Prolog

Die Kutsche hatte sich verspatet. Der Reiter uberprufte seine Pistole und steckte die Waffe wieder in das Halfter unter seinem Mantel. Er beugte sich tief uber den Nacken seiner Stute und streichelte ihr weiches, glanzendes Fell. Bei der Beruhrung wieherte sie leise und stampfte mit einem Vorderlauf auf den matschigen Boden.

Von den Asten der Baume fielen noch immer dicke Regentropfen auf ihn, und er fluchte. Zwar hatte es vor einer halben Stunde aufgehort zu regnen, aber schon wieder zuckten Blitze durch den nachtlichen Himmel, und in der Ferne war ein drohendes Donnergrollen zu horen, das sein Pferd erzittern lie?.

Der Regen hatte die Erde aufgeweicht, doch die Luft roch rein und frisch. Blasser Mondschein schimmerte durch das Geast der machtigen Eiche und warf bizarre Schatten auf das Gesicht des berittenen Stra?enraubers und das seines jungen Komplizen, der unter der Baumgruppe auf die Beute wartete.

Die Pferde horten das Nahen der Kutsche zuerst und scharrten nervos mit den Hufen. Dann nahmen auch die Stra?enrauber das Gerausch wahr.

»Da kommt sie«, sagte der Altere. Er zog sein Halstuch uber die untere Halfte seines Gesichts und schob die Krempe seines Huts so tief in die Stirn, bis nur noch seine Augen zu sehen waren. Sein Gefahrte tat dasselbe.

Der Kutscher trieb seine Pferde mit aller Harte an, weil er sich durch das schlechte Wetter verspatet hatte und die verlorene Zeit wieder einholen wollte. Wegen des Unwetters war die ubliche Route stellenweise unpassierbar geworden, und er hatte Umwege in Kauf nehmen mussen.

Schon um zehn Uhr hatten sie das Ende des Heidelandes erreichen sollen, doch jetzt war es bereits fast Mitternacht. Der Kutscher und sein Begleiter sa?en in ihren durchnassten schwarzen Reitermanteln frierend und mude auf dem Bock. Sie freuten sich auf einen steifen Grog und ein warmes Bett.

Jetzt lenkte der Kutscher sein Gespann durch die Talsohle. Dreckklumpen klebten zwischen den Speichen der Rader und unter den Hufen der Pferde und behinderten durch das zusatzliche Gewicht ihr Fortkommen betrachtlich. Der Kutscher fluchte und knallte mit der Peitsche.

Als die Kutsche mit letzter Kraft die Hugelkuppe fast erreicht hatte, gingen die Pferde nur noch im Schritttempo. Zum Gluck! Denn so konnte der Kutscher gerade noch rechtzeitig den Baumstamm erkennen, der uber der Stra?e lag, und die Pferde durch scharfes Zugeln bremsen. Knirschend kam die Kutsche zum Stehen. Der Kutscher zog die Bremse an, kletterte vom Bock und ging zu dem Baum, der anscheinend von einem Blitz getroffen worden war und ihn an der Weiterfahrt hinderte. Schon wieder ein Umweg, dachte er und fluchte aus tiefstem Herzen.

In diesem Moment stie? sein Gefahrte auf dem Bock einen Warnruf aus. Der Kutscher drehte sich um und starrte entgeistert auf die beiden maskierten Reiter, die plotzlich unter den Baumen auf ihn zupreschten. Im Mondlicht wirkten ihre Pferde wie furchterregende Ungeheuer.

»Bleib stehen!«, befahl der berittene Wegelagerer. Der Doppellauf seiner Pistole, die er auf den Kopf des Kutschers gerichtet hatte, glanzte bedrohlich. Mit offenem Mund und vor Entsetzen verzerrtem Gesicht gehorchte der Kutscher.

Sein Gefahrte war nicht so gehorsam. Er stie? eine Verwunschung aus und hob die Donnerbuchse auf, die zwischen seinen Fu?en lag. Zu langsam.

Der Komplize des Wegelagerers war viel schneller. Er zog sofort seine Pistole und schoss. Die Kugel traf den armen Mann in die Brust. Er warf die Arme hoch, lie? seine Donnerbuchse fallen und sank uber dem Bock in sich zusammen.

Der erste Wegelagerer deutete mit seiner Pistole auf den wehrlosen Kutscher. »Nur eine Bewegung, und du bist so tot wie der da!« Dann sagte er zu seinem Komplizen: »Pass auf ihn auf. Ich kummere mich um den Rest.«

Und wahrend sein Gefahrte den Befehl ausfuhrte, ritt der Rauber neben die Kutsche, an deren Fenster ein langes, bleiches Gesicht erschien.

»Kutscher! Was ist da drau?en los?«, erklang eine tiefe, autoritare Stimme eines Mannes mittleren Alters und ziemlich plumpen Aussehens. »Los! Alle raus hier!«, befahl der Rauber, lehnte sich uber seinen Sattel und wedelte mit seiner Pistole. Das bleiche Gesicht verschwand vom Fenster, und die Kutschentur wurde geoffnet.

