keine Namen mehr, es waren Nummern. Vereinigt bildeten sie eine Gesamtheit; diese Gesamtheit war das schändliche Ding, das man Bagno[2] nennt.

Der Hafenkommandant hatte mir offenbar ein seltsames Geschenk gemacht.

Und dennoch war es mir nicht unangenehm, diese Menschen von nahem zu sehen, Menschen, deren Titel allein, in einem Salon ausgesprochen, Schrecken verbreitet.

Ich näherte mich ihnen, sie standen auf und nahmen ihre Mützen ab.

»Meine Freunde«, sagte ich, »ihr wißt, daß euch der Hafenkommandant für die ganze Zeit, die ich in Toulon bleiben werde, zu meiner Verfügung gestellt hat?«

Keiner von ihnen antwortete, weder durch ein Wort noch durch eine Gebärde.

»Ich hoffe, ich werde mit euch zufrieden sein«, fuhr ich fort, »ihr aber, seid unbesorgt, werdet auch mit mir zufrieden sein.«

Dasselbe Stillschweigen.

Ich begriff, daß dies eine Sache der Disziplin war.

Ich holte einige Geldstücke aus der Tasche und bot sie ihnen mit der Bemerkung an, sie möchten damit auf meine Gesundheit trinken, doch nicht eine Hand streckte sich aus, um sie zu nehmen.

»Es ist ihnen verboten, etwas anzunehmen«, sagte der Aufseher.

»Und warum das?« fragte ich.

»Sie dürfen kein Geld besitzen.«

»Aber Sie - können Sie ihnen nicht erlauben, ein Glas Wein zu trinken, bis wir bereit sind?«

»Aber natürlich!«

»Nun, so lassen Sie ein Frühstück aus der Schenke des Forts holen, ich werde bezahlen.«

»Ich sagte es schon dem Kommandanten«, versetzte der Aufseher, mit einer und derselben Bewegung den Kopf und die Schultern schüttelnd, »ich sagte es schon, Sie würden sie mir verderben. Doch da sie in Ihrem Dienste stehen, müssen sie wohl tun, was Sie wollen. Vorwärts, Gabriel; im Fort Lamalgue holst du Brot, Wein und ein Stück Käse.«

»Ich bin im Bagno, um zu arbeiten, nicht aber um Ihre Aufträge auszuführen«, antwortete derjenige, an den dieser Befehl gerichtet war.

»Ach, richtig; ich vergaß, daß du ein zu vornehmer Herr bist, um das zu tun, Herr Doktor; doch da es sich ebensogut um dein Frühstück handelt als um das der anderen ...«

»Ich habe meine Suppe gegessen, und mich hungert nicht«, antwortete der Galeerensklave.

»Entschuldigen Sie - nun wohl! Rossignol wird nicht so stolz sein. Vorwärts, Rossignol, mein Sohn.«

Die Vermutung des ehrenwerten Aufsehers war richtig. Derjenige, an den das Wort gerichtet gewesen war und der ohne Zweifel seinen Namen dem Mißbrauch verdankte, den er mit dem geistreichen Instrument getrieben hatte, mit dessen Hilfe man den fehlenden Schlüssel zu ersetzen pflegt, mit einem Dietrich, stand auf, schleppte seinen Kameraden hinter sich her - im Bagno sind bekanntlich immer zwei Sträflinge aneinandergekettet - und ging auf die Schenke zu, die uns mit Lebensmitteln zu versehen die Ehre hatte.

Mittlerweile warf ich einen Blick auf den Widerspenstigen, dessen wenig ehrfurchtsvolle Antwort zu meinem großen Erstaunen anscheinend keine Strafe nach sich zu ziehen schien. Der jedoch hatte den Kopf von mir abgewandt, und da er diese Stellung mit einer Beharrlichkeit behauptete, die das Resultat eines festen Entschlusses zu sein schien, konnte ich sein Gesicht nicht sehen; aber ich prägte mir sein blondes Haar und seinen roten Schnurrbart ein, kehrte in meine Bastide zurück und nahm mir vor, den Mann in einem günstigen Augenblick näher zu betrachten.

Ich gestehe, daß mich meine Neugier veranlaßte, mein Frühstück zu beschleunigen. Ich trieb auch Jadin, der meine Ungeduld nicht begriff, zur Eile und kehrte zum Strand zurück.

Unsere neuen Diener waren nicht so weit vorgerückt wie wir: Wein vom Fort Lamalgue, Weißbrot und Käse waren für sie etwas Außergewöhnliches, etwas, das sie sonst gar nicht hatten, und so zogen sie den Genuß ihres Mahles in die Länge.

