vergewisserte sich, da? keine Eindringlinge in derBank versteckt waren und darauf lauerten, die Angestellten als Geiseln zu nehmen. Er schaute uberall nach: auf den Toiletten, in den Nebenraumen, im Tresorraum und im Raum mit den Schlie?fachern. Erst wenn er sich davon uberzeugt hatte, da? er allein im Gebaude war, ging der Rolladen hoch: alles in Ordnung.

Um 8 Uhr 30betrat Tracy Whitney mit den anderen Angestellten die etwas protzige Eingangshalle, nahm ihren Hut ab, zog ihren Regenmantel und ihre Stiefel aus und horte mit heimlicherBelustigung zu, wie die anderen uber das Wetter jammerten.

Dann machte sie sich an ihre Arbeit.

Tracy leitete die Abteilung fur telegrafische Uberweisungen. Bis vor kurzem waren die Uberweisungen vonBank zuBank und von Land zu Land eine langweilige, umstandliche Sache gewesen. Aber mit der Einfuhrung der Computer hatte sich das durchgreifend geandert. Nun konnten ungeheureBetrageblitzschnell uberwiesen werden. Alle Transaktionen waren

kodiert, und der Kode wechselte regelma?ig, damit kein unbefugtes Eindringen in den Zahlungsverkehr moglich war. Tagtaglich gingen Millionen elektronischer Dollar durch Tracys Hande, Diese Arbeit faszinierte sie, undbis sie Charles kennengelernt hatte, war dasBankwesen fur sie das Aufregendste auf der Welt gewesen.

Tracy hatte Charles Stanhope junior wahrend einer Finanztagung kennengelernt, auf der er den Gastvortrag hielt. Charles leitete die Investmentgesellschaft, die sein Urgro?vater gegrundet hatte, und seine Firma stand in regem Geschaftsverkehr mit derBank, fur die Tracy arbeitete. Nach Charles' Vortrag war Tracy zum Rednerpult gegangen, um seiner Auffassung zu widersprechen, da? die Lander der dritten Welt in der Lage seien, die schwindelerregendenBetrage zuruckzuzahlen, die sie von Gro?banken und westlichen Regierungen geborgt hatten. Charles war anfangsbelustigt, dannbeeindruckt und schlie?lich fasziniert von den leidenschaftlichen Argumenten der schonen jungen Frau. Sie hatten das Gesprachbeim Essen in einem Restaurant fortgesetzt.

Charles Stanhope junior lie? Tracy zunachst vollig kalt, obwohl sie naturlich wu?te, da? man ihn fur diebeste Partie von Philadelphia hielt.

Charles war funfunddrei?ig, ma? einen Meter achtundsiebzig, hatte schutteres strohblondes Haar undbraune Augen, trat ernst, ja pedantisch auf und war, so dachte Tracy, einer von jenen sterbenslangweiligen Reichen.

Als hatte er ihre Gedanken erraten, beugte sich Charles etwas vor und sagte:

«Mein Vater ist uberzeugt, da? sie ihm im Krankenhaus das falscheBaby gegeben haben.«

«Wiebitte?«

«Ichbin aus der Art geschlagen. Ich finde namlich nicht, da?

Geld der Hauptzweck des Lebens ist. Aber das durfen Sie meinem Vaterbitte nie verraten.«

Er hatte etwas sobezauberndBescheidenes, da? sich Tracy allmahlich fur ihn erwarmte. Wie das wohl ware, mit jemandem wie ihm verheiratet zu sein?

Es hatte Tracys Vater die meiste Zeit seines Lebens gekostet, ein Geschaft aufzubauen, uber das die Stanhopesblo? spottisch gelachelt hatten: unbedeutend. Zwischen den Stanhopes und den Whitneys liegen Welten, dachte Tracy. Aber was spinne ich da eigentlich vor mich hin? Ein Mann ladt mich zum Essen ein, und ich uberlege mir, obich ihn heiraten will. Wahrscheinlich werden wir uns nie wiedersehen.

Dann sagte Charles:»Ich hoffe, Sie haben morgen abend noch nichts vor?«

In Philadelphia gabes viel zu sehen, und man konnte eine Menge unternehmen. An den Samstagabenden gingen Tracy und Charles ins Theater oder ins Konzert, und unter der Wochebummelten sie durch New Market oderbesuchten das Philadelphia Museum of Art und das Rodin?Museum.

Da Charles sich nichts aus Sport machte, Tracy dagegen Spa? an korperlicherBewegung hatte, joggte sie jeden Samstagmorgen allein durch die Anlagen am Schuylkill River, und Samstag nachmittagsbesuchte sie einen Tai Chi Chuan?Kurs. Das Training dauerte eine Stunde, und danach traf sie sich, erschopft, aberbester Laune, mit Charles in seiner Wohnung. Er war ein Feinschmecker, kochte vorzuglich undbereitete gern fur Tracy und sich Gerichte fremder Lander zu.

Charles war der formlichste Mensch, den Tracy kannte. Sie war einmal zu einer Verabredung mit ihm eine Viertelstunde zu spat gekommen, und er argerte sich so daruber, da? es ihr den ganzen Abend verdarb. Danach hatte sie sich geschworen, nie wieder unpunktlich zu sein.

