»Dann werde ich ein Taxi bestellen, schnurstracks zu ihm fahren und ihn mit eigener Hand ins Jenseits befordern.«

Lachend verschwand sie ins Nebenzimmer, gerade in dem Augenblick, als Martin Bryan mit Carlotta Adams und ihrem Begleiter sowie mit dem Paar, das am selben Tisch wie er und Jane Wilkinson gesessen hatte, vom Korridor hereinkam. Man stellte die beiden als Mr. und Mrs. Widburn vor.

»Hallo! Wo steckt denn Jane?« rief Bryan. »Sie soll doch sehen, da? ich ihren Auftrag ausgefuhrt habe.«

Jetzt tauchte die Kunstlerin auf der Schwelle des Schlafzimmers wieder auf, einen Lippenstift in der Hand.

»Haben Sie sie gebracht, Martin ...? Famos! Miss Adams, ich bewundere Ihre Verwandlungskunst so sehr, da? ich Sie kennenlernen mu?te. Kommen Sie hier herein und plaudern Sie mit mir, wahrend ich mein Gesicht ein bi?chen richte. Es befand sich in einem verheerenden Zustand.«

Carlotta nahm die Einladung an und verlie? uns. »Nun, Monsieur Poirot«, meinte Martin Bryan, indem er sich in einen Sessel warf, »hat unsere gute Jane Sie gekapert und uberredet, fur sie zu streiten? Strauben Sie sich nicht lange. Heute oder morgen mussen Sie doch nachgeben, denn das Wort nein begreift Jane einfach nicht.« Er lehnte sich weit zuruck und paffte faul den Zigarettenrauch zur Decke empor. »Ein ungemein fesselnder Charakter, diese Jane! Tabu gibt es nicht fur sie. Moral auch nicht. Das soll nicht hei?en, da? sie direkt unmoralisch sei - nein. Amoral . der Ausdruck wurde meines Erachtens fur sie passen. Sie sieht im Leben nur eins: was Jane wunscht.« Er lachte amusiert.

»Ich glaube, sie wurde munter jemand toten und sich beleidigt fuhlen, wenn man sie hinterdrein erwischte und wegen ihrer Tat aufhangen wollte. Und das Schlimmste ist, da? sie unfehlbar erwischt werden wurde. Sie hat ja keine Uberlegung. Mit einer Droschke vorfahren, unter ihrem richtigen Namen ins Haus spazieren und ihr Opfer uber den Haufen schie?en - so fa?t sie einen Mord auf.«

»Nun mochte ich wirklich gern wissen, weshalb Sie das sagen«, murmelte Poirot, kaum horbar. »Bitte?«

»Sie kennen sie gut, Monsieur?«

»Das wollte ich meinen!«

Abermals lachte er, doch es klang ungewohnlich bitter. »Ja, Jane ist eine Egoistin«, pflichtete ihm Mrs. Widburn bei. »Eine Schauspielerin mu? es freilich sein, wenn sie ihrer Personlichkeit Geltung verschaffen will.«

Hercule Poirot au?erte sich hierzu nicht. Seine Augen ruhten auf Martin Bryans Zugen, verweilten dort mit einem merkwurdig forschenden Ausdruck, den ich nicht ganz verstand. Wahrend ich mich noch bemuhte, die Erklarung dafur zu finden, rauschte Jane vom Nachbarzimmer herein, dicht auf ihren Fersen Carlotta Adams. Ich vermutete, da? Jane Wilkinson nunmehr ihr Gesicht so »gerichtet« hatte, da? es auch sie befriedigte; ich selbst nahm allerdings keine Veranderung wahr und fand es uberdies keiner Verbesserung bedurftig.

Das Abendessen, das nun folgte, gestaltete sich ziemlich lustig, und dennoch hatte ich bisweilen das Gefuhl von dem Vorhandensein gewisser nicht naher erklarbarer Unterstromungen.

Jane Wilkinson sprach ich von jeder doppelzungigen Schlauheit frei. Offensichtlich war sie eine junge Frau, die zur Zeit nur von einem einzigen Gedanken beherrscht wurde. Sie hatte eine Unterredung mit Poirot begehrt, sie erhalten und befand sich jetzt in ausgezeichneter Stimmung. Ihr Wunsch, Carlotta Adams in unseren abendlichen Kreis zu ziehen, entsprang - so sagte ich mir - einer fluchtigen Laune; war ein Nachwehen jenes kindlichen Vergnugens, mit dem sie sich an der gelungenen Nachahmung ihrer eigenen Person ergotzt hatte.

Nein, die Unterstromungen, die ich ahnte, hingen nicht mit Jane Wilkinson zusammen. Mit wem aber sonst?

Der Reihe nach begann ich die Gaste zu studieren. Martin Bryan? Er benahm sich bestimmt nicht ganz naturlich. Doch konnte das ganz gut eine charakteristische Eigenschaft eines Filmstars sein, der, zu sehr daran gewohnt, eine Rolle zu spielen, stets das ubersteigerte Selbstbewu?tsein des eitlen Mannes zur Schau tragt.