Rossignol und sein Gefährte besonders schienen dieses Glück im höchsten Grad zu schätzen.

Fügen wir hinzu, daß der Aufseher seinerseits menschlich genug war, es wie seine Untergebenen zu machen: Nur hatten seine Untergebenen eine Flasche für zwei, während er zwei Flaschen für sich allein hatte.

Jener Gabriel war zwar von seinem Kettengenossen, der nicht auf das Mahl verzichten wollte, gezwungen worden, sich mit den andern zu setzen; aber in seiner menschenfeindlichen Stimmung schaute er ihnen nur verächtlich zu, wie sie speisten, ohne irgend etwas anzurühren.

Als die Galeerensklaven mich erblickten, standen sie alle auf, obgleich ihr Mahl, wie gesagt, noch nicht verzehrt war; ich gab ihnen jedoch durch ein Zeichen zu verstehen, sie mögen beenden, was sie so gut angefangen, und ich würde warten.

Der Mann, den ich sehen wollte, hatte keine Mittel mehr, meine Blicke zu vermeiden.

Ich schaute ihn also in aller Ruhe an, obgleich er seine Mütze absichtlich, um dieser Prüfung zu entgehen, bis an die Augen gezogen hatte.

Er mochte ungefähr achtundzwanzig bis dreißig Jahre alt sein; im Gegensatz zu seinen Nachbarn, auf deren roher Physiognomie man leicht die Leidenschaften lesen konnte, die sie an den Ort geführt hatten, wo sie nunmehr waren, hatte er eines von den verwaschenen Gesichtern, bei denen man von einer gewissen Entfernung an keinen Zug erkennt. Sein Bart - es war ein Vollbart - war spärlich und von einer falschen Farbe und vermochte seinem Gesicht keinen bestimmten Charakter zu geben.

Seine hellgrauen Augen schweiften unentschieden von einem Gegenstand zum andern, ohne sich durch irgendeinen Ausdruck zu beleben; seine Glieder waren schwächlich und schienen von der Natur durchaus zu keiner anstrengenden Arbeit bestimmt zu sein.

Kurz, von den sieben Todsünden, die auf der Erde im Namen des Feindes der Menschheit Anhänger werben, war diejenige, unter deren Banner er sich hatte aufnehmen lassen, offenbar die Trägheit.

Ich hätte also meine Blicke schnell wieder von diesem Menschen abgewandt, der, wie ich mit Bestimmtheit annahm, zum Studium nur ein Verbrechen zweiten Ranges zu bieten vermochte, wäre nicht durch eine schwache Erinnerung meinem Gedächtnis zugeflüstert worden: Du siehst ihn nicht zum erstenmal.

Leider war es, wie erwähnt, eine von jenen Physiognomien, bei denen nichts auffällt, eine von jenen, die, abgesehen von ganz besonderen Gründen, keinen Eindruck hinterlassen.

Während ich überzeugt blieb, daß ich diesen Menschen schon gesehen haben mußte - was dadurch, daß er meine Blicke so beharrlich vermied, bestätigt wurde -, war es mir unmöglich, mich zu erinnern, wo und wie ich ihn gesehen.

Ich näherte mich dem Aufseher und fragte ihn nach dem Namen desjenigen meiner Gäste, der meinem Mahl so wenig Ehre erwies.

Er hieß Gabriel Lambert.

Dieser Name unterstützte mein Gedächtnis durchaus nicht; ich hörte ihn zum erstenmal. Ich glaubte, ich hätte mich getäuscht, und da Jadin auf der Schwelle unserer Villa erschien, ging ich ihm entgegen.

Jadin brachte unsere zwei Flinten; wir hatten an diesem Tag nichts anderes vor, als Seevögel zu schießen.

Ich sprach ein paar Worte mit Jadin und empfahl ihm, den Mann, welcher der Gegenstand meiner Neugier war, aufmerksam zu betrachten. Doch Jadin erinnerte sich nicht, ihn gesehen zu haben, und der Name Gabriel Lambert war ihm wie mir völlig fremd.

Mittlerweile hatten unsere Galeerensklaven ihr Mahl beendet; sie standen auf, um wieder ihren Posten in der Barke einzunehmen; wir näherten uns dem Boot ebenfalls. Und da wir, um es zu erreichen, von Fels zu Fels springen mußten, machte der Aufseher diesen Unglücklichen ein Zeichen, und sie traten sofort bis an die Knie ins Wasser, um uns zu helfen.

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