Chicago. – La Salle Street und Board of Trade (Handelskammer).

Man hatte blind sein mussen, unter dieser bunten Menge die Directoren, Redacteure, Berichterstatter, Feuilletonisten und Hilfskrafte nicht zu bemerken, die an den hundertvierzig Tages-und Wochenblattern Chicagos thatig sind – und taub sein mussen, die Rufe der Borsenmanner, der Bulls oder Haussiers und der Bears oder Baissiers, nicht zu horen, die hier ebenso auftraten, als ob sie am Board of Trade oder am Wheat Pit, der Getreideborse, handelten und feilschten. Und um diese larmende Menge bewegte sich ferner das gesammte Personal der National-und der Staatsbanken, der Corn Exchange Calumet Merchants’-Loane and Trust Co, der Fort Dearborn Oakland Prairie-State American Trust and Savings, der Chicago City Guarantee Co of North America, der Dim-Savings Northern Trust Co u. s. w. u. s. w.

Wie hatte man bei diesem riesenhaften offentlichen Aufzuge die Schuler der Collegien und Universitaten ubersehen konnen, die der Northwestern University, des Union College of Law, der Chicago Manuel-training-school und vieler anderer Institute, wie hatte man die Kunstler der dreiundzwanzig Theater und Casinos vergessen konnen, die vom Gro?en Opernhause, wie die von Jacobs’ Clark Street Theater, die vom Auditorium und vom Lyceum – wie ferner vergessen konnen die Leute der neunundzwanzig erstelassigen Hotels, die Kellner und Hilfswarter der unzahligen und zuweilen so gro?en Restaurants, da? sie binnen einer Stunde funfundzwanzigtausend Gaste befriedigen konnen – wie die Packer und Fleischer des Great Union Stock Yard, die fur Rechnung der Firmen Armour, Swift, Nelson, Morris und noch vieler anderer jahrlich zwei Millionen Rinder und Schweine fur je zwei Dollars abschlachten. Darf man sich da wundern, da? die »Konigin des Westens« unter den gewerb-und handeltreibenden Stadten der Vereinigten Staaten den zweiten Platz, gleich hinter New-York, einnimmt, wenn ihr jahrlicher Geschaftsumsatz den Werth von drei?ig Milliarden erreicht?

Wie alle gro?en amerikanischen Stadte erfreut sich Chicago einer ebenso unbeschrankten wie rein demokratischen Freiheit. Die Decentralisation ist hier vollstandig durchgefuhrt; was veranla?te sie aber – um bei dem eben gebrauchten Worte zu bleiben – sich heute so auffallend um die La Salle Street zu centralisieren?

Stromte die Bevolkerung in larmender Menge vielleicht nach der City Hall zusammen? Handelte es sich um eine alles mit sich fortrei?ende Speculation, die man hier als Boom zu bezeichnen pflegt, um eine Versteigerung von Grund und Boden, die die Geister uberma?ig erregte? Handelte es sich um eine jener Wahlschlachten, die die Volksmenge erhitzen, um ein Meeting, bei dem conservative Republikaner und liberale Demokraten sich in der Nachbarschaft des Federal Building bekampfen sollten? Oder stand es in Frage, eine neue Worlds Columbian Exposition feierlich zu eroffnen und im Schatten des Lincoln-Parks langs der Midway Plaisance den Pomp von 1893 wiederholt zu entfalten?

Nein, hier sollte eine ganz andere Feierlichkeit vor sich gehen, deren Charakter ein recht trauriger gewesen ware, wenn die daran Betheiligten sich nicht hatten den Bestimmungen der Person, der jene galt, fugen mussen, Bestimmungen, die dahin gingen, da? dabei allgemeine Freude herrschen sollte.

Zur Stunde war die La Salle Street vollig leer, dank den Polizisten, die an deren beiden Enden in gro?er Zahl aufgestellt waren. Der Zug, der sie durchmessen sollte, war folglich durch nichts gehindert, sich vorschriftsma?ig zu bilden und zu bewegen.

Wird die La Salle Street von den reichen Amerikanern auch nicht ebenso bevorzugt, wie die Avenuen der Prairie, von Calumet oder von Michigan, wo sich nur prachtige Wohnpalaste erheben, so ist sie doch eine der verkehrsreichsten Stra?en der Stadt. Sie tragt den Namen eines Franzosen, Robert Cavelier de La Salle, eines der ersten Reisenden, die von 1679 an das Gebiet der Seen erforschten – einen Namen, der in den Vereinigten Staaten mit Recht beruhmt ist.

Nahe der Mitte der La Salle Street hatte ein Beobachter, dem es gegluckt ware, die Doppelreihe von Polizisten zu durchbrechen, an der Ecke der Goethe Street einen mit sechs Pferden bespannten Wagen vor einem Prachtbau von Wohnhause stehen sehen. Vor und hinter diesem Wagen wartete ein gut geordnetes zahlreiches Gefolge nur auf das Zeichen zum Aufbruch.

Die erste Halfte des Gefolges umfa?te mehrere Compagnien Miliz in Paradeuniform unter dem Befehle ihrer Officiere, ein Musikchor von nicht weniger als hundert Mann und eine Sangerabtheilung von gleicher Starke, die ihre Tone wiederholt mit den Accorden jenes Orchesters mischen sollten.

