Genossen. Und doch waren sie jetzt nach Hobart-Town zurückgekehrt. freiwillig zurückgekehrt!
Selbstverständlich hatte Herr Hawkins sofort um eine Audienz bei Sir Edward Carrigan nachgesucht. Der Gouverneur, dem die Sache ebenfalls zu Herzen ging, beschloß alles, was in seiner Macht stände, zu tun, jenen Justizirrtum zu beseitigen und eine Revision einzuleiten, die den Gebrüdern Kip ihre bürgerliche Ehre wiedergeben müßte. Wie sehr wäre dieses Vorhaben begünstigt worden, wenn man Flig Balt, Vin Mod und ihre Genossen hätte dingfest machen können!
Es erklärt sich wohl leicht, daß die Einwohnerschaft von Hobart-Town bei der überall herrschenden Erregung sich entschieden zu Gunsten Karl und Pieter Kips aussprach. Wer kennt nicht die Wandelbarkeit der großen Menge? Dergleichen ist ja ganz gewöhnlich. Doch rechtfertigte im vorliegenden Falle nicht alles, was seit der ersten Verhaftung der beiden Brüder geschehen war, diesen Umschlag der öffentlichen Meinung?
Sehr bald wurde ein Richter des Kriminalgerichtes beauftragt, die Untersuchung der Angelegenheit wieder aufzunehmen oder eigentlich wieder anzufangen. Er sollte die beiden Verurteilten aufs neue befragen und nötigenfalls noch weitere Zeugen aufrufen. Irgend eine neue Tatsache konnte doch noch mehr für die Unschuld der Holländer sprechen und eine Revision des Prozesses herbeiführen.
Ergab die erneute Untersuchung freilich nicht, daß einer oder mehrere andere als die Gebrüder Kip die Mörder des Kapitäns Gibson waren, so behielt das frühere Urteil seine Rechtskraft, und eine eigentliche Wiederaufnahme des ganzen Verfahrens blieb dann ausgeschlossen.
Die Voruntersuchung nahm also ihren gesetzlich vorgeschriebenen Lauf. Unter den vorliegenden Verhältnissen, der Entfernung des Tatortes und der Schwierigkeit aller
Nachforschungen bezüglich Flig Balts, Vin Mods, Len Cannons und der übrigen, die sich auf dem »Kaiser« befinden sollten, mußte sie sich jedenfalls sehr lange hinziehen.
In dieser Voraussicht wurde auch gleich vom ersten Tage an die Gefängnisordnung für die beiden Gefangenen wesentlich gemildert, und diese wurden nicht von der Welt abgesperrt gehalten. Man verschloß ihre Zelle nicht den Personen, die sich für ihr Schicksal interessierten, und darunter befanden sich natürlich die Herren Hawkins und Zieger, deren ermutigendes Zureden ihnen die Erduldung dieser immerhin harten Prüfung erleichterte.
Der Lord chief-justice des Vereinigten Königreiches war von der überraschenden Wendung der Angelegenheit in Kenntnis gesetzt worden. Da man großes Gewicht auf die Entdeckung des »Kaisers« legte, wurde Befehl gegeben, in dem Teile des Großen Ozeans, der Neuguinea, den Bismarck-Archipel, die Salomonsinseln und die Neuen Hebriden umfaßt, nach dem Schiffe zu suchen. Die deutsche Verwaltung hatte dieselben Maßregeln angeordnet, schon mit Rücksicht auf die Möglichkeit, daß der »Kaiser« in den Gegenden, die unter deutscher und englischer Schutzherrschaft stehen, doch Piraten in die Hände gefallen sein könnte.
In Hobart-Town, wo der Untersuchungsrichter und Herr Hawkins die getroffenen Maßregeln kannten, betrieben diese beiden die Auffindung weiterer Zeugen.
Die beiden Brüder waren über ihren Aufenthalt im Gasthause zum Great Old Man befragt worden und vor allem, ob sie bemerkt hätten, daß das Zimmer neben dem ihrigen bewohnt gewesen sei. Darüber konnten sie keine Auskunft geben, denn sie hatten das Gasthaus stets früh am Morgen verlassen und es erst zum Schlafengehen wieder aufgesucht.
Der Beamte und Herr Hawkins hatten sich selbst nach dem genannten Gasthause begeben und da gesehen, daß der innere
Balkan des Hofes recht gut ein Eindringen in das Nachbarzimmer ermöglichte.
