Diese Hexe! Fassungslos starrte der Grieche der Priesterin hinterher. Er hatte schon vor einem halben Jahr in Rom zu einer etruskischen Striga gehen sollen, um sie verfluchen zu lassen.

Mit diesem Weib wurde es niemals Frieden in seinem Leben geben! Vielleicht sollte er das morgen nachholen. Au?erhalb des Tempelgelandes gab es eine kleine Zeltstadt, in der Propheten, Hexen und Magier ihre Dienste anboten. Es wurde nicht schwer sein, dort jemanden zu finden, der die Priesterin fur ein paar Goldstucke mit einem machtvollen Fluch belegte!

Niedergeschlagen uberquerte Philippos den kleinen Hof und ging zu seinem Zimmer. Er war mude, und doch hatte er das Gefuhl, da? er keinen Schlaf finden wurde. Irgendwo in der Villa erklang melancholisches Flotenspiel. Auch der Konig war noch wach. 

2. KAPITEL

»Samu! Wach auf!« 

Mude blinzelte die Isispriesterin den Schlaf aus den Augen und drehte sich auf der schmalen Kline herum.

Neben ihr stand Kleopatra. Obwohl das graue Morgenlicht noch so schwach war, da? es kaum die Kammer zu erhellen vermochte, war die Prinzessin bereits vollstandig angekleidet und geschminkt, ganz so, als sei sie schon seit mindestens einer Stunde auf den Beinen.

»Endlich wirst du wach. Du schlafst wie ein Stein, alte Frau.«

Kleopatra lachte. »Sollst du nicht Isis jeden Morgen bei Sonnenaufgang mit einem Gebet begru?en?«

»Die Gottin wird es mir nachsehen, denn ich habe bis tief in die Nacht in ihrem Dienst gewacht.« Die Priesterin streckte sich und schlug die dunne Leinendecke zur Seite. »Was treibt dich kleine Furie eigentlich so fruh heraus. Hast du wieder einmal Liebeskummer?«

Die Prinzessin machte eine wegwerfende Geste. »Falls du auf Phrygius anspielst, das ist langst vorbei. Ich werde mich nie wieder in einen Sklaven verlieben. Richtige Manner sind wesentlich interessanter und . Doch darum geht es jetzt nicht. Du mu?t unbedingt mit mir zum Tempel hinuntergehen!«

Samu musterte die Prinzessin besorgt. Kleopatras Bemerkung uber richtige Manner gab ihr zu denken. Nicht, da? sie mit ihren vierzehn Jahren zu jung gewesen ware, das Lager mit einem Liebsten zu teilen, doch zweifelte die Priesterin daran, da? die Prinzessin schon wu?te, wie man sich vor den moglichen Konsequenzen eines solchen Abenteuers schutzen konnte. Sie sollte dringend mit Kleopatra uber die Wirkungen gewisser Krauter reden! »Was erwartet mich denn am Tempel? Ist dein neuer Liebster vielleicht ein Priester?«

»Unsinn!« Die Prinzessin schuttelte energisch den Kopf. »Ich habe die Sklaven heute morgen in der Kuche reden gehort. Irgend etwas Unheimliches mu? beim Tempel geschehen sein. Man sagt, da? Thanatos, der Todesgott, aus einem der Marmorfriese gestiegen sei und einen Mann enthauptet habe.«

Samu war mit einem Schlag hellwach. »Was fur einen Mann? Ist der Mord wirklich direkt vor dem Tempel geschehen?«

Kleopatra zuckte mit den Schultern. »Ich wei? es nicht. Die Sklaven haben nur behauptet, da? der Tote wie ein Agypter gekleidet sei. Hassen uns die Gotter dieser Stadt, Samu? Hat mein Vater ihnen ein Unrecht getan?«

Die Priesterin unterdruckte einen Fluch und schwang sich vollends von der Kline. Sie ha?te den Moment, an dem sie morgens ihre nackten Fu?e auf den kalten Steinboden aufsetzte.

Rasch schlupfte sie in ihr langes wei?es Priesterinnen-gewand, verknotete es kunstvoll vor der Brust und streifte dann ihre Sandalen uber.

