Das sturmgepeitschte Meer wirbelte die Barke auf den hohen Wellenbergen umher wie ein zorniges Kind sein plotzlich mi?liebig gewordenes Spielzeug. Mal lag das Schiff fast ganzlich auf der Steuerbord-, dann wieder auf der Backbordseite.

Gigantische Brecher uberfluteten den Dreimaster und spulten alles fort, was nicht niet- und nagelfest war. Die wenigen Seeleute, die noch auf Deck waren, hatten sich anseilen mussen, um nicht von der gierigen See verschlungen zu werden. Einige ihrer Kameraden unterschatzten die Gefahr, und die Brecher hatten die Manner mit sich gerissen.

Der Orkan war zu plotzlich und zu heftig uber das einsame Schiff hereingebrochen.

Deshalb war es auch nicht gelungen, samtliche Segel in der erforderlichen Weise zu reffen oder ganz einzuholen.

An sich hatte der Kapitan am Fock- und Gro?mast nur die Topsegel stehen lassen wollen. Die Marssegel sollten so niedrig stehen, da? man sie schnell reffen konnte, aber noch hoch genug, um den Wind zu erfassen, wenn die Bark ein Wellental durchpflugte. Dadurch wollte der Kapitan sein Schiff manovrierfahig halten, ohne Masten und Takelage uberzubeanspruchen.

Was den Seeleuten verwehrt war, besorgte der Sturm. Er fetzte das feste Segeltuch mit einer Leichtigkeit in Stucke, als handle es sich um dunnes Papier.

Mitten in dem Chaos auf Deck des Dreimasters stand der junge Kapitan und bemuhte sich vergebens, seine Befehle gegen das Brausen des Sturms und das Rauschen der unermudlich uber das Schiff zusammensturzenden Brecher anzubrullen. Die Naturgewalten degradierten sein lautes Organ zum zaghaften Piepsen einer kleinen grauen Maus.

Fast hatte der junge Kapitan sich auch so gefuhlt, ware nicht die erfahrene Mannschaft gewesen, die auch ohne Befehle wu?te, was sie zu tun hatte.

Wie ein Wahnsinniger drehte der Erste Steuermann das Steuerrad, wenn das Schiff sich wieder tief auf eine Seite zu legen begann. Und jedesmal schaffte er es rechtzeitig, die HENRIETTA wieder aufzurichten.

Mitleidig dachte der Kapitan an die vielen Menschen unter Deck - Manner, Frauen und Kinder. Fur sie mu?te alles noch viel schlimmer sein.

Ein Seemann war an den Tanz gewohnt, den ein Schiff bei schwerem Sturm auf dem Meer vollfuhrte - auch wenn dieser Sturm alles ubertraf, was der Kapitan bislang erlebt hatte.

Aber fur die Landratten, die eng zusammengepfercht im Bauch des Auswandererschiffes hockten, mu?te es das schrecklichste Erlebnis ihres Lebens sein.

Wenigstens konnten sie nicht uber Bord gespult werden!

Plotzlich weiteten sich die Augen des Kapitans, der sich mit einem Seil am Besanmast gesichert hatte und den breiten Holzmast zusatzlich umklammert hielt.

Schon mehrmals war es ihm passiert, da? ihn ein Brecher zu Boden ri?, wenn er den Mast loslie?. Auf den schwankenden Planken zu stehen, war ihm von Kindesbeinen an vertraut. Aber gegen solche Wucht konnte kein Mann bestehen. Zwar war er trotz des Olzeugs schon bis auf die Haut durchna?t, aber so ein Sturz war auch sehr schmerzhaft. Eine blutige Nase und eine dicke Beule an der Stirn hatte er sich schon geholt.

Doch was der Kapitan jetzt sah, war geeignet, ihn alle Vorsicht vergessen zu lassen. Aus dem Eingang zum Zwischendeck stromten die Passagiere, kreidebleich vor Ubelkeit und Angst.

Aber was wollten sie auf Deck?

Es gab keine Flucht aus dem Sturm!

Rings um die HENRIETTA war nichts als das aufgewuhlte Meer des Armelkanals. Noch nicht einmal ein Horizont war zu erkennen. Wilde graue Fluten verschmolzen einfach mit dem dunklen Grau des Himmels, dessen entfesselte Winde die Wolken in Fetzen vor sich hertrieben wie die gro?en Stucke losgerissenen Segeltuchs. Die Welt, die von dem Schiff durchpflugt wurde, schien nur noch aus wutentbrannten Naturgewalten in einem duster- schmutzigen Grau zu bestehen.

