Es lag nicht an Rons Augen. Sie waren zwischen ein paar Zelte geraten, die alle dicht mit Feldklee bedeckt waren, so als waren kleine, merkwurdig geformte Hugel aus der Erde gewachsen. Wo die Zeltluken geoffnet waren, konnten sie das eine oder andere grinsende Gesicht im Innern erkennen. Dann rief jemand hinter ihnen ihre Namen.
»Harry! Ron! Hermine!«
Es war Seamus Finnigan aus dem Gryffindor-Haus von Hogwarts, der jetzt mit ihnen in die vierte Klasse kam. Er sa? vor einem kleebedeckten Zelt neben einer rotblonden Frau, offenbar seiner Mutter, und seinem besten Freund Dean Thomas, ebenfalls aus Gryffindor.
»Gefallt euch die Dekoration?«, fragte Seamus grinsend, als Harry, Ron und Hermine naher getreten waren und sie begru?t hatten.»Das Ministerium ist nicht sonderlich begeistert.«
»Aach, warum sollten wir unsere Farben nicht zeigen?«, sagte Mrs Finnigan.»Ihr solltet sehen, was die Bulgaren alles an ihren Zelten hangen haben. Ihr seid naturlich fur Irland?«, setzte sie hinzu und musterte Harry, Ron und Hermine mit ihren Perlaugen.
Sie versicherten ihr hoch und heilig, sie seien Irland-Fans, dann brachen sie wieder auf.»Als ob wir was anderes sagen wurden, wenn wir von einem Haufen Iren umgeben sind«, meinte Ron nebenbei.
»Was die Bulgaren wohl an ihren Zelten hangen haben?«, fragte Hermine.
»Gehen wir hin und schauen nach«, sagte Harry und deutete auf eine gro?e Gruppe Zelte ein Stuck weiter oben, wo die bulgarische Flagge wei?, grun und rot in der Brise flatterte.
Die Zelte hier waren nicht mit Pflanzen geschmuckt, doch an jedem einzelnen hing das gleiche Poster, ein Poster von einem sehr barbei?igen Gesicht mit dichten schwarzen Augenbrauen. Naturlich bewegte sich das Gesicht, doch es schaute finster drein und die Augen blinzelten nur.
»Kram«, sagte Ron leise.
»Was?«, sagte Hermine.
»Krum!«, sagte Ron.»Viktor Kram, der bulgarische Sucher!«
»Sieht ziemlich murrisch aus«, sagte Hermine und lie? ihren Blick uber die vielen Krams schweifen, die bose blinzelnd auf sie herabsahen.
»Ziemlich murrisch?«Ron schaute gen Himmel.»Wen kummert es, wie er aussieht? Er ist phantastisch. Und noch ganz jung. Erst achtzehn, glaub ich. Er ist ein Genie, wartet nur, heute Abend seht ihr's selbst.«
Beim Wasserhahn an einer Ecke des Zeltplatzes hatte sich bereits eine kleine Schlange gebildet. Harry, Ron und Hermine reihten sich hinter zwei Mannern ein, die erhitzt miteinander stritten. Der eine war ein steinalter Zauberer in einem langen Nachthemd mit Blumchenmuster. Der andere war offensichtlich ein Ministeriumszauberer; er hielt eine Nadelstreifenhose in Handen und war so entnervt, da? er fast weinte.
»Zieh sie doch an, Archie, ich bitte dich, so kannst du doch nicht rumlaufen, der Muggel am Tor wird schon ziemlich mi?trauisch -«
»Das hab ich in einem Muggelladen gekauft«, sagte der alte Zauberer stur.»Muggel tragen so was auch.«
»Muggelfrauen, Archie, nicht die -manner, die tragen so was«, sagte der Ministeriumszauberer und fuchtelte mit der Nadelstreifenhose vor Archies Nase herum.
»Die zieh ich nicht an«, sagte der alte Archie entrustet.»Ich mag 'n frisches Luftchen untenrum, danke.«
Ein Kicheranfall packte Hermine und schuttelte sie so heftig, da? sie sich aus der Schlange wegducken mu?te und erst wieder zuruckkehrte, als Archie sein Wasser geholt hatte und verschwunden war.
Etwas gemachlicher, da sie Wasser schleppten, machten sie sich auf den Ruckweg durch das Zeltlager. Hie und da sahen sie weitere bekannte Gesichter: andere Hogwarts-Schuler mit ihren Familien. Oliver Wood, der fruhere Kapitan von Harrys Quidditch-Team, der sein letztes Jahr in Hogwarts hinter sich hatte, zog Harry hinuber zum Zelt seiner Eltern, um ihn vorzustellen, und erzahlte ihm aufgeregt, da? er gerade von Eintracht Pfutzensee als Reservespieler verpflichtet worden war. Als Nachstes wurden sie lauthals von Ernie Macmillan begru?t, einem Viertkla?ler aus Hufflepuff, und ein paar Schritte weiter sahen sie Cho Chang, ein sehr hubsches Madchen, das im Ravenclaw-Team Sucherin spielte. Sie winkte und lachelte Harry zu, der beim Zuruckwinken eine Menge Wasser uber seine Hose schuttete. Vor allem, um Ron das Grinsen zu verleiden, deutete er auf eine Gruppe Teenager, die er noch nie gesehen hatte.