»Wirst du mich mitnehmen?«

»Ich wei? nicht, ob ein toter Mann der rechte Anblick fur eine Prinzessin ist.«

»Aber mein Vater hat mir auch schon erlaubt, bei Hinrichtungen anwesend zu sein. Er meint, ich sollte den Anblick des Todes kennen, um auf den Tag vorbereitet zu sein, an dem ich einst als Herrscherin mein erstes Todesurteil falle.«

Samu nickte nachdenklich. Sie war unsicher, ob die Entscheidung Ptolemaios’ weise war oder ob er seiner Tochter so den Respekt vor einem Menschenleben genommen hatte. Doch jetzt war nicht die Zeit, um in philosophische Grubeleien zu versinken. »Du darfst mich begleiten, Prinzessin. Aber wenn ich dir sage, da? du zuruckgehen sollst, dann wirst du dich meinen Worten fugen und nicht lange mit mir uber meine Entscheidung diskutieren.«

»Versprochen!«

Vor dem Artemision hatte sich ein ganzer Pulk von Schaulustigen eingefunden, um die lebendig gewordene Statue zu bestaunen. Einige Priester und Tempelwachter versuchten, die Neugierigen zuruckzudrangen. Samu mu?te energisch darauf pochen, eine Gesandte im Auftrag des Ptolemaios zu sein, um mit Kleopatra uberhaupt bis zu den Stufen des Tempels vorgelassen zu werden. Vor dem Eingang zum Pronaos, der Vorhalle des Artemisions, erhoben sich drei Reihen riesiger Saulen, die uber ihren Sockeln jeweils mit mannshohen Reliefs geschmuckt waren. An der Saule links neben dem hohen Portal zur Tempelvorhalle, hatte sich eine kleine Gruppe von Mannern und Frauen um eine am Boden liegende Gestalt geschart.

Nach den Gewandern zu schlie?en, mu?te es sich bei dem Toten um Buphagos handeln. Doch wie, bei den Gottern, mochte er hierhergekommen sein?

Ein Mann in einem bunt bestickten Leinenpanzer loste sich aus der Gruppe und trat Samu in den Weg. »Seid Ihr im Auftrag Eures Konigs hier?«

Samu nickte zogerlich. »Sozusagen ...«

Der Fremde runzelte die Stirn. »Sozusagen?« Er mochte hochstens drei?ig Sommer alt sein. Sein Gesicht war wettergegerbt und wurde von einer gewaltigen Adlernase beherrscht. »Wie darf ich das verstehen?«

»Wer fragt mich das? Ich stehe unter dem Schutz des Tempels und bin allein der Hohepriesterin Rechenschaft schuldig.«

Der Mann trat einen Schritt zuruck und verbeugte sich mit ubertriebener Geste. »Verzeiht, wenn ich Eure Wurde verletzt haben sollte, agyptische Prinzessin.« Samu horte, wie Kleopatra hinter ihrem Rucken zu kichern begann. »Man nennt mich Orestes. Ich bin der Eirenarkes von Ephesos, der Beamte, der fur die Sicherheit der Stadt zustandig ist. Die Hohepriesterin hat mich hierhergebeten, damit ich mir den Toten ansehe. In der Stadt hat es bereits einiges Gerede wegen des Vorfalls wahrend der Prozession gestern gegeben. Kennst du diesen Mann?«

Samu nickte. »Es ist Buphagos, der Mundschenk des Pharao. Er war es, der gestern die Prozession storte.«

Orestes pre?te die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen und musterte Samu einen Augenblick lang. Dann stie? er einen leisen Seufzer aus. »Ihr habt gesehen, was mit dem Leichnam passiert ist?« Er trat zur Seite, so da? die Isispriesterin jetzt das Relief am Sockel der riesigen Saule betrachten konnte, vor der der Tote lag. Die Steinmetzarbeit zeigte den Todesgott als nackten, geflugelten Jungling, der mit Mohn bekranzt war und ein Schwert an seiner Seite trug. Er hatte ein ebenso schones wie unnahbares Gesicht, und ein unbekannter Kunstler hatte den Marmor so vollkommen bemalt, da? der braungebrannte Korper glanzte wie der Leib eines Athleten, der sich gerade mit Ol eingerieben hatte. Daneben stand eine schone Frau in einem langen, himmelblauen Chitonion, zu dem sie einen schon drapierten roten Mantel trug.

Erschrocken hatte sie ihr bleiches Gesicht von Thanatos abgewandt und betrachtete den nackten Gotterboten Hermes, der links von ihr stand.

»Ihr kennt die Geschichte von Alkestis, die ihr Leben fur ihren Mann Admetos gegeben hat? Ich frage mich, ob es ein Zufall ist, da? Thanatos den Leichnam des Mundschenks ausgerechnet hier zuruckgelassen hat? Oder ist es ein Zeichen dafur, da? dieser Mann sein Leben fur einen anderen gegeben hat?«

»Was willst du damit andeuten?« fragte Samu gereizt.

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