tragen. Er bleibt eine archaologische Sensation, weil er der einzige vollstandig erhaltene, auf naturliche Weise konservierte und nicht bestattete Mensch aus vorgeschichtlicher Zeit ist. Und weil au?erdem zahlreiche Gebrauchsgegenstande - darunter ein Kupferbeil - erhalten blieben, aus denen sich eine komplette jungsteinzeitliche Ausrustung rekonstruieren lie?.

Aber zuruck nach Afrika.

An eine Ausrustung war beim Homo rudolfensis, dem ersten Vertreter der Gattung Homo, dem fruhesten Menschen der Geschichte, naturlich nicht einmal ansatzweise zu denken. Aber wahrend seine Ahnen einen Teil des Tages noch auf Baumen zubrachten, ist er bereits starker an ein Leben in der offenen Steppe Ostafrikas angepasst: Die Stirn ist steiler, die Backenzahne sind kleiner als die der robusten Menschenaffen, Arme und Beine ahneln schon denen spaterer Menschen, ermoglichen eine rasche Fortbewegung und die Bewaltigung gro?erer Strecken.

Homo rudolfiensis, benannt nach seinem Fundort am Rudolfsee, dem spateren Turkanasee in Kenia, verfugt uber ein beachtliches Gehirn, das auf ein durchschnittliches Volumen von 700 Kubikzentimetern anwachst. Zum Homo qualifiziert ihn au?erdem die Tatsache, dass er mit seinen Handen bereits Splitter von Steinen abschlagt, um damit zu schneiden. Erstmals stellt also - vor rund 2,5 Millionen Jahren - ein Erdenbewohner planvoll Steinwerkzeuge her und gibt sein Wissen an nachfolgende Generationen weiter. So kommt der technische Fortschritt in die Welt - eine Traditionslinie, die bis zum Otzi und zu Stanley Kubricks Erdsatelliten reicht.

Aus den ersten Formen der Gattung Homo, mit noch relativ langen Armen, entsteht nun vor 1,9 Millionen Jahren in Ostafrika Homo ergaster: ein hochgeschossener Savannenlaufer, schnell, intelligent und neugierig. Sein Gehirn ist weitaus gro?er als das seiner Vorganger, seine Werkzeuge werden raffinierter. Getrieben von einer unbandigen Neugier macht er sich schlie?lich auf, die Welt zu erkunden.

Der Mensch ist noch lange nicht fertig, aber reisefertig.

  

2. Die Eroberung des Planeten

Konnen Sie sich eine Stadt ohne Stra?en vorstellen? Wahrscheinlich nicht. Aber auch die Stra?e musste erst erfunden werden. Zuvor stellten Flachdacher und Leitern die Verbindung zwischen Hausern und Menschen her - wie hier in Catal Huyuk in Anatolien, einer Siedlung aus dem siebten Jahrtausend v. Chr. Doch schon diese zivilisatorische Etappe bedeutet eine Revolution und stellt alles in den Schatten, was danach kam.

Homo ergaster, den »arbeitsamen« Menschen, haben Sie eben schon kennengelernt. Mit ihm beginnt das Reiseprogramm der Gattung Homo. Sie konnen gern daran teilnehmen, aber Sie sollten wissen, dass es Expeditionen ins Ungewisse sind. Wenn die Formel »Der Weg ist das Ziel« irgendwo zutrifft, dann hier. Und es ist ein weiter Weg aus der afrikanischen Savanne zu den Siedlungen von Catal Huyuk oder Jericho.

Training und Vorbereitung sind bei Homo ergaster in guten Handen. Sie konnen sich den Clans anschlie?en, die er, mit stetig wachsendem Aktionsradius, durch die Graslandschaften seiner afrikanischen Heimat fuhrt. Nach dem Exodus wandert er uber Generationen nordwarts, erreicht den Kaukasus, und seine Nachfahren dringen vor rund 800 000 Jahren bis nach Zentralasien vor. Aber 40 000 Jahre vor unserer Zeit wird er wieder von der Erde verschwinden.

Falls Sie vorsichtig gewesen und zu Hause, das hei?t in Afrika, geblieben sind, haben Sie jetzt zweimal die Chance, Europa zu entdecken - vor rund 1,2 Millionen Jahren mit dem etwas lieblos als »Vorlaufer« benannten Homo antecessor oder 600 000 Jahre spater mit dem Homo heidelbergensis, dessen Name auf die fruhesten Fundorte seiner Knochen verweist. Homo heidelbergensis verfugt bereits uber ein Hirnvolumen von 1300 Kubikzentimetern und gilt als der erste Gro?wildjager. Er beherrscht das Feuer und konstruiert holzerne Wurfspeere mit vorzuglichen Flugeigenschaften. Als erster Zweibeiner lasst er ein Funkchen Kultur aufblitzen, indem er Schmuckgegenstande herstellt und Steinwerkzeuge als Totenbeigaben verwendet.

