Fur eine Dryade, die mich einen Winter lang in ihr Zauberreich entfuhrt hat.

1. KAPITEL

Der infernalische Larm des Festzuges ubertonte sogar das allgegenwartige Geschrei der Mowen, die, wie von einem Zauber angezogen, Tag und Nacht um den riesigen Tempel kreisten. Dabei hatte die Spitze der Kolonne noch nicht einmal das Gelande der kleinen Tempelstadt rund um das Artemision erreicht. Philippos blickte kurz an sich hinunter und zupfte einige Falten seiner Toga zurecht. Er war der einzige im Hofstaat des Ptolemaios, der das Ehrengewand eines romischen Burgers trug.

Wie die anderen Vertrauten des geflohenen Konigs hatte er sich auf den Stufen des Tempels eingefunden, um dem Festzug zu Ehren der Gottin Artemis beizuwohnen. Mit ihren fremdartig geschnittenen Leinengewandern und ihrem kostbaren Schmuck hatten die Agypter uberall in der zivilisierten Welt sicherlich Aufsehen erregt, doch hier, in Ephesos, war das nichts Besonderes. Zum Fest der Gottin hatten sich Gaste aus allen Teilen der Welt eingefunden. Makedonische Soldner mit kantigen Gesichtern, Parther in bunten Seidengewandern, die kostbarer als Gold waren, Kaufleute aus Tyros, denen die geolten und parfumierten Barte bis weit auf die Brust hinabreichten, blonde Galater mit beunruhigend blauen Augen, so wie man sie sonst nur bei den Barbaren aus Gallien und Germanien antraf, ja, sogar einige Romer in schlichten Togae waren Philippos in der Menge aufgefallen.

Ein paar Agypter, und sei es selbst der Hofstaat eines geflohenen Konigs, erregten in diesem Volkergemisch kein Aufsehen. Philippos stellte sich auf die Zehenspitzen, um besser den Beginn der Prozession sehen zu konnen, die keine hundert Schritt mehr entfernt war. Unmittelbar vor dem Arzt stand Potheinos, der erste Eunuch und engste Berater des Konigs.

Mit seinem schlanken, hageren Korper verstellte er ihm die Sicht. Wie die meisten Beamten des Hofes trug auch Potheinos eine Perucke aus schwarzem Pferdehaar, und Philippos konnte sehen, wie sich glanzender Schwei? in den Falten am Hals des Beschnittenen sammelte. Der Grieche grinste. Wahrscheinlich betete der Kerl gerade zu irgendeinem dieser tierkopfigen agyptischen Gotter um Hilfe, damit ihm der Schwei? nicht die Schminke verwischte. Daran, da? sich bei den Agyptern auch die Manner schminkten, wurde er sich niemals gewohnen.

Mit einem leichten Sto? in die Rippen ri? ihn die Isispriesterin neben ihm aus seinen Gedanken. Sie zeigte auf die Spitze der Prozession und versuchte, ihm etwas zu sagen. Philippos sah, wie sich ihre Lippen bewegten, doch in dem infernalischen Larm konnte er Samu nicht verstehen. Einen Moment lang verweilte sein Blick auf dem Antlitz der schonen Isispriesterin.

Auch sie war so stark geschminkt, da? ihr Gesicht nicht menschlich, sondern wie eine starre Maske aussah. Zwei breite, schwarze Striche rahmten ihre Augen und zogen sich bis zu ihren Schlafen. Die Augenlider hingegen hatte sie sich mit einer kornigen, blauen Paste bestrichen. Ihre Wangen waren mit rotem Ocker eingerieben, und ein noch tieferes Rot glanzte auf ihren Lippen. Philippos wu?te, da? sie mehr als eine Stunde brauchte, um diese Maske anzulegen und ihr Haar mit duftenden Olen zu behandeln. Der Erfolg dieser Strapaze war unbestreitbar. Samu wirkte zugleich anziehend und unnahbar, sinnlich und kalt. Da? sie obendrein auch noch intelligent war und die Schriften des Hippokrates mindestens ebenso gut kannte wie er selbst, lie? die Priesterin dem Arzt vollends unheimlich werden. Es gehorte sich einfach nicht, da? Frauen mehr wu?ten als Manner! Jedenfalls nicht in Bereichen wie Philosophie und Medizin.

Ein wenig murrisch wandte sich Philippos von ihr ab und betrachtete wieder die Prozession. Die erste Gruppe, das Priesterkollegium der Kureten, war schon fast an ihnen vorbeigezogen. Die Manner trugen tonerne Daimo-nenmasken und dunkle Gewander. Die meisten von ihnen waren mit Speeren und Schilden bewaffnet. Wie in Ekstase hieben sie mit den Waffen auf ihre bronzebeschlagenen Schmuckschilde. Andere schlugen Handtrommeln oder bliesen auf kunstvoll gewundenen Fanfaren. Mit ihrem Larmen hatten die Kureten, die in alten Legenden ein Geschlecht von Bergdaimonen waren, einst die zornige Hera von der Geburt der Artemis abgelenkt. Sie hatten ihr Schicksal mit der Gottin verbunden, und so war es noch heute, denn die Priester des Kuretenkollegiums hatten sich vollkommen den Priesterinnen der Artemis unterworfen. Noch vor Sonnenaufgang hatten sie an diesem Morgen mit ihrem Larmen den Festtag eroffnet. Es war der sechste Thargelion, der Geburtstag der Artemis, der heute in Ephesos gefeiert wurde, das bedeutendste Fest des Jahres. Ein Tag, an dem auch Dutzende von Hochzeiten begangen wurden, denn es hie?, da? jede Frau, die heute ihren Liebsten empfing, fruchtbar sein wurde.

