Es bedarf wohl kaum der Erwahnung, da? in der La Salle Street alle Fenster, Balkons und vielfach sogar die Dacher von Zuschauern jedes Alters, die meist schon seit dem letzten Abend warteten, voll besetzt waren.

Als die ersten Reihen des Gefolges das Ende der Stra?e erreicht hatten, schwenkten sie ein wenig nach links ab, um nach der den Lincoln-Park begleitenden Alleestra?e zu gelangen. Welch unglaubliches Gewuhl von Menschen herrschte da innerhalb der zweihundertfunfzig Acres dieser Anlage, die im Osten von den rauschenden Wellen des Michigan benetzt wird – in dieser Schmuckwaldung mit ihren schattigen Alleen, ihren Buschgruppen, Rasenflachen, bewaldeten Dunen, ihrer Winston-Lagune, mit den zum Andenken Grant’s und Lincoln’s errichteten Monumenten, dem Paradefelde und in dem davon umschlossenen zoologischen Garten, wo die Raubthiere heulten und brullten und die Affen hastig hin und her sprangen, wie um sich der Erregung in der Volksmenge in ihrer Art anzupassen! Da der Park an Wochentagen sonst so gut wie menschenleer ist, hatte sich ein Fremdling fragen konnen, ob heute vielleicht Sonntag ware. O nein, es war Freitag – der traurige, widerwartige Freitag – der dieses Jahr auf den 3. April fiel.

Nun, heute bekummerten sich die Neugierigen nicht darum, tauschten ihre Bemerkungen beim Voruberkommen des Zuges aus und bedauerten daneben gewi?, nicht selbst daran theilnehmen zu konnen.

»Das steht fest, meinte einer, die Feier ist ebenso schon, wie die bei der Eroffnung unserer Weltausstellung!

– Gewi?, antwortete ein anderer, der Zug kann sich getrost mit dem vom 24. October auf der Midway Plaisance messen.

– Und die Sechs, die unmittelbar neben dem Wagen gehen! rief ein Schiffer vom Chicagoflusse.

– Ja, die mit gefullter Tasche zuruckkommen werden! setzte ein Arbeiter aus der Cormick’schen Werkstatt hinzu.

– Die haben jeder das Gro?e Los gewonnen! erklarte ein dicker Brauer, dem das Bier aus allen Poren schwitzte. Ich gabe gleich mein Gewicht in Gold darum, konnt’ ich jetzt an ihrer Stelle sein!

– Und dabei wurden Sie nichts verlieren! versicherte ein kraftiger Schlachter aus den Stock Yards.

– Das ist ein Tag, der jenen hubsche Werthpapiere in ganzen Haufen einbringt! lie? sich eine Stimme neben den beiden vernehmen.

– Ja, ihr Gluck ist gemacht!

– Und welch ein Gluck!

– Fur jeden zehn Millionen Dollars…

– Sie wollen sagen, zwanzig Millionen…

– Eher nahe an funfzig als zwanzig!«

So wie die wackeren Leute nun einmal im Zuge waren, waren sie bald auch noch bis zur Milliarde gekommen – ein Wort, das in den Vereinigten Staaten ubrigens gang und gabe ist. Wohl zu bemerken, beruhten inde? alle diese Behauptungen auf grundloser Annahme.

Doch siehe da: Will der Zug etwa gar seinen Weg um die ganze Stadt nehmen?

Wenn ein derartiger Spaziergang im Programme vorgesehen war, dann reichte freilich der ganze Tag dazu nicht aus.

Wie dem auch sein mochte, jedenfalls kam die lange Colonne unter gleichma?igen Freudenbezeugungen und unter den rauschenden Klangen des Orchesters und den Vortragen der Sanger, die eben, begru?t mit donnernden Hipps und Hurrahs der Zuschauer, das Lied »To the Son of Art« angestimmt hatten, vor dem Eingange zum Lincoln-Park da an, wo die Fullerton-Avenue endigt. Sie wendete sich nun nach links und schlangelte sich, etwa zwei (amerikanische) Meilen weit, nach Westen bis zum nordlichen Arme des Chicagoflusses hin. Zwischen den von Menschen vollgestopften Fu?wegen war noch Platz genug fur eine ungehinderte Bewegung des merkwurdigen Zuges.

Nach Ueberschreitung der Brucke erreichte er uber die Brand Street hinweg die prachtige, belebte Stra?e, die auf eine Strecke von elf Meilen den Namen Boulevard Humboldt fuhrt und erst nach Westen, dann nach Suden zu verlauft. Von der Ecke des Logan Square aus verfolgte der Zug diese Richtung, nachdem zahlreiche Polizisten den Fahrdamm von der funfsachen Reihe sich drangender Zuschauer gesaubert hatten.

