Im Gedenken an die Opfer

Die Autorin ist dem Geigenbauer Ramon Pinto i Comas zu Dank verpflichtet.

Bei den Texten zu Anfang der Kapitel handelt

es sich um authentische Dokumente.

Vgl. Reimund Schnabel, Macht ohne Moral

Eine Dokumentation uber die SS, Roderberg

Verlag, Frankfurt am Main, 1957.

I

Ghettowache 6.

Litzmannstadt, 1. Dezember 1941

Betrifft: Schu?waffengebrauch.

Am 1. Dezember 1941 in der Zeit von 14.00 Uhr bis 16.00 befand ich mich auf Posten 4 in der Hohensteinerstra?e. Um 15.00 Uhr sah ich, wie eine Judin auf den Zaun des Ghettos kletterte, den Kopf durch den Ghettozaun steckte und den Versuch machte, von einem voruberfahrenden Wagen Ruben zu stehlen. Ich machte von meiner Schu?waffe Gebrauch. Die Judin wurde durch zwei Schusse todlich getroffen.

Art der Schu?waffe: Karabiner 98.

Verschossene Munition: 2 Patronen

gez. Naumann

Wachtm. d. Sch. P. d. Res.

1. Komp. Bl.- Batt. Ghetto.

Dezember 1991

Immer wenn ich ein Konzert gegeben habe, fallt es mir schwer, nachts einzuschlafen. So als lie?e ich ein Tonband laufen, das sich pausenlos wiederholt, kehrt es dann standig in mein Gedachtnis zuruck. Jenes Konzert,es das am zweihundertsten Todestag Mozarts stattgefunden hatte, war zudem etwas Besonderes gewesen. Wir hatten in Krakau, einer Stadt herausragender Musiker, in einem fur Konzerte adaptierten Saal der prachtigen Tuchhallen gespielt. Das kalte Wetter hatte uns daran gehindert, ausgiebig durch die Stadt zu spazieren, die reich an Kunstwerken ist. Nur zu Mittag, als die Sonne den Nebel vertrieb, war ich eine Weile uber den Rynek Glowny geschlendert, bevor ich ins Hotel zuruckkehrte.

Im ersten Teil des Konzerts war Virgili Stancu, der Pianist unseres Trios, auf den Vorschlag der polnischen Veranstalter eingegangen und hatte, obwohl der Abend Mozart gewidmet war, Chopins Preludes vorgetragen – kunstvoll wie immer. Im zweiten Teil hatten er und ich die Sonate in b-Moll gespielt, die Mozart einst fur Regina Strinasacchi, eine von ihm au?erst bewunderte Geigerin, komponiert hatte. Wir waren auch noch geblieben, um das Orchester zu horen, das die Konzertante Symphonie KV 364 makellos interpretierte, alle klanglichen Ebenen herausarbeitete und hinter dem heiteren, klaren Geflecht der Phrasierungen die dramatische Tiefe durchscheinen lie?.

Vor allem der Klang der ersten Geige hatte meine Aufmerksamkeit erweckt. Die Konzertmeisterin, eine altere Frau, spielte sie mit au?erst reiner Intonation und, wie mir schien, mit echter, verhaltener Leidenschaft.

Ihre Augen waren traurig, wenn sie nicht spielte.

Es war spat geworden, ich sehnte mich nach Elektra, und es kam mir so vor, als hatte ich noch immer den Klang dieser Geige im Ohr. Er war nicht besonders tragend, wohl aber samtig weich und voll. Gewiss handelte es sich nicht um ein von den gro?en Meistern aus Cremona gebautes Instrument, vielleicht aber, so vermutete ich, um eine Geige der alten polnischen Schule. Sollte etwa eine Mateusz Dobrucki aus Krakau all die Zerstorungen uberlebt haben? Ihre rotliche Farbe war mir allerdings dunkler, nicht so transparent vorgekommen. Sie konnte jedoch auch eine Tiroler Arbeit sein oder von einem Mitglied der Mittenwalder Geigenbauerfamilie Klotz stammen.

»Nein, du siehst doch, dass es keine Klotz ist.« Sie hatte es lachelnd gesagt, aber ihr Lacheln hatte keine Frohlichkeit ausgestrahlt. Das war am Tag nach dem Konzert gewesen. In der Nacht zuvor hatte ich beschlossen, die Geigerin personlich nach der Herkunft des Instruments zu fragen, und mich dann, um nicht mehr weitergrubeln zu mussen, in die Lekture eines dieser gro?artigen Krimis von Eric Ambler vertieft, die mir stets einen friedlichen und tiefen Schlaf verschaffen.

Wir trafen uns in der Musikhochschule der Stadt – hier nennt man sie nicht Konservatorium -, wohin ich eingeladen worden war. Zunachst bewunderte ich im weitlaufigen Foyer die Olportrats beruhmter polnischer Musiker, von den altesten bis hin zu meinem Kollegen Wienasky, und hielt dann in einem kleineren Horsaal eine Unterrichtsstunde, eine sogenannte Meisterklasse, ab.

Danach legte mir die Frau die Geige in die Hande, ihre Geige. Ich probierte sie aus: Die Saiten gehorchten mir, wie ich es von ihnen verlangte, wie geschmeidiger Ton in den Fingern, die ihn modellieren. Es war ein kleines Wunder.

»Du wurdest dich wohl kaum von ihr trennen wollen, oder?«

»Um nichts in der Welt!«, antwortete sie. »Und wenn ich vor Hunger sterben musste. Sie ist das Einzige, was mir von meiner Familie geblieben ist. Diese Geige hat mein Onkel Daniel gebaut – nach den Ma?en einer Stradivari. Niemals wurde ich sie gegen eine andere tauschen.«

»Dann verstehe ich, dass du sehr an ihr hangst.«

»Oh, nein, das kannst du nicht verstehen. Dazu musstest du die ganze Geschichte kennen.«

Ein Schatten tiefer Traurigkeit umwolkte ihre hellen Augen und verstarkte die Falten in ihrem schonen Gesicht. Ihre Hand strich wirkungslos uber das blonde, von Silberfaden durchzogene Haar.

Wir mussten unser Gesprach unterbrechen, weil ich zugesagt hatte, im Festsaal dem Konzert der Streicher aus den Abschlussklassen beizuwohnen, die das Intermezzo von Penderecki, dem langjahrigen Rektor dieser Schule, aufzufuhren gedachten. Im Anschluss daran gab es eine kleine Feier, die meine Kollegin aber eher zu langweilen schien.

»Bist du die Feier nicht leid?«, fragte sie mich schon sehr bald. Ich war es nicht, doch die Geigerin hatte meine Neugierde und mein Interesse geweckt.

»Es macht mir nichts aus zu gehen«, sagte ich. »Meiner Verpflichtung bin ich schon nachgekommen. Wenn

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