Am Fockmast angelangt, sah er sich aber vergeblich nach Sexton und Bryce um. Sie hätten jetzt eigentlich die Wache gehabt, doch keiner von ihnen war auf seinem Posten.

Wickley, den er deshalb fragte, zuckte als Antwort nur mit den Achseln.

»Wo sind sie denn? erkundigte sich Len Cannon.

- Im Logis. toll und voll betrunken. einer wie der andere!

- O, diese Säue! murmelte Len Cannon. Nun liegen sie die ganze Nacht im Rausche, und es ist nichts zu machen!«

Als er selbst hinunterkam, fand er seine Kameraden auf ihren Lagern ausgestreckt.. Er schüttelte sie tüchtig. wahrlich, betrunken wie unvernünftiges Viehzeug! Sie hatten aus der Kambüse eine Flasche Gin gestohlen und sie bis zum letzten Tropfen geleert. Es erwies sich unmöglich, sie aus ihrem Taumel zu erwecken, der voraussichtlich bis zum Morgen anhielt. Natürlich war auch gar nicht daran zu denken, ihnen Vin Mods Absichten mitzuteilen, und ebenso unmöglich war es, diese noch vor Sonnenaufgang auszuführen, denn ohne sie stand die Partie doch zu ungleich.

Daß Flig Balt, als er von der Sachlage hörte, in hellen Zorn geriet, kann man sich leicht denken. Vin Mod beruhigte ihn nur mit großer Mühe, und auch er hätte die elenden Trunkenbolde am liebsten an den Galgen gewünscht. Am Ende war aber doch noch nichts verloren. Was diese Nacht nicht ausgeführt werden konnte, war ja in der nächsten auszuführen. Kyle und Sexton sollten bis dahin gut beaufsichtigt und am weiteren Trinken gehindert werden.

Jedenfalls hütete sich Flig Balt, sie beim Kapitän anzuzeigen; er sah ihnen jetzt ebenso wegen des Rauches wie wegen des gestohlenen Gins aus erklärlichen Gründen durch die Finger.

Gibson hätte sie ja bis zur Ankunft in Wellington in den Frachtraum hinuntergeschickt, sie nachher der Hafenpolizei ausgeliefert und vielleicht, wie Vin Mod bemerkte, Len Cannon und Kyle obendrein fortgeschickt. Vin Mod hatte damit gewiß recht. Anderseits denunzieren Matrosen einander kaum jemals. Hobbes, Wickley und Burnes schwiegen also voraussichtlich still, und der Schiffsjunge wohl ebenso, so daß dem Kapitän der Vorfall also verborgen blieb.

Die Nacht verging; die Ruhe an Bord des »James-Cook« erlitt keine Störung.

Als Gibson am frühen Morgen das Deck betrat, fand er die Wachhabenden auf ihrem Posten und die Brigg nach Umschiffung der Halbinsel Banks im richtigen Kurse seewärts von Christchurch.

Der junge Tag, der 27. ließ sich gut an. Glänzend stieg die Sonne aus den Dünsten, die sich schnell auflösten, am Horizonte empor. Einen Augenblick schien es zwar, als ob ein Wind von der Seeseite her aufspringen wollte, schon von sieben Uhr ab wehte aber Landwind, der sich jedenfalls, wie am Tage vorher, aus Nordwesten halten würde. Wenn der »James-Cook« den Wind - wie die Seeleute sagen - »abkniff«, konnte er ohne die Halsen zu wechseln, nach Wellington kommen.

»Nichts Neues? fragte Gibson den Bootsmann, als dieser aus seiner Kabine herauskam, wo er die letzten Nachtstunden zugebracht hatte.

- Nein. gar nichts, Herr Gibson, antwortete Flig Balt.

- Wer ist jetzt am Ruder?

- Der Matrose Cannon.

- Über die Neuangeworbenen ist dienstlich keine Klage zu führen?

- In keiner Weise. Ich glaube, die Leute sind besser als sie aussehen.

- Desto besser, Balt, denn mir ahnt, in Wellington wird es den Kapitänen ebenso an Leuten fehlen wie in Dunedin.

- Das wäre wohl möglich, Herr Gibson.

- Ja, und wenn ich mit denen, die wir haben, halbwegs auskommen könnte.

- So wäre das das Beste!« fiel Flig Balt ein.

