Kanonendonner und Pulverdampf. Dicke Rauchfahnen aus hohen Schornsteinen und im Wind knatternde Segel. Hektisch ausgesto?ene Kommandos und panische Schreie.

Im Pazifischen Ozean, einige Meilen vor der Westkuste des nordamerikanischen Kontinents, war die Holle ausgebrochen. Mochte das hellgraue Meer auch weithin friedlich unter dem dunklen Wolkenhimmel liegen, auf einem kleinen Flecken Wasser tobte ein Kampf ums Uberleben.

Das Schicksal hatte die Karten ungleich verteilt. Ein unbewaffnetes Segelschiff floh vor drei Dampfern - bewaffneten Dampfern.

Es waren Kriegsschiffe der Vereinigten Staaten von Amerika. Ein gro?er Raddampfer und zwei zu Schrauben-Fregatten umgebaute Kauffahrer, eine Bark und eine Brigg.

Sie hatten den Segler so gut wie umzingelt. Immer wieder spuckten ihre Geschutze Feuer, Rauch und todliche Geschosse aus.

Nur durch waghalsige Manover gelang es dem Kapitan des Seglers, schwere Schaden zu vermeiden. Das Gaffelsegel am Besanmast war bereits von einer Kartatsche zerfetzt worden.

Der Dreimaster war die ALBANY unter Kapitan Piet Hansen. Vorgeblich mit einer gro?en Ladung Minengeraten und ein paar Glucksrittern, die so schnell wie moglich zu den kalifornischen Goldfeldern wollten, unterwegs nach San Francisco.

In Wahrheit ein Blockadebrecher, der die Seeblockade der Nordstaaten durchbrechen wollte, um an der Kuste Mexikos zu ankern und Kriegsgut fur die Konfoderierten Staaten an Land zu bringen, das dann durch Nordmexiko nach Texas gebracht werden sollte.

Aber der Plan war aufgeflogen. Das kleine US-Geschwader war nach einer siebentagigen Seereise der ALBANY wie aus heiterem Himmel aufgetaucht und hatte den Segler unter Beschu? genommen, als dieser nicht beidrehte, um ein Prisenkommando an Bord zu nehmen.

Da? die ALBANY bei den waghalsigen Manovern nicht kenterte, schien an ein Wunder zu grenzen, war in Wahrheit aber dem erfahrenen Seebaren Piet Hansen zu verdanken, der das Steuerrad fuhrte, als sei er selbst ein Teil des holzernen Schiffskorpers.

Die hektischen Haken, die der Kapitan der ALBANY seiner schlanken Bark aufzwang, brachten an Bord alles in Unordnung, was nicht niet- und nagelfest war oder nicht von Jugend an auf schwankenden Schiffsplanken stand.

Zwei Menschen klammerten sich an der Steuerbordreling fest, ein Mann und eine Frau.

Der hunenhafte Mann mit dem sandfarbenen Haar und dem goldenen Ring im rechten Ohr war der deutsche Auswanderer Jacob Adler.

Die Frau, die durch Hansens Manover in seine Nahe gerutscht war, hatte ihr Gesicht wahrend der ganzen Schiffsreise unter einem Schleier verborgen gehalten. Der Schleier war so schwarz wie alles an ihr: vom Hut und Haarnetz uber das Kleid bis zu den Handschuhen.

Vergeblich hatte Jacob daruber nachgegrubelt, woher er die mysteriose Frau zu kennen glaubte. Bis ihm eben die lange gesuchte Erkenntnis gekommen war.

Durch den Sturz waren Hut, Schleier und Haarnetz vom Kopf der Frau gerutscht. Was er sah, bestatigte Jacobs Vermutung.

Und doch war es ein anderer Anblick als erwartet. Was da von feuerroten Locken umspielt wurde, war nicht das Gesicht einer schonen Frau, das er zu sehen erwartet hatte. Es war eine ha?liche Karikatur, furcht- und mitleiderregend zugleich.

»Wie... ist das...«, setzte der junge Zimmermann an, als er die erste Uberraschung verdaut hatte.

Aber die Frage blieb ihm im Hals stecken. Wie konnte man uber dieses Grauen reden, das einem schon beim blo?en Anblick die Sprache verschlug?

»Was glotzen Sie, Adler?« fragte das schrecklich entstellte Wesen, das einmal eine schone, begehrenswerte Frau gewesen war. »Sie haben mich wohl anders in Erinnerung, was? Ist kein schoner Anblick, ich wei?. Aber Sie sind nicht ganz unschuldig daran. Trotzdem will ich Ihnen ersparen, mich weiter anstarren zu mussen!«

Ihre Rechte ruckte vor. Jetzt erst bemerkte Jacob, da? sie noch immer den vierlaufigen Sharps Derringer in der Hand hielt.

