»Eher in den Tod als zurück in den Bagno! rief Karl Kip.
- Oder der Gegenstand entehrender Gnade zu sein!« erklärte sein Bruder.
Es ist leicht begreiflich, daß diese Lage der Dinge die Geister allgemach erhitzen und zu Ausdrücken des öffentlichen Unwillens verleiten mußte.
Die Abreise des Herrn und der Frau Zieger sollte am 5. August mit einem englischen, nach dem Bismarck-Archipel bestimmten Dampfer erfolgen. Nun erinnert sich der Leier wohl, daß Hawkins gleich an dem Tage des Verbrechens von Kerawara zwei photographische Aufnahmen des Kapitäns Gibson gemacht hatte, die diesen halb entblößt und seine Brust von dem Kriß durchbohrt wiedergaben.
Vor der Rückkehr nach Port-Praslin ersuchte noch Zieger den Reeder, ihm ein vergrößertes Bild des Kopfes Gibsons anzufertigen, das er in seinem Salon in Wilhelmstaf aufhängen wollte.
Hawkins kam dem Wunsche seines Geschäftsfreundes bereitwillig nach. Er gedachte, von der neuen Platte auch gleich mehrere Abzüge zu machen, die in den Familien Gibson, Hawkins und Zieger als Andenken aufbewahrt werden sollten.
Am Morgen des 27. Juli machte sich Hawkins an die Arbeit in seinem Atelier, das mit den besten Apparaten ausgestattet war, welche schon zu jener Zeit, dank der Einführung höchst lichtempfindlicher Chemikalien, wirkliche Kunstwerke herzustellen gestatteten. Da er unter den günstigsten Umständen arbeiten wollte, benutzte er die negative, in
Kerawara selbst hergestellte Platte, von der er nur den Kopf des Kapitäns Gibson aufnehmen wollte.
Nach Einlegung der Platte in die Vergrößerungs-Camera stellte er den Apparat so ein, daß er ein Bild des Kopfes in natürlicher Größe erhalten mußte.
Da gerade sehr günstiges Licht war, genügten wenige Augenblicke zur Aufnahme und kurze Zeit zum Kopieren. Dann brachte Hawkins die neue Photographie in einen Rahmen und stellte sie auf einer Staffelei mitten im Zimmer auf.
Auf eine Mitteilung des Herrn Hawkins hin, fanden sich am Nachmittage Zieger und Nat Gibson bei ihm ein.
Ihre Gemütserregung, als sie sich dem naturgetreuen Bilde Harry Gibsons, dem lebendähnlichen Porträt des unglücklichen Kapitäns gegenübersahen, läßt sich mit der Feder kaum schildern.
Ja, das war er, sein ernstes und doch wohlwollendes Gesicht, jetzt freilich mit dem Ausdrucke der Todesangst, der darauf gelegen hatte, als die Mordgesellen ihm das Herz durchbohrten, in dem Augenblicke, wo er sie noch mit weitgeöffneten Augen angestarrt hatte.
Nat Gibson war an die Staffelei herangetreten. Seine Brust wogte auf und ab und er schluchzte in neuem Schmerze, den Hawkins und Zieger aufrichtig teilten, als sie den Kapitän scheinbar in vollem Leben vor sich sahen.
Da beugte sich der Sohn nieder, um die Stirn seines Vaters zu küssen.
Plötzlich hielt er ein, und näherte sich nach weiter, die Augen starr auf die des Bildes geheftet.
Was mochte er denn sehen oder zu sehen glauben?, Er schwankte, in seinem Gesichte zuckte es, er wird bleich wie der Tod, es steht aus, als wollte er sprechen und könnte es doch nicht, seine Lippen ziehen sich krampfhaft zusammen, ihm fehlt die Stimme,
Endlich rafft er sich auf, ergreift auf einem Tische eine der starken Lupen, deren sich die Photographen bedienen, wenn sie noch Kleinigkeiten auf einem Abzug nachretouchieren. er hält das Glas noch näher an die Photographie und jetzt stößt er mit halberstickter Stimme hervor: »Sie. sie!. Die Mörder meines Vaters!« Im Hintergrunde der Augen des Kapitäns Gibson zeigten sich auf der vergrößerten Netzhaut in all ihrer blutgierigen Wildheit die Gestalten Flig Balts und Vin Mods!