Den Wagen bedeckten Draperien von leuchtendem, mit Gold-und Silberstickereien noch gehobenem Roth, von dem in Diamanten die Buchstaben W I H hervorglanzten. Dazu kamen eine Unmenge Strau?e oder eigentlich ganze Haufen von Blumen, die uberall, mit Ausnahme einer Stadt, welche man ganz allgemein Garden City nennt, recht selten gewesen waren. Vom Obertheile des Gefahrtes, das wurdig gewesen ware, inmitten eines nationalen Festes zu prangen, hingen bis zur Erde Guirlanden herab, die von sechs Personen, von dreien auf jeder Seite, gehalten wurden.

Wenige Schritte weit dahinter zeigte sich eine Gruppe von etwa zwanzig Personen, darunter James I. Davidson, Gordon S. Allen, Harry B. Andrews, John I. Dickinson, Thomas R. Carlisle u. a. vom Excentric Club in der Mohawk Street, dessen Vorsitzender Georges B. Higginbotham war; ferner Mitglieder der Clubs Calumet aus der Michigan Avenue, des Hyde Park aus der Washington Avenue, Columbus aus der Montroe Street, der Union League vom Custom House Place, der Irischen Amerikaner aus der Dearborn Street – und der vierzehn ubrigen, in der Stadt bestehenden Clubs.

Chicago ist, wie Vielen bekannt sein durfte, das Hauptquartier der Division des Missouri und der gewohnliche Standort ihres Commandanten. Es versteht sich nun von selbst, da? dieser Commandant, der General James Morris, nebst seinem Stabe und den Officieren der im Pullmann Building gelegenen Bureaux sich der vorher genannten Gruppe angeschlossen hatte. Weiter folgten: der Gouverneur des Staates, John Hamilton, der Burgermeister und seine nachsten Beamten, die Mitglieder des Stadtrathes, die Grafschaftsverwalter, die eigens von Springfield hergekommen waren, aus der officiellen Hauptstadt von Illionis, wo alle Verwaltungs-und Regierungsamter ihren Sitz haben, und auch die Oberbeamten des Federal Court, die im Gegensatze zu vielen anderen Staatsdienern nicht durch allgemeine Abstimmung erwahlt, sondern unmittelbar vom Prasidenten der Union ernannt werden.

Am Schlusse dieses Gefolges drangten sich eine Menge Kaufleute, Industrielle, Ingenieure, Lehrer, Advocaten, Gerichtsanwalte, Aerzte, Zahnarzte, Coroner (Staatsbeamte fur die Leichenschau), Sachwalter und Grafschaftsbeamte, denen sich noch eine unubersehbare Volksmenge anschlie?en sollte, sobald der Aufzug die La Salle Street ganz verlassen hatte.

Um aber das Ende des Zuges gegen den Ansturm der Masse zu sichern, hatte der General Morris starke Abtheilungen Cavallerie mit gezogenem Sabel aufgestellt, und lustig flatterten deren Standarten im frischen Morgenwinde.

Diese lange Beschreibung der civilen und militarischen Theilnehmer, aller der Gesellschaften und Vereine, die zu dieser au?ergewohnlichen Feierlichkeit herangezogen waren, mu? hier noch durch eine besonders kennzeichnende Einzelheit vervollstandigt werden: alle Theilnehmer, kein einziger ausgenommen, trugen eine Blume im Knopfloch, eine Gardenia, die ihnen der schwarzgekleidete, auf der Vortreppe des Hauses stehende Haushofmeister uberreicht hatte.

Ueberdies machte auch das Haus selbst einen festlichen Eindruck. Seine Armleuchter und hellglanzenden elektrischen Lampen wetteiferten mit den lebhaften Strahlen der Aprilsonne; die weit offenen Fenster zeigten die vielfarbigen Tapeten der Innenraume. Die Dienerschaft in Festtagstracht stand auf den Marmorstufen der Ehrentreppe. Die Prunkgemacher waren wie zu einem gro?en Empfange vorbereitet, die Speisezimmer mit Tafeln besetzt, worauf die massiv silbernen Aufsatze und das herrliche Porzellan der Chicagoer Millionare prangten und krystallene Karaffen voll edlen Weines und Champagners der besten Marken funkelten.

Endlich schlug es auf der City Hall neun Uhr. Fanfaren ertonten am Anfange der La Salle Street. Drei einstimmig ausgebrachte Hurrahs erschutterten die Luft. Auf ein Zeichen des dienstthuenden Polizeiofficiers setzte sich der Zug mit entfalteten Bannern in Bewegung.

Zuerst erklangen aus den machtigen Instrumenten des Orchesters die belebenden Takte des »Columbus March« von Professor John K. Paine in Cambridge. Langsam und gemessen wand sich der Zug die La Salle Street hinaus. Fast gleichzeitig ruckte der Wagen mit dem Sechsgespann an, von dem jedes Pferd kostbare Schabracken trug und mit Federbusch und Aigrette geschmuckt war. Die Blumenguirlanden in den Handen der sechs Auserwahlten, die nur ein launenhafter Zufall zu solchen gemacht hatte, spannten sich gleichma?ig an.

Dann setzten sich die militarischen, civilen und stadtischen Behorden, die den Reiterabtheilungen folgten, in bester Ordnung in Gang.

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