Von hier aus rollte der Wagen nach dem Palmer Square zu und erschien vor dem Parke, der ebenfalls den Namen des beruhmten deutschen Gelehrten tragt.

Drei einstimmig ausgebrachte Hurrahs erschutterten die Luft.(S. 14.)

Es war jetzt Mittag. Im Humboldt-Parke wurde einmal Halt gemacht, was recht nothwendig erschien, denn noch war ein langer Weg zuruckzulegen. Die Volksmenge konnte sich auf dem von platscherndem Wasser erfrischten Gebiete, das uber zweihundert Acres einnimmt, nach Belieben zerstreuen.

Als der Wagen still stand, stimmten die Musiker und die Sanger das »Star Spangled Banner« an, dem ein rauschender Applaus folgte, als ware es in der Music Hall des Casinos vorgetragen worden.

Der westlichste Punkt, der im Programm fur den Zug vorgeschrieben war, wurde gegen zwei Uhr erreicht und lag am Garfield-Parke. Man sieht, an Parken fehlte es der gro?en Stadt von Illinois eben nicht. Wenn man nur die funfzehn gro?ten in Rechnung zieht – der Jackson-Park bedeckt allein funfhundertachtzig Acres – so umfassen diese zusammen eine mit Buschwerk, Dickichten, Blumenrabatten und Rasen bedeckte Flache von zweitausend Acres (gleich 800 Hektar).

Als der Winkel am Boulevard Douglas uberschritten war, wendete sich der lange Zug nach Osten dem Douglas-Parke zu, von hier mehr nach Sudwesten uber den mittleren Arm des Chicagoflusses und weiter am Canal von Michigan hin, der diesen flu?aufwarts begleitet. Jetzt galt es noch, nach Suden zu die Western Avenue auf eine Strecke von drei Meilen (4800 Meter) zu uberwinden, um nach dem Gage-Park zu gelangen.

Eben schlug es auf den Thurmen drei Uhr und es wurde rathsam, ein zweitesmal Halt zu machen, ehe die Ruckkehr nach den eigentlichen Stadtquartieren angetreten wurde.

Diesmal wurde das Orchester scheinbar ganz toll; es spielte mit au?erordentlichem Feuer die lebhaftesten Zweiviertelstucke, die rasendsten Allegros aus den Repertoiren eines Lecocq und Varney, eines Audran und Offenbach. Kaum glaublich erschien es, da? unter dem Einflusse dieser Rhythmen von den offentlichen Ballen nicht alle Welt zu tanzen begann. In Frankreich hatte man sich nicht bezwingen konnen.

Dazu herrschte trotz empfindlicher Kuhle ganz prachtiges Wetter. In den ersten Apriltagen behalt das Klima von Illinois meist noch seinen winterlichen Charakter und die Schiffahrt auf dem Michigansee und dem Chicagoflusse bleibt gewohnlich von Anfang December bis Ende Marz unterbrochen.

Trotz der noch recht niedrigen Temperatur war die Luft so rein, die Sonne, die ihren Bogen am wolkenlosen Himmel beschrieb, sandte so glanzende Strahlen herab, als hatte sie sich selbst auf eine Festlichkeit eingerichtet – wie die Berichterstatter der officiosen Presse sich auszudrucken lieben – so da? voraussichtlich bis zum Abend alles nach Wunsch verlief.

Die Menge der Zuschauer verminderte sich ubrigens keineswegs. Waren es keine Neugierigen aus den Quartieren des Nordens, so waren es solche aus denen des Sudens, und die einen gaben den andern bezuglich unverhohlener Lebhaftigkeit und enthusiastischer Hurrahs, die den Zug uberall begleiteten, in keiner Weise etwas nach.

In dem Gefolge hielten sich die einzelnen Gruppen noch immer ebenso zusammen, wie seit dem Aufbruche in der La Salle Street, und ebenso wie das sicherlich noch am Ende des langen Weges der Fall zu sein versprach.

Vom Gage-Park aus rollte der Wagen auf dem Boulevard Garfield geradenwegs nach Osten hin.

Chicagoflu?.

Am Ende dieses Boulevards zeigt sich in voller Pracht der Washington-Park, der dreihunderteinundsiebzig Acres gro? ist.

Hier verdichtete sich die Menschenmenge noch weiter, ganz wie einige Jahre vorher. bei Gelegenheit der in der Nachbarschaft stattfindenden Ausstellung. Von vier bis halb funf Uhr wurde nochmals eine Rast gemacht, und in dieser Pause lie?en die Sanger unter dem larmenden Beifall unzahliger Zuhorer das »In Praise of God« von Beethoven erschallen. Dann ging der Marsch im Schatten des Parks weiter bis zu der Stelle, die mit der Midway

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