Dem Kutscher zugewandt, rief der Rauber: »Und du, Kumpel, zu den anderen! Los, beweg deinen Hintern!«

Der Kutscher gehorchte mit erhobenen Handen.

Jetzt stiegen die vier Passagiere aus der Kutsche.

Als Erster der untersetzte Mann in einem dunklen Frack, der aus dem Fenster geschaut hatte. Er zierte sich, weil er seine Schuhe mit den Silberschnallen nicht schmutzig machen wollte. Als Nachste entstieg ihr eine Frau, deren Gesicht unter der Kapuze ihres Mantels nicht zu erkennen war. Als sie ihre Kapuze abstreifte, enthullte sie ein stark gepudertes, hochnasiges Gesicht. Der Untersetzte reichte ihr die Hand.

Als der Herr im Frack die Frau schutzend an sich zog, schnalzte der Wegelagerer mit der Zunge. Das muss ein Ehepaar sein, dachte er. Denn sie ist viel zu alt und hasslich, um seine Geliebte zu sein.

Der dritte Reisende war ein schlanker Marineoffizier, zu erkennen an seinem dunkelblauen Mantel, der dazu passenden Uniformjacke und den wei?en Kniebundhosen. Das Gesicht unter seinem Zweispitz war junger als das des Ehepaars, obwohl er Schwierigkeiten beim Aussteigen hatte. Er bewegte sich wie ein alter Mann, der unter Gicht litt. Als er den Boden betrat, zuckte er zusammen, und seine Miene verfinsterte sich beim Anblick der beiden Wegelagerer. Dann entdeckte er den Toten auf dem Bock, und sein Gesichtsausdruck wurde noch harter.

Beim Anblick des letzten Reisenden musste der Rauber grinsen. Es war ein alterer, ausgemergelter, ganz in Schwarz gekleideter Mann, unter dessen Hut sparliches wei?es Haar hervorschaute, das ebenso wei? war wie der wei?e, gespreizte Kragen um seinen durren Nacken.

»Gut, Leute, ihr wisst ja, was zu tun ist«, sagte der Wegelagerer fast jovial, nahm seine lederne Tasche vom Sattelknopf und warf sie dem Kutscher zu. »Mach sie auf. Und ihr, ihr tut da rein, was ihr bei euch habt. Beeilt euch! Ich will nicht die ganze verdammte Nacht hier warten.«

Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, richtete er drohend seine Pistole auf die kleine Reisegesellschaft. »Und das bezieht sich auch auf das Ding da um deinen Hals, Vikar.«

Intuitiv beruhrte der Geistliche das Kreuz, das er an einer silbernen Kette trug. »Ihr wagt es, einen Vertreter der Geistlichkeit zu bestehlen?«

»Ich wurde die Trompete des Erzengels Gabriel stehlen, wenn ich einen guten Preis dafur bekame«, antwortete der Rauber trocken und lachte. »Also los. Gib das verdammte Ding schon her!«

Gehorsam nahm der Pfarrer seine Kette ab und lie? sie in die Ledertasche gleiten. Die Hande des Kutschers zitterten, als er die Ware empfing.

»Bei Gott! Das ist verabscheuungswurdig!«, rief der untersetzte Herr im Frack und bemuhte sich, seine Taschenuhr aus seiner Westentasche zu nesteln. Seine Frau versuchte zitternd und mit aufgerissenen Augen, ihren Ehering vom Finger zu streifen.

»Na, mach schon, du alte Ziege!«, schimpfte der Rauber. »Los, den Ring her. Sonst steige ich vom Pferd und hol ihn mir. Vielleicht hole ich mir dann auch noch einen Kuss. Aber das durfte dir kaum gefallen, oder?«

Die Frau wich entsetzt zuruck, drehte den Ring vom Finger und lie? ihn in die Tasche fallen. Zorn blitzte in den Augen des Marineoffiziers auf, als er aus einer Innentasche seiner Uniformjacke einen kleinen Beutel mit Munzen kramte und ihn ebenfalls in die Tasche warf. Er legte seinen Mantel um sich und trat zur Seite.

»He! Was soll das? Nicht so schnell junger Mann. Haben wir nicht etwas vergessen?«, rief der Wegelagerer mit derart kalter Stimme und so drohender Gebarde, dass abrupt todliche Stille herrschte. »Was hast du da unter deinem Mantel versteckt? Du hast wohl gedacht, ich wurde es nicht merken, wie?«

»Das ist nichts, was Euch interessieren konnte«, stie? der Offizier wutend hervor.

»Das entscheide allein ich«, entgegnete der Bandit und hob seine Pistole. »Also werde ich einen Blick darauf werfen, einverstanden?«

Der Angesprochene blieb stumm. Doch nach kurzem Zogern luftete er einen Zipfel seines Mantels und enthullte seine rechte Hand. Mit einer Kette an sein Handgelenk gefesselt trug er eine flache, mit Metallbandern verstarkte Ledertasche.

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