Carlotta Adams gab sich jedenfalls ganz ungezwungen. Sie war ein ausgeglichenes junges Madchen mit einer angenehm weichen Stimme. Da es das Schicksal fugte, da? ich in ihrer nachsten Nahe sa?, betrachtete ich sie voll Aufmerksamkeit. Ein vornehmer Charme umgab sie. Ihr fehlte vollkommen jedwede mi?tonende, unangenehme oder kreischende Note. Wie ein menschgewordener weicher, sanfter Gleichklang erschien sie mir mit ihrem dunklen Haar, den ziemlich farblosen blauen Augen, dem blassen Gesicht und dem beweglichen, empfindsamen Mund. Ein Gesicht, das einem gefiel, aber das man schwer wiedererkennen wurde, wenn es einem in anderer Umgebung und - sozusagen - in anderen Kleidern begegnete.

Janes Gute und liebenswurdige Komplimente schienen sie zu bestricken. Jedes Madchen wurde davon bezaubert sein, dachte ich ... und dann, im namlichen Augenblick, ereignete sich etwas, das mich mein allzu schnelles Urteil revidieren lie?.

Carlotta Adams umfing die Gastgeberin, die gerade den Kopf abgewandt hatte und Hercule Poirot anredete, mit einem sonderbar prufenden, untersuchenden Blick; er glich einem bedachtigen Zusammenfassen, und au?erdem lag in jenen bla?blauen Augen eine ausgesprochene Feindseligkeit.

Eine Grille vielleicht. Oder auch berufliche Eifersucht. Jane war eine erfolggekronte Schauspielerin, und Carlotta begann die Leiter des Ruhmes erst zu erklimmen.

Ich nahm die anderen drei Tischgaste unter die Lupe. Mr. und Mrs. Widburn, was war von ihnen zu sagen? Er ein gro?er, klapperdurrer Mann, sie ein dralles, hubsches, uberschwengliches Wesen - ein Ehepaar in gesicherten Verhaltnissen, mit einer Leidenschaft fur alles, was mit den Brettern zusammenhing, und nicht gesonnen, sich uber irgendein anderes Thema zu unterhalten. Infolge meiner kurzlichen Abwesenheit von England fanden sie mich hinsichtlich der Theaterverhaltnisse traurig schlecht informiert, und schlie?lich drehte Mrs. Widburn mir ihre runde Schulter zu und geruhte, mich nicht mehr zu beachten.

Das letzte Mitglied unseres Kreises war der dunkle junge Mann, in dessen Gesellschaft sich Carlotta Adams befunden hatte. Gleich zu Anfang hatte sich meiner der Argwohn bemachtigt, da? er nicht ganz so nuchtern sei, wie man es hatte erwarten konnen. Und als er noch einige Glas Sekt trank, wurde dies mehr und mehr offenbar. Er schien unter dem Gefuhl eines schweren Unrechts zu leiden. Die erste Halfte des Mahls sa? er in verbissenem, dusterem Schweigen auf seinem Platz; wahrend der zweiten Halfte vertraute er sich anscheinend unter dem Eindruck, da? er einen seiner altesten Freunde vor sich habe, mir an.

»Was ich sagen will«, begann er, »es ist nicht so. Nein, lieber alter Junge, es ist nicht so .«

»Ich will sagen«, nahm das zusammenhanglose Gerede seinen Fortgang, »da?, wenn du ein Madel nimmst ... gut. Aber sie gehort nicht zu der Sorte. Verstehst du: puritanische Vorfahren -die Mayflower - all das. Donnerwetter, das Madchen ist rechtschaffen . ! Ja, was wollte ich doch eigentlich sagen . ? Ah, verdammt noch mal, ich mu?te mir das Geld von meinem Schneider borgen. Ein sehr gefalliger Bursche, mein Schneider.

Schon jahrelang schulde ich ihm Geld. Das knupft ein gewisses Band zwischen uns. Nichts als ein Band, mein lieber alter Junge. Du und ich! Du und ich. Wer, zum Teufel, bist du eigentlich?«

»Mein Name ist Hastings.«

»Potztausend! Und ich hatte geschworen, da? du Spencer Jones seist, der liebe alte Spencer Jones. Machte seine Bekanntschaft in Eton und borgte mir eine Funfpfundnote von ihm. Ich hab's ubrigens immer gesagt, da? ein Gesicht dem anderen gleicht. Wenn wir eine Horde Chinesen waren, wurden wir uns gegenseitig uberhaupt nicht mehr erkennen.«

Wehmutig schuttelte er den Kopf; dann erhellten sich seine Zuge, und er go? einen neuen Kelch Champagner hinunter.

»Jedenfalls bin ich kein verflixter Nigger!« sagte er.

Diese Uberlegung schien ihm eine solche Gehobenheit zu verleihen, da? er sofort noch etliche Bemerkungen hoffnungsfreudiger Art hinzufugte.

»Guck dir stets die glanzende Seite an, mein Junge«, beschwor er mich. »Merk es dir: immer die glanzende Seite. Einmal kommt der Tag - vielleicht allerdings erst, wenn ich die Funfundsiebzig erreicht habe -, wo ich ein reicher Mann sein werde. Wenn mein Onkel stirbt. Dann kann ich meinen Schneider bezahlen.«

Bei diesem Gedanken lachelte er gluckselig, und das lacherlich winzige Schnurrbartchen, das wie ein Punktchen wirkte, zog sich ein wenig in die Breite.

Ich fand den jungen Herrn trotz seines Schwipses ungemein sympathisch. Carlotta Adams behielt ihn, das merkte ich wohl, standig im Auge, und nach einem neuerlichen Blick in seine Richtung erhob sie sich, um aufzubrechen.

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