Der Gastwirt, bei dem häufig viele Personen die Nacht zubrachten, erinnerte sich aber nicht, von wem das zweite Zimmer damals bewohnt gewesen wäre.
Anderseits konnte der Wirt der Fresh-Fishs, als er vor Gericht gerufen war, der Wahrheit entsprechend versichern, daß Vin Mod und die übrigen seit der Ankunft des »JamesCook« bis zum Tage der Verhaftung der Gebrüder Kip ununterbrochen in seinem Hause gewohnt hätten.
So kam der 20. Juli heran. Mehr als ein Monat war bereits verflossen, seit Karl und Pieter Kip sich der Behörde freiwillig gestellt hatten. Die Voruntersuchung verlief ergebnislos. Ein Umstand, auf den sich die Revision hätte stützen können, fehlte noch immer. Hawkins erlahmte deswegen noch nicht, seine Ohnmacht verursachte ihm aber doch recht schweren Kummer.
Trotz der vertröstenden Worte des Reeders, überließ sich Karl Kip zuweilen einer völligen Verzweiflung, wogegen sein Bruder nur mit Mühe anzukämpfen vermochte. Er machte Pieter vielleicht sogar Vorwürfe, von Amerika nach Australien haben zurückkehren zu wollen, um sich hier dem Gerichte auszuliefern, das sie schon einmal verurteilt hatte.
»Und das uns auch ein zweites Mal verurteilen wird, sagte eines Tages Karl Kip.
- Nein. Bruder. nein! rief Pieter Kip. Das wird Gott nicht zulassen!
- Er hat es doch zugelassen, daß wir als Mörder zum Tode verurteilt, daß unsere Namen geschändet wurden.
- Habe nur Vertrauen, mein armer Bruder, verliere das Gottvertrauen nicht!«
Pieter Kip konnte nicht anders antworten. Sein Vertrauen wurde freilich durch nichts erschüttert: es war so fest begründet, wie das des Herrn Hawkins auf ihre Unschuld.
Zu dieser Zeit bekümmerte sich Herr Zieger, dessen Aufenthalt in Hobart-Town sich nicht über zwei Wochen ausdehnen sollte, schon um Plätze auf einem deutschen oder englischen Dampfer, der nach Port-Praslin abgehen sollte.
Die zwei Wochen verlebten die beiden Familien im traulichsten Umgange. Seit der Rückkehr der Gebrüder Kip teilten sie bezüglich dieser die gleichen Gedanken, die gleichen Hoffnungen. Frau Gibson quälte die Vorstellung, daß hier zwei Unschuldige die Opfer eines Justizirrtums gewesen seien, und sie litt schwer daran, sich die Lage der Sache immer noch nicht verändern zu sehen.
In der Tat blieb die Angelegenheit, soweit eine Revision in Frage kam, sozusagen auf dem toten Punkte. Neue Erkundigungen in Holland über die Gebrüder Kip bestätigten nur die früher erhaltene Auskunft. In dem Lande, wo die Erinnerung an die geachtete Familie noch fortlebte, gab es nur wenige, die an eine Schuld des Brüderpaares geglaubt hatten, nachdem aber gar ihre Rückkehr in Groningen bekannt geworden war, gestand jeder zu, daß ihre Verurteilung nur auf einem Justizirrtum beruhen könnte.
Alles kam aber doch nur auf menschliche Gefühle hinaus, und der Beamte erhielt keine Aufklärung, die juristisch gewichtig genug gewesen wäre, eine Wiederaufnahme der Angelegenheit zu rechtfertigen.
Was das deutsche Schiff, den »Kaiser«, betraf, so meldeten die Schiffsnachrichten nach seinem Auslaufen von Port-Praslin nichts davon, daß es an den Salomonsinseln oder an einer der benachbarten Inselgruppen vorbeigesegelt wäre. Es blieb also nach wie vor unmöglich zu wissen, was aus Flig Balt, Vin Mod und etwaigen anderen, die bei dem Verbrechen von Kerawara in Betracht kamen, in der letzten Zeit geworden sein möchte.
Zum größten Leidwesen des Herrn Hawkins wollte der Beamte schon auf die weitere Voruntersuchung verzichten. Das bedeutete aber die endgültige Verurteilung und die Wiedereinlieferung der beiden Brüder in die Strafanstalt von Port-Arthur, wenn nicht etwa ein königlicher Gnadenakt ihren schrecklichen Prüfungen ein Ende machte.
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