Tracy hatte nicht viel sexuelle Erfahrung, aber sie hatte den

Eindruck, da? Charles imBett genauso war wie im sonstigen Leben: gewissenhaft und uberaus korrekt. Einmal hatte Tracybeschlossen, frech und unkonventionell zu sein. Sie hatte Charles damit so schockiert, da? sie sich fragte, obsie vielleicht einbi?chen pervers sei.

Die Schwangerschaft kam vollig unerwartet. Und als es passierte, war Tracy entsetzlich unsicher. Charles hatte nie uber eine mogliche Ehe geredet, und sie wollte nicht, da? er das Gefuhl hatte, er musse sie nun heiraten. Ganz kurz dachte sie an eine Abtreibung, aber sie merktebald, da? sie dies nicht wirklich wollte.

Eines Abendsbeschlo? sie, Charles nach dem Essen zu sagen, da? sie schwanger war. Sie kochte in ihrer Wohnung ein Cassoulet fur ihn und lie? es anbrennen vor lauter Nervositat. Als sie ihm das angesengte Fleisch und diebraunlich verfarbtenBohnen vorsetzte, verga? sie ihre sorgfaltig einstudierte kleine Rede und platzte einfach damit heraus:»Es tut mir schrecklich leid, Charles. Ich — ichbin schwanger.«

Dem folgte ein unertraglich langes Schweigen, und als Tracy es geradebrechen wollte, sagte Charles:»Wir heiraten selbstverstandlich.«

Tracy fiel ein Stein vom Herzen.»Ich will aber nicht, da? du denkst… Ich meine, du mu?t mich nicht heiraten.«

Er hobdie Hand, winkte ab.»Ich will dich aber heiraten, Tracy. Dubist sicher eine wunderbare Ehefrau. «Langsam fugte er hinzu:»Meine Eltern werden naturlich einbi?chen uberrascht sein.«

Und er lachelte Tracy an und ku?te sie.

Tracy fragte ruhig:»Warum werden sie uberrascht sein?«

Charles seufzte.»Ach, Liebling… ich furchte, dubist dir nicht ganz im klaren, worauf du dich da einla?t. Die Stanhopes heiraten immer — in Anfuhrungszeichen, wohlgemerkt —

ihresgleichen. Also erstens reich und zweitens alteingesessene Prominenz von Philadelphia.«

«Und deine Eltern habenbereits eine Frau fur dich ausgesucht«, vermutete Tracy.

Charles nahm sie in die Arme.»Das ist vollig egal. Wen ich ausgesucht habe — das zahlt und sonst nichts. Nachsten Freitag essen wirbei meinen Eltern zu Abend. Es wird Zeit, da? du sie kennenlernst.«

Funf Minuten vor neun nahm Tracy eine Veranderung im Gerauschpegel derBank wahr. Die Angestellten sprachen ein wenig schneller undbewegten sich einbi?chen rascher. In funf Minuten wurden sich die Pforten derBank offnen, und dann mu?te allesbereit sein. Durch das Fenster zur Stra?e sah Tracy die Kunden, die im kalten Regen auf demBurgersteig anstanden und warteten.

Tracybeobachtete, wie der Wachmann derBank neueBlankoformulare zur Ein- und Auszahlung in die Metallstander auf den sechs Tischen steckte, die am Mittelgang der Schalterhalle aufgereiht waren. Die Stammkundschaft derBank erhielt Einzahlungsbelege mit einem personlichen Kode auf Magnetstreifen im unteren Feld des Formulars. Wenn eine Einzahlung vorgenommen wurde, buchte der Computer denBetrag automatisch auf das richtige Konto. Doch es geschah oft, da? Kunden ohne ihre Einzahlungsbelege in dieBank kamen. Dannbenutzten sieBlankoformulare.

Der Wachmannblickte auf die Wanduhr. Die Zeiger ruckten auf 9 Uhr, und er ging zur Tur und schlo? sie fast feierlich auf.

DerBankalltag hattebegonnen.

In den nachsten Stunden war Tracy so sehr am Computerbeschaftigt, da? sie an nichts anderes denken konnte. Bei jeder telegrafischen Uberweisung mu?te nachgepruft werden, obsie fehlerfrei war. Wenn ein Kontobelastet wurde, tippte

Tracy die Kontonummer, denBetrag und dieBank ein, auf die das Geld uberwiesen werden sollte. JedeBank hatte ihre eigene Leitzahl, und dieBankleitzahlen aller gro?erenBanken der Welt waren in einem Verzeichnis zum Dienstgebrauch aufgefuhrt.

Der Vormittag verging wie im Flug, und Tracy wollte in der Mittagspause zum Friseur. Zu einem teuren, aber das wurde sich hoffentlich lohnen. Charles' Eltern sollten sie von ihrerbesten Seite sehen. Ich mu? sie dazubringen, da? sie mich mogen, dachte Tracy. Es ist mir egal, wen sie fur ihn ausgesucht haben. Niemand kann Charles so glucklich machen wie ich.

Es war 13 Uhr. Tracy schlupfte gerade in ihren Regenmantel, als Clarence Desmond sie in seinBuro rief.

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