Beweismaterial zu suchen. Oder auch nur, weil ich es konnte. Damals gehorte alles dazu. Aber … Die kosmische Gerechtigkeit ist schei?e. Glaubst du an Karma, Molly?«

»Karma nich sagen«, antwortete Molly munter. »Hast du dich nicht mal mit dem Gedanken getragen, irgendwelche Schutzvorrichtungen um deine Bleibe herum anzubringen?«

Ich schnaubte verachtlich. »Ich habe Tonnen von den verdammten Dingern; du hattest bessere Chancen, in Bill Gates' privates Pornoversteck als in meine Wohnung einzubrechen! Aber nichts, womit meine Familie nicht fertig wurde. Ich habe eben nie gedacht, dass ich mich einmal vor meiner eigenen Familie schutzen musste.«

Molly runzelte die Stirn. »Mussten denn die Nachbarn nichts gehort und die Polizei gerufen haben?«

»Die Menschen horen nie einen Drood bei der Arbeit«, erwiderte ich. »Und wenn doch, dann sorgen wir dafur, dass sie es wieder vergessen.«

»Selbstverstandlich zu ihrem eigenen Besten!«

»Gro?tenteils ja. Ah, ich verstehe - das war ironisch gemeint! Tut mir leid, im Aufspuren von Ironie bin ich oft nicht besonders gut.«

»Du und deine ganze Familie«, brummte Molly.

»Was?«

»Nichts. Was meinst du, was sie wohl hier gesucht haben?«

»Das Ubliche«, sagte ich. »Gegenstande der Macht, unerlaubte Grimoires und verbotene Texte, Informationen, zu denen ich keinen Zugang gehabt haben sollte. Moglicherweise sogar Aufzeichnungen uber gezahlte Summen von au?erhalb der Familie - alles, womit sie mich verdammen, unter Druck setzen oder erpressen konnten. Meine Familie hat es schon immer vorgezogen, aus einer Position der Starke heraus zu verhandeln. Idioten! Als ob ich irgendetwas so Wichtiges einfach hier rumliegen lassen wurde, damit es jeder finden kann.«

»Stimmt!«, pflichtete Molly mir bei und grinste schelmisch. »Wo bewahrst du eigentlich dein wirklich geheimes Zeugs auf, Eddie? Deine peinlichen Fotos von dir als Kind, deine alten Teenagerschwarmliebesbriefe und deine personlichen unanstandigen Filme? Gibt es da irgendwelche Lieblingsstucke, die du vielleicht mitnehmen mochtest? Ich kann sehr tolerant sein …«

»Ich habe keine solchen Sachen«, erwiderte ich mit einiger Wurde.

Molly seufzte und schuttelte den Kopf. »Fur einen Geheimagenten hast du ein sehr behutetes Leben gefuhrt. Aber keine Angst, Eddie; ich werde deine Pornografie sein.«

Ich lachelte. »Und da sagen die Leute, heutzutage gabe es kein romantisches Gesausel mehr.«

Ich brauchte nicht lang, um die wenigen Dinge aufzusammeln, die ich mitnehmen wollte. Ein paar ladierte alte Meister Petz und die Seeziege-Bucher, die ich als Kind am liebsten gemocht hatte. Ein gerahmtes Foto meiner Eltern, aufgenommen unmittelbar bevor sie fortgingen, um bei einem letzten Auftrag fur die Familie zu sterben. Neugierig betrachtete Molly das Foto.

»Sie sehen so jung aus«, sagte sie schlie?lich. »Nicht mal so alt wie wir jetzt. Ungefahr im selben Alter wie meine Eltern, als sie von den Droods ermordet wurden.«

»Wir haben so viel gemeinsam«, sagte ich und warf das Foto zusammen mit den Buchern in eine Tragetasche. »Ich verspreche dir: Ich werde die Wahrheit daruber herausfinden, was wirklich mit deinen Eltern passiert ist - und mit meinen.«

»Wenn du willst«, meinte Molly. »Ich hab's dir ja schon gesagt: Ich halte nichts davon, zuruckzublicken.«

Ich rettete ungefahr ein Dutzend meiner Lieblings-CDs aus dem Durcheinander auf dem Boden. (Molly zog die Grenze bei allen meinen Enya-Alben, was mir ein bisschen gemein vorkam. Ich habe ja schlie?lich auch nichts dagegen, wenn sie ihre Iron Maidens im Auto abspielt.) Und das … war es. Ich schaute um mich, aber es gab sonst nichts, was ich mitnehmen wollte. Ich blickte nach unten auf die Tragetasche: Nicht viel vorzuweisen fur ein Leben.

»Ich hatte schon ein paar wirklich gute Tage hier«, sagte ich.

