nur noch zweihundert Stunden dauern (die Tage in den Gruben sind lang). Dann wurde er seine drei Stunden Schlaf bekommen, bevor er zur nachsten Schicht antreten mu?te. Er wollte gerade zu seinem (relativ) gemutlichen Platz zuruckkehren, als sich ihm ein Bote im Laufschritt naherte.

»Sind Sie der fur diese Grube zustandige Damon?«

Bei dem Neuankommling handelte es sich um einen violettflugligen Efreet, einen aus der alten Bagdadclique, die jetzt hauptsachlich im Kurierdienst arbeiteten, da ihre lebhaften bunten Turbane es den Bosen Machten des Gehobenen Rates angetan hatten.

»Ich bin Azzie Elbub«, erwiderte der Damon. »Ja, ich leite diese spezielle Untergrube.«

»Dann sind Sie derjenige, den ich gesucht habe.« Der Efreet uberreichte Azzie ein in Feuerschrift verfa?tes Asbestdokument. Azzie streifte seine Handschuhe uber, bevor er es entgegennahm. Derartige Dokumente wurden nur vom Hohen Rat der Infernalischen Justiz benutzt.

Er las:

Hiermit sei allen Damonen kundgetan, da? ein Unrecht begangen wurde, dergestalt, da? ein Mensch vor seiner Zeit in die Grube gebracht wurde. Die Krafte des Lichtes haben bereits zu seinen Gunsten interveniert und daraufhingewiesen, da? ihm noch immer genug Zeit zum Bereuen bleiben wird, auch wenn er die ihm zustehende Zeit auf Erden durchlebt. Die Wettquoten, da? es dazu kommt, stehen zwar zweitausend zu eins, aber die Moglichkeit besteht, wenn auch nur mathematisch. Sie erhalten deshalb den Auftrag und den Befehl, diesen Mann aus der Grube zu holen, ihn zu saubern und zu seiner Frau und Familie zuruckzubringen, wo Sie bei ihm bleiben sollen, bis er sich ausreichend erholt hat, um seinen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten, da sonst wir fur die anfallenden Kosten aufkommen mu?ten. Danach werden Sie von dieser Aufgabe entbunden und wieder normale damonische Pflichten auf der Erde ubernehmen.

Hochachtungsvoll, Asmodeus, Leiter der Nordgrubensektion der Holle.

P.S. Der Name des Mannes lautet Thomas Scrivener.

Azzie war so begeistert, da? er den Efreet spontan umarmte. Der Bote wich hastig zuruck, ruckte seinen Turban zurecht und sagte: »Ganz ruhig, Kumpel.«

»Das war nur die Aufregung«, entschuldigte sich Azzie. »Endlich komme ich hier raus! Ich kehre auf die Erde zuruck!«

»Ein enttauschender Ort«, sagte der Efreet, »aber jedem das seine.«

Azzie eilte davon, um Thomas Scrivener zu suchen.

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