Beruhmt geworden aber ist Homo heidelbergensis als der letzte gemeinsame Vorfahr des Homo sapiens, der sich in Afrika entwickelt, und des Neandertalers, der aus europaischen Populationen des »Heidelbergers« hervorgeht. Das Verhaltnis der beiden ungleichen Verwandten beschaftigt die Wissenschaft bis heute. Die Verteilung der Sympathiewerte hat dabei bisweilen an die Geschichte von Kain und Abel erinnert.

Falls Sie auf den Homo sapiens, den »weisen« Menschen, gesetzt haben, mussen Sie vor seinem Siegeszug allerdings einen relativ erfolglosen Aufbruch aus Afrika vor etwa 100 000 bis 95 000 Jahren in Kauf nehmen, der an der Kalte scheitert und ihn in seine Heimat zuruckwirft. Immerhin hat ihn der Vorsto? bis in den Nahen Osten und dort zu einem ersten Rendezvous mit den Neandertalern gefuhrt, die aus dem Norden in diese Gegend kamen.

Erst in der letzten - entscheidenden - Auswanderungswelle vor rund 60 000 Jahren kann Homo sapiens au?erhalb seiner Urheimat Fu? fassen. Noch in Afrika hat er eine immer komplexere Sprache entwickelt und gelernt, symbolisch zu denken. Zudem hat er neue, hocheffektive Distanzwaffen erfunden. Mit ihnen kann er nun Beute aus sicherer Entfernung erlegen und immer mehr Urmenschen um sich herum mit Nahrung versorgen.

Wenn Sie abenteuerlustig genug und bis jetzt dabeigeblieben sind, konnen Sie sich nun auf einiges gefasst machen. Die Auswanderer uberqueren das Rote Meer, erreichen die Arabische Halbinsel und hinterlassen bereits wenige Jahrtausende spater ihre Spuren am au?ersten Zipfel Sudostasiens. Vor 55 000 Jahren uberwinden einige Vertreter der Reisegruppe Sapiens mit Kanus und Flo?en fast hundert Kilometer offenen Ozeans und erreichen erstmals einen noch unbesiedelten Kontinent: Australien. Mit kontrollierten Flachenbranden - so haben Wissenschaftler herausgefunden - locken sie Beutetiere wie Kangurus oder Riesenechsen aus ihren Verstecken und verandern so allmahlich Fauna und Flora.

Wie Sie langst gemerkt haben, gibt es keinen vorprogrammierten Reiseablauf. Die Kolonisierung der Erde ist kein planvolles Projekt. Die Migranten folgen einfach den Wildwechseln, suchen jagend und sammelnd neue Tiere und Pflanzen. Mit seiner Anpassungsfahigkeit kann Sapiens, der »moderne« Mensch, mittlerweile auch ungunstigen Umweltbedingungen trotzen. Also haben Sie sich fur die richtige Reisegruppe entschieden, Homo sapiens wird uberleben, alle anderen werden aussterben.

Aber zwei Erdteile fehlen noch. In etwas fernerer Zukunft - vermutlich 20 000 bis 15 000 Jahre vor unserer Zeit - werden »moderne« Menschen auch den amerikanischen Doppelkontinent erobern, wahrscheinlich von Sibirien aus. Doch jetzt, vor 45 000 Jahren, ist erst einmal Europa dran.

Hier hat sich inzwischen der Neandertaler einquartiert und mehr als 100 000 Jahre allein auf dem Kontinent existiert. Dank seiner kompakten Anatomie hat er sich immer besser an die Unbilden des Eiszeitalters angepasst und kann selbst Temperaturen von minus drei?ig Grad Celsius ertragen. Seine Knochen sind kraftig, die Muskeln gewaltig, der Korperbau ist gedrungen - vermutlich, um moglichst wenig Warme zu verlieren. Der Neandertaler ist ein Gro?wildjager, der sich fast ausschlie?lich vom Fleisch der erbeuteten Tiere ernahrt. Sein Gehirn ist gro?er als das des Neuankommlings, aber seine flache Stirn und sein tonnenformiger Korper haben ihn zum Primitivling gestempelt. Er gilt nicht als Urmensch, sondern eher als Unmensch. Erst in jungster Zeit sind seine kulturellen, musischen und spirituellen Neigungen entdeckt worden.

Der neue Konkurrent, den er schon fruher im Nahen Osten kennengelernt hat und der dann uber die rumanischen Karpaten und die Schwabische Alb nach Mittel- und Sudeuropa gezogen ist, bedrangt ihn nun auf Schritt und Tritt. Eigentlich hatte der Neandertaler ein massives Symptom des Verfolgungswahns, eine handfeste Paranoia ausbilden mussen. Dem Homo sapiens wiederum musste es vorkommen wie in dem Marchen von Hase und Igel: Uberall, wo er eintrifft, hat sich der Neandertaler bereits etabliert.

Wenig marchenhaft geht die Geschichte weiter. Im Unterschied zu den stagnierenden Alt-Europaern entwickelt Homo sapiens in den folgenden Jahrtausenden immer neue Fahigkeiten und

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