»Aber sicher doch!«, meinte Molly. »Ich wette, du warst an den Wochenenden ein richtiger Partylowe!«

»Nein«, entgegnete ich. »Ich habe so gut wie nie Leute mit hierher gebracht. Denn die Leute kannten mich nur als Shaman Bond, und das hier war der einzige Ort, wo ich Eddie Drood sein konnte. Die Familie sieht es nicht gerne, wenn Frontagenten zu gute Freunde oder dergleichen haben: Enge Freundschaften konnten unsere Loyalitat der Familie gegenuber verwassern. Und man kann ohnehin nie jemandem wirklich nahestehen, wenn das gemeinsame Leben auf einer Luge beruht. Agenten an der Front fuhren einsame Leben, das mussen wir. Denn wenn man jemanden gern hat, dann will man ihn nicht in Gefahr bringen.«

»Und deine Familie hat das unterstutzt?«, fragte Molly.

»Selbstverstandlich! Sie wollte, dass die Familie das Wichtigste in unserem Leben ist, damit wir nie in Versuchung kamen, uns von ihr abzuwenden. Ich hatte mehr Freiheit als die meisten, und dennoch unterwarf ich mich der Familienrichtlinie - bis zu dem Punkt, wo sie sich gegen mich wandte. Ich hatte Freunde, aber ich konnte ihnen nie etwas erzahlen, was mir wichtig war. Ich hatte Verhaltnisse, aber ich hatte nie Beziehungen. Es war nicht gestattet. Alles, was ich hatte, war die Arbeit.«

»Wenn du mir jetzt weinerlich kommst«, sagte Molly bestimmt, »werde ich dir eine runterhauen, und die wird dir wehtun! Ich hab's dir doch gesagt: Nie zuruckblicken! Alles, was du dort zu sehen bekommst, sind Fehler, Misserfolge und verpasste Gelegenheiten. Konzentriere dich aufs Hier und Jetzt! Du fuhrst deine Familie, du hast die besten Sachen zum Spielen und du hast mich! Was konnte sich ein sterblicher Mann noch mehr wunschen?«

»Meine Enya-CDs.«

»Die erste Ohrfeige ist unterwegs.«

Wir lachten beide. Ich nahm sie in die Arme und druckte sie fest an mich. Sie schmiegte ihr Gesicht an meine Schulter und fuhr mir mit den Handen uber den Rucken. Ich beugte meinen Kopf uber ihren und atmete tief den Duft ihres Haares ein. Ich hatte das Gefuhl … ewig so bleiben zu konnen. Aber ich hatte Dinge zu erledigen.

»Meine Welt war fruher so unkompliziert«, sagte ich. »Ich wusste, wer ich war und was ich war und was ich mit meinem Leben anfangen sollte.«

»Nein«, widersprach Molly, ohne ihren Kopf von meiner Schulter zu heben. »Du dachtest nur, du wusstest es. Willkommen in der echten Welt, Eddie! Abscheulicher Ort, nicht wahr?«

»Nein«, widersprach ich. »Sie hat dich in sich.«

Wir verlie?en die Wohnung und begaben uns nach unten in den umschlossenen Hof - und blieben prompt stehen, als uns zu Bewusstsein kam, dass das schmiedeeiserne Tor weit offen stand. Ich blickte hinaus auf die Stra?e, und eine ganze Armee schwer bewaffneter und gepanzerter Manner erwiderte meinen Blick. Molly kam zu mir und stellte sich dicht neben mich. Zwei schwarze Kampfhubschrauber erfullten den fruhen Morgen mit ihrem Larm, wahrend sie oben in Stellung gingen. Ich hob den Kopf und straffte die Schultern. Erste Regel eines Frontagenten: Niemals Angst zeigen. Ich schlenderte zum offenen Tor hinuber, um mir die Sache genauer anzuschauen.

Es mussten mindestens funfzig Bewaffnete sein, anonym in Korperpanzerung und Helmen mit dunklen Visieren, von denen jeder Einzelne seine uberdimensionierte Waffe genau auf mich gerichtet hatte. Automatische Waffen, die neuesten Modelle - sie wollten kein Risiko eingehen. Ich sah die Stra?e hoch und runter: Sie hatten beide Enden mit gepanzerten Fahrzeugen blockiert. Verangstigte Gesichter spahten durch geschlossene Fenster die Stra?e hoch und runter: Im kultivierten Knightsbridge erwartete man keine Anblicke wie diesen.

Eine gepanzerte Gestalt kam vor, um mir entgegenzutreten, wobei sie allerdings einen Sicherheitsabstand einhielt. Der Mann schob sein Visier gerade so weit hoch, dass er ein elektrisches Megaphon darunter bekam.

»Edwin Drood, Molly Metcalf! Wir befehlen Ihnen, sich zu ergeben. Der Nichtbefolgung dieses Befehls wird mit aller gebotenen Gewalt begegnet werden.«

Ich schaute Molly an. »Und? Wie mochtest du das gern spielen?«

Sie lachelte liebreizend. »Ach, wie ublich, denke ich. Jeden Einzelnen mit extremer Brutalitat und Unerfreulichkeit heimsuchen, plotzlich und gemein und uberall.«

»Eine Frau nach meinem Geschmack!«, lobte ich.

»Ergeben Sie sich oder sterben Sie!«, donnerte der Wortfuhrer durch sein

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