Er hatte geglaubt, sie hatte die Taschenpistole verloren, als sie sturzte und uber die gischtbespruhten, glitschigen Planken rutschte.

Er wollte vorspringen und ihr die Waffe entrei?en. Aber gerade in diesem Augenblick lie? Piet Hansen die ALBANY einen erneuten Haken schlagen, den manch anderer Kapitan sogar mit einem kleineren, wendigeren Schiff nicht hinbekommen hatte. Dadurch wurde Jacob wieder gegen die Reling geschleudert.

Er konnte nichts tun. Nur zusehen, wie sich der im schwarzen Handschuhleder steckende Zeigefinger um den Abzug krummte. Ein Feuerstrahl schlug aus der Mundung.

Ein absonderlicher, in diesem Moment vollig unbedeutender Gedanke scho? durch Jacobs Kopf: Die Mundungsflamme war fur die kleine Waffe ungewohnlich gro?.

Jacob spurte einen Schlag am Kopf, als hatte ihn ein Vorschlaghammer getroffen. Dem stechenden Schmerz folgte gnadige, alles verschlingende Dunkelheit, die sich wie ein plotzlich herabfallendes Tuch uber seine Augen und samtliche Sinne legte. Es war die Finsternis des Vergessens.

»Jacob, neeeiiin!«

Irene Sommer stie? den markerschutternden Schrei aus, als der Schu? krachte.

Die junge Deutsche, die ihren kleinen Sohn Jamie in den Armen hielt, sah, wie Jacob mit dem Rucken an der Reling nach unten rutschte. Sein blutuberstromter Kopf schlug auf die nassen Planken. Dann bewegte sich der junge Mann, den sie heimlich so sehr liebte, nicht mehr.

Aber die Blutlache um seinen Kopf vergro?erte sich. Bis die ALBANY eine Welle durchschnitt und ein gro?er Brecher mit seiner salzigen Flut das Blut wegwusch.

Irene wollte zu dem Geliebten laufen, aber Joe Weisman hielt sie mit eiserner Klaue fest.

»Nicht, Lady!« schrie der Zweite Steuermann der ALBANY gegen den Larm an, der aus Kanonendonner, gegen die Rahen klatschenden Segeln, unter der Last achzenden Planken und aufgeregtem Gebrull bestand. »Denken Sie an das Kind!«

Der gedrungene Deutsch-Amerikaner hielt sich mit einer Hand an einem der Pfosten fest, die das Dach uber dem Platz des Steuermanns trugen. Die andere Hand hielt Irene und verhinderte, da? Mutter und Kind zu hilflosen Spielballen des auf und nieder stampfenden, von einer Seite zur anderen rollenden Schiffes wurden. Vor Anstrengung tanzten dunkle Flecken pochenden Blutes auf seinem sonst nur leicht geroteten Gesicht.

Traurig erkannte die Frau, da? er recht hatte. Als Mutter war es ihre erste Pflicht, fur Jamies Wohlergehen und Sicherheit zu sorgen.

Und Jacob?

Es sah ganz so aus, als konne sie nichts mehr fur ihn tun. Sie nicht und kein anderer Mensch auf dieser Welt. Der Schu? aus nachster Nahe hatte ihn in den Kopf getroffen.

Er mu?te tot sein!

Die Erkenntnis zog alle Kraft aus Irenes Beinen. Auch Weisman konnte sie nicht mehr halten und lie? sie sanft zu Boden gleiten.

Er zeigte auf die Pfosten des Unterstands und rief: »Halten Sie sich daran fest, Lady!«

Irene nickte und krallte mit letzter Kraft ihre Hande um einen der Pfosten, wahrend sie Jamie in ihre Arme schlo?.

»Geht es?« fragte der Zweite Steuermann.

Wieder bestand Irenes Antwort nur in einem schwachen Nicken. Zu mehr fuhlte sie sich nicht in der Lage.

Der Gedanke an Jacobs Tod lahmte sie, lie? alles plotzlich so sinnlos erscheinen.

Vielleicht hatte sie den holzernen Pfosten losgelassen und sich von einem der uber die Reling schwappenden Brecher mit ins Meer rei?en lassen, ware der laut schreiende Junge nicht gewesen.

Nur kurz streifte Piet Hansens Blick von Jacob Adler zu Irene Sommer. Er fuhlte Mitleid und Schuld, aber er hatte keine Zeit, sich um die junge Frau zu kummern.

Wenn er sich ablenken lie?, konnte das den Tod fur alle anderen Menschen an Bord bedeuten. Er hatte nicht gedacht, da? die Yankees ein unbewaffnetes Schiff derart hemmungslos unter Beschu? nehmen wurden. Offenbar war es ihnen bluternst mit ihrer Seeblockade der Sudstaaten.

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