Sechzehntes Kapitel.
Schluß
Schon seit einiger Zeit ist durch merkwürdige ophthalmologische Versuche, die von geistvollen Gelehrten, verdienstreichen Beobachtern ausgeführt wurden, unzweifelhaft nachgewiesen worden, daß sich Gegenstände der Außenwelt, die sich nur einmal auf der Netzhaut abspiegelten, auf dieser lange Zeit erhalten können. Das Organ des Gesichtssinnes enthält einen besonderen Stoff, den Aderhautpurpur, auf dem sich die Bilder getreu fixieren. Man kann sie sogar in voller Klarheit erkennen, wenn das Auge nach dem Ableben herausgenommen und in ein Alaunbad gelegt wurde.
Was bisher über die Fixierung solcher Bilder bekannt war, sollte unter den hier vorliegenden Umständen eine unbestreitbare Bestätigung finden.
In dem Augenblicke, wo der Kapitän Gibson den letzten Seufzer aushauchte, haftete sein letzter Blick - ein Blick des Schreckens und der Angst - auf den Mördern, und im Grunde seiner Augen fixierten sich die Gestalten Flig Balts und Vin Mods. Und als Hawkins das beklagenswerte Opfer photographierte, erschienen auch die geringsten Einzelheiten des Gesichtes auf der Platte wieder. Schon auf dem ersten Abzuge hätte man unter Benützung eines starken Vergrößerungsglases im Grunde des Augapfels die Gesichter der beiden Mörder erkennen können, und dort fand man sie auch noch jetzt wieder.
Wie hätte damals aber den Herren Hawkins, Zieger und Hamburg ein solcher Gedanke kommen sollen?. Nein, es bedurfte das des Zusammenwirkens aller Nebenumstände, des von Herrn Zieger geäußerten Wunsches, eine vergrößerte Photographie des Kapitäns Gibson nach Port-Praslin mitzunehmen, und ebenso der Herstellung dieses vergrößerten Bildes im Atelier des Reeders.
Als dann Nat Gibson herangetreten war, um das Bild seines Vaters zu küssen, da glaubte er im Hintergrunde der Augen zwei leuchtende Stellen zu erblicken. Er nahm deshalb eine Lupe zu Hilfe und sah und erkannte nun deutlich die Gestalt des Bootsmannes und die seines Helfershelfers.
Jetzt haben nach ihm auch die Herren Hawkins und Zieger sie gesehen und wiedererkannt. Karl und Pieter Kip waren es nicht, deren Bild das Auge des Toten bewahrt hatte. es war Flig Balt und war Vin Mod!
Sie war also endlich gefunden, die neue Tatsache, der unanfechtbare Beweis der Unschuld der Angeklagten, der nun eine Revision des Prozesses von selbst nötig machte. Die Echtheit der ersten, in Kerawara hergestellten Aufnahme konnte niemand in Zweifel ziehen, sie war schon den Akten des Kriminalgerichts beigefügt worden, und die jetzige Vergrößerung bildete nur eine vollkommen getreue Wiedergabe des ersten Bildes.
»Ach, die Unglücklichen!. Die Ärmsten! rief Nat Gibson ganz außer sich. Sie. unschuldig. und ich Verblendeter, wo Sie jene für unrechtmäßig verurteilt hielten und sie retten wollten.
- Jetzt bist du, lieber Nat, aber doch der, der sie gerettet hat, antwortete Hawkins, ja ja, du, der etwas entdeckt hat, was vielleicht keiner von uns gesehen hätte!«
Eine halbe Stunde später erschien, die kleine und die vergrößerte Photographie mitbringend, der Reeder schon in der
Residenz und ersuchte darum, von Seiner Exzellenz sofort empfangen zu werden.
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