Manner und Frauen wankten an Deck und konnten sich kaum auf den Beinen halten. Als der nachste Brecher uber die Bark herfiel, ri? er die Auswanderer muhelos von den Beinen. Sie purzelten durch- und ubereinander. Einige fielen nach hinten und sturzten die steile Treppe zum Zwischendeck, die sie so muhsam erklommen hatten, wieder hinunter.

Sobald der Brecher sich an der HENRIETTA ausgetobt hatte, zogen sich die Auswanderer an den Aufbauten hoch.

Was, zur dreischwanzigen Seejungfrau, trieb sie blo? an Deck?

Neugierig und besorgt lief der Kapitan nach vorn, bis ihn ein heftiger Ruck an seinen Huften fast umgerissen hatte.

Das Seil! scho? es ihm durch den Kopf.

Es sollte sein Leben retten. Jetzt behinderte es ihn.

Kurzentschlossen zog er sein Klappmesser aus der Jackentasche unter dem Olhautmantel und durchschnitt den festen Hanf, der ihn mit dem Besanmast verband. Sobald der Hanf durchtrennt war, verlor der junge Mann den Halt.

Es war sicher kein aufmunterndes Bild fur Mannschaft und Passagiere, wenn der Kapitan wie eine unerfahrene Landratte ubers Deck taumelte und auf die nassen, glitschigen Planken sturzte. Aber auch ein alterer und erfahrener Seemann als der Kapitan hatte es nicht vermeiden konnen.

Fur einen langen Augenblick wurde der Kapitan ein willfahriger Teil des gro?en Chaos, das die Natur entfesselt hatte. Er fuhlte sich davongetragen, als er den festen Halt verlor. Vom Sturm oder von den Wellen - es blieb sich gleich.

Ein schmerzhaftes Stechen in seinem Kopf loste den Kapitan aus dem Chaos, machte ihm bewu?t, da? er noch immer ein Mann mit eigenem Willen und der Kraft war, sich gegen die freigesetzten Naturkrafte zu wehren.

Er war uber die Planken gerutscht und gegen eine der niedrigen Fensteraufbauten gesto?en, deren Aufgabe es war, die Kajuten mit Licht und Luft zu versorgen.

Seine rechte Wange war an einer scharfen Kante entlanggeschrammt, daher der plotzliche Schmerz. Die Haut war aufgerissen.

Sein Blut vermischte sich mit dem Salzwasser, wurde von ihm aufgesogen wie alles, was der gierige Atlantik bekommen konnte.

Der Kapitan loste sich von diesem seltsam faszinierenden Anblick, krallte seine Hande um den Fensterkasten und zog sich hoch.

Erst als er halb aufrecht stand, sah er das Ungluck, das sich vor ihm anbahnte.

Jetzt wurde der HENRIETTA zum Verhangnis, da? die Seeleute nicht alle Segel hatten reffen oder einholen konnen.

Der Gro?mast in der Mitte des Schiffes, der das meiste Segelwerk trug, hielt dem Zerren und Peitschen des Sturms nicht langer stand.

Nicht ganz auf halber Hohe beugte sich der Mast nach vorn.

Weit nach vorn.

Gefahrlich weit, wenn man bedachte, da? die Masten eigentlich eine leichte Neigung nach achtern aufwiesen.

Zu weit...

Das gute, feste Fohrenholz splitterte wie ein Zahnstocher, den man nach dem Benutzen lassig zwischen zwei Fingern und Daumen zerbrach.

Aber mit viel weittragenderen Folgen.

Mit Entsetzen beobachtete der Kapitan des gepeinigten Schiffes, wie sich der obere Teil des Mastes vom unteren loste und aufs Deck fiel. Dabei ri? er alles mit sich: Rahen, Segel, Tauwerk.

Das schwere Gewirr aus Holz, Segeltuch und Tauen krachte senkrecht nach unten, wo ausgerechnet in diesem Augenblick weitere Passagiere aus dem Aufgang zum Zwischendeck kamen. Verwirrte, verangstigte Menschen, die nicht auf das Verhangnis uber ihren Kopfen achteten.

Und der Kapitan konnte nichts tun!

Er rief zwar, brullte, schrie sich die Seele aus dem Leib. Aber was war das schon gegen die geballte Macht des Orkans? Niemand horte ihn in dem Getose.

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