Philippos lachelte versonnen. Vielleicht wurde auch er heute abend Gluck haben, wenn sich die Dammerung herabsenkte und das ausgelassene Treiben in den Stra?en der Stadt seinen Hohepunkt erreichte.

Hinter den Kureten folgte der schwergewichtige Mega- byzos, der Vorsteher des Tempels. Er trug ein langes, wei?es Gewand, dessen Saum fast bis auf den Boden reichte. Obwohl er mehr als zehn Schritt entfernt vorbeiging, konnte Philippos ihm doch ansehen, wie erschopft er war. Fast schien es, als halte er sich an der Kette aus dicken Bernsteinperlen fest, die er um seinen Hals geschlungen hatte, und kaum konnte er seinen mit einer hohen Tiara geschmuckten Kopf aufrecht halten. Doch statt weiter uber den Zustand des dicken Megabyzos nachzugrubeln, den die Prozession offenbar an die Grenzen seiner Kraft gefuhrt hatte, musterte der Arzt jetzt lieber die Jungfrauen des Artemisions, die dem Tempelvorsteher folgten. Ein leiser Seufzer entfuhr Philippos. Es war, als hatten Nymphen und Nereiden sich zu einem Festzug vereint. Die Priesterinnen trugen allesamt kurze, strahlend wei?e Gewander, die ahnlich wie der Chiton ihrer Herrin geschnitten waren. Ja, sie schienen wahrhaft Abbilder der Artemis zu sein, der ebenso schonen wie unnahbaren Gottin der Geburt und der Jagd. Kaum verhullte der dunne Stoff ihre schlanken, jugendlichen Korper. Manche der Priesterinnen trugen Bronzehelme mit schwarzen Pferdeschweifen und zeigten, begleitet von Flotenspiel, ausgelassene Waffentanze, eine Anspielung auf das kriegerische Volk der Amazonen, das einst in Ephesos den ersten Tempel der Gottin errichtete.

Was konnte schoner sein, als eines dieser wunderbaren Geschopfe in den Kunsten der Aphrodite zu unterweisen, dachte Philippos. Hirngespinste! Nervos leckte sich der Grieche uber die trockenen Lippen. Die Priesterinnen der Artemis waren den Ephesern genauso heilig wie den Romern die Vestalinnen. Wer ihnen auf unkeusche Weise nahe kam, der hatte sein Leben verwirkt. Womoglich wurde sogar die Gottin selbst den Frevel strafen und einen ihrer todbringenden Pfeile vom Himmel hinabschie?en. Ja, vielleicht empfand sie sogar seine Gedanken schon als Beleidigung. Artemis galt als sehr launisch ... Philippos blickte zum strahlend blauen Himmel. Nicht eine Wolke zeigte sich, und es gab auch sonst keine beunruhigenden Zeichen.

Erleichtert wandte der Grieche sich wieder dem Festzug zu.

Was verschwendete er seine Gedanken an die unerreichbaren Priesterinnen! Es gab auch genug hubsche Flotenspielerinnen und Tanzerinnen in der Stadt. Mit dem Gold, das er von Ptolemaios fur seine Dienste erhielt, konnte er sich jedes Vergnugen kaufen! Allein ein Monat als Leibarzt des Konigs brachte ihm mehr ein als ein ganzes Jahr in der Legion. Wenn er sich noch ein paar Jahre bei Hof halten konnte, dann hatte er ein Vermogen verdient und konnte als reicher Mann nach Athen zuruckkehren.

Wie aus einem Munde erhob sich ringsherum Jubelgeschrei, und hundertfach wurde der Name der Gottin gepriesen. Das holzerne Podest, auf dem die heilige Statue der Artemis getragen wurde, war in Sicht gekommen. Es war mit Blumen und Fruchten geschmuckt; kleine Tonfiguren, die Tiere zeigten, standen zu Fu?en der Gottin, und sogar ein Schiff mit silbernen Segeln war ihr als Weihgabe dargebracht worden. Das menschengro?e Holzbild, das zahllose Generationen von Priesterinnen mit heiligen Olen gesalbt hatten, war uber die Jahrhunderte schwarz wie die Nacht geworden. Die Epheser behaupteten, das Gotterbild aus Rebenholz sei vor Aonen aus dem Himmel gesturzt, und es sei alter als ihre Stadt. Schon zu Zeiten des Konigs Kroisos hatte es keinen Menschen mehr gegeben, der zu sagen wu?te, wie alt die Statue sei. Das Gesicht der Artemisstatue wirkte kalt und abweisend, doch hielt die Gottin ihre Arme wie zum Willkommensgru? geoffnet. Vor dem von zwolf Mannern getragenen Podest schritten die

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