»Was sind das wohl fur Leute?«, sagte er.»Sie gehen nicht nach Hogwarts, oder?«
»Ich glaub, die gehen auf irgendeine auslandische Schule«, sagte Ron.»Ich wei? jedenfalls, da? es noch andere Schulen gibt, hab aber noch nie jemanden davon kennen gelernt. Bill hatte eine Brieffreundin auf einer Schule in Brasilien… das ist schon ewig lange her… und er wollte mal als Austauschschuler dorthin, aber Mum und Dad konnten es sich nicht leisten. Seine Brieffreundin war schwer sauer, als er absagte, und hat ihm einen verhexten Hut geschickt, der seine Ohren schrumpeln lie?.«
Harry lachte, verschwieg jedoch, wie spannend er es fand, da? es noch andere Zaubererschulen gab. Nun, da er so viele Lander auf dem Zeltplatz vertreten sah, kam er sich etwas dumm vor, nie daran gedacht zu haben, da? Hogwarts nicht die einzige Schule sein konnte. Er warf Hermine einen Seitenblick zu, doch sie schien von der Neuigkeit keineswegs uberrascht zu sein. Sicher hatte sie in irgendeinem Buch etwas uber andere Zaubererschulen gelesen.
»Ihr habt ja ewig gebraucht«, sagte George, als sie endlich wieder bei den Weasley-Zelten anlangten.
»Haben ein paar Bekannte getroffen«, sagte Ron und stellte seinen Wassertopf ab.»Und ihr habt immer noch kein Feuer gemacht?«
»Dad treibt so seine Spa?e mit den Streichholzern«, sagte Fred.
Mr Weasley gelang es nicht, ein Feuer zu entfachen, doch an Versuchen lie? er es nicht mangeln. Der Boden zu seinen Fu?en war ubersat mit zersplitterten Streichholzern, doch Mr Weasley schien mit kindlichem Vergnugen bei der Sache zu sein.
»Uuuhps!«, stie? er aus, als er es schaffte, ein Streichholz zu entzunden, und vor Uberraschung lie? er es prompt fallen.
»Lassen Sie mich mal, Mr Weasley«, sagte Hermine freundlich, nahm ihm die Zundholzschachtel aus der Hand und zeigte ihm, wie man es richtig machte.
Schlie?lich brannte das Feuer, auch wenn es noch mindestens eine Stunde dauerte, bis es gro? genug war, um darauf etwas zu kochen. Beim Warten gab es jedoch eine Menge zu sehen. Ihr Zelt schien gleich an einem Fu?weg zum Spielfeld zu liegen, und Leute aus dem Ministerium schritten hastig hin und her und gru?ten Mr Weasley im Vorbeigehen hoflich. Mr Weasley spielte unterdessen den Laufkommentator, vor allem fur Harry und Hermine; seine eigenen Kinder wu?ten genug uber das Ministerium und waren nicht uberma?ig interessiert.
»Das war Knutbert Mockridge, Chef des Kobold-Verbindungsburos… hier kommt Wilbert Gimpel von der Arbeitsgruppe fur Experimentelles Zaubern, diese Horner hat er jetzt schon seit einiger Zeit… Hallo, Arnie… Arnold Friedlich… ein Vergissmich – so nennen wir die Leute vom Magischen Unfallumkehr-Kommando – und das sind Bode und Croaker… sie sind Unsagliche…«
»Bitte was?«
»Von der Mysteriumsabteilung, alles streng geheim, keine Ahnung, was die so treiben…«
Endlich brannte das Feuer richtig und sie hatten gerade begonnen, Eier und Wurste zu braten, als Bill, Charlie und Percy zwischen den Baumen hervorkamen und ans Zelt traten.
»Eben mal kurz appariert, Dad«, sagte Percy unuberhorbar.»Aah, Mittagessen, trifft sich gut!«
Sie hatten ihre Teller mit Eiern und Wursten schon halb geleert, als Mr Weasley plotzlich aufsprang und lachelnd einem Mann winkte, der auf sie zugeschritten kam.»Aha!«, sagte Mr Weasley.»Der Mann der Stunde! Ludo!«
Ludo Bagman war mit Abstand der auffalligste von allen Zauberern, die Harry bisher gesehen hatte, er lie? selbst den alten Archie mit seinem geblumten Nachthemd bla? aussehen. Er trug einen langen Quidditch-Umhang mit breiten hellgelben und schwarzen Querstreifen. Das riesige Bild einer Wespe prangte auf seiner Brust. Er machte den Eindruck eines kraftig gebauten Mannes, der ein wenig in die Jahre gekommen war; der Umhang bauschte sich uber seinem dicken Bauch, den er in seiner Zeit als Quidditch-Spieler fur England gewi? noch nicht gehabt hatte. Ludos Nase war gebrochen (vermutlich von einem verirrten Klatscher, dachte Harry), doch seine runden blauen Augen, sein kurzes blondes Haar und sein rosiges Gesicht lie?en ihn aussehen wie einen zu gro? gewachsenen Schuljungen.
»Ahoi!«, rief Bagman munter. Er schritt einher, als hatte er Federn unter den Sohlen, und war offensichtlich in einem hochst euphorischen Zustand.»Arthur, altes Haus«, keuchte er, als er vor dem Lagerfeuer stand,»was fur ein Tag! Was fur ein Tag! Schoneres Wetter hatten wir uns nicht wunschen konnen! Heute Nacht bleibt's klar…