Bei seiner Fahrt nach Norden lief der »James-Cook« nur drei bis vier Seemeilen von der Küste dahin. Deren Einzelheiten traten bei dem hellen Sonnenlichte deutlich hervor. Die hohe Kette des Kaikoura, die die Provinz Marlborough durchzieht, zeigte ihren zerrissenen Kamm in der Höhe von zehntausend Fuß. Auf den Abhängen grünten, vom Lichte vergoldet, ungeheuere, dichte Wälder, und glänzende Wasserläufe schlängelten sich nach dem Uferlande hinunter.

Inzwischenen schien die Brise sich abschwächen zu wollen, und dann legte die Brigg heute keine so große Strecke zurück, wie gestern, und voraussichtlich traf sie also noch nicht im Laufe der Nacht in Wellington ein.

In der fünften Nachmittagsstunde hatte man erst die Gipfel des Ben More in Sicht, und zwar etwas südlich von dem kleinen Hafenplatz Flaxbourne. Noch brauchte man wenigstens fünf bis sechs Stunden, den Eingang der Cookstraße zu erreichen. Da dieser Wasserweg auch ziemlich genau von Süden nach Norden verläuft, war es nicht nötig, die Segelstellung des Schiffes zu ändern.

Flig Balt und Vin Mod konnten also mit Sicherheit darauf rechnen, daß sie die ganze Nacht zur Verfügung hatten, ihre Pläne auszuführen.

Natürlich war mit Len Cannon und dessen Kameraden die Mitwirkung dabei verabredet. Sexton und Bryce, die wieder nüchtern geworden waren, und der schon vorher ins Vertrauen gezogene Kyle hatten keinerlei Einwand erhoben. Nachdem Vin Mod Len Cannon noch weiter angestachelt hatte, wartete man nur noch auf den Augenblick zum Handeln. Das war in folgender Weise gedacht:

Zwischen Mitternacht und ein Uhr, wenn der Kapitän voraussichtlich im Schlafe lag, wollten sich Vin Mod und Cannon in dessen Kabine schleichen, ihn knebeln, herausschleppen und ihn ins Meer werfen, bevor er nur einen Hilferuf ausstoßen könnte. Gleichzeitig sollten Hobbes und Burnes, die dann die Wache hatten, von Kyle, Sexton und Bryce überfallen werden und das Schicksal des Kapitäns teilen. Dann war nur noch Wickley im Volkslogis übrig, und den müßten doch Koa und Flig Balt, ebenso wie den Schiffsjungen, überwältigen können. Wenn das gelungen war, befänden sich an Bord nur noch die Urheber der Schandtat, doch kein einziger Zeuge, und der »James-Cook« sollte dann sofort wenden und mit allen Segeln nach dem Stillen Ozean im Osten von Neuseeland hinaussteuern.

Vorläufig waren die besten Aussichten vorhanden, daß die abscheuliche Verschwörung ihren Zweck erreichte. Mit Tagesanbruch würde die Brigg unter der Führung Flig Balts dann schon weit von hier entfernt sein.

Gegen sieben Uhr abends kam das Kap Campbell im Nordosten in Sicht, eigentlich die äußerste Landspitze, die die Cookstraße im Süden abschließt, und der gegenüber in der Entfernung von fünfzig Seemeilen das Kap Palliser als der Ausläufer der Insel Ika-na-Maoui hervorspringt.

Mit allen Segeln, sogar mit den Leesegeln, da der Wind gegen Abend noch mehr abgeflaut war, glitt die Brigg jetzt kaum zwei Meilen von der Küste hin. Das Uferland war frei sichtbar mit seinen Basaltwänden, die schon den Fuß zu den Bergen des Inneren bilden. Der Gipfel des Waldberges erglühte wie eine feurige Spitze in den Strahlen der untergehenden Sonne. Obgleich die Gezeiten im Stillen Ozean nur gering auftreten, lief hier augenblicklich doch eine Strömung in nördlicher Richtung, die die Einfahrt des »James-Cook« in die Meerenge begünstigte.

Gegen acht Uhr war es, wo sich der Kapitän hätte in seine Kabine zurückziehen sollen, nachdem er dem Bootsmanne die Oberaufsicht übertragen hatte. Es war jetzt ja nur noch auf die Schiffe zu achten, die am Eingange zu der Wasserstraße im Ein- oder Auslaufen wären. Übrigens versprach die Nacht klar zu bleiben, und vorläufig tauchte kein Segel am Horizonte auf.

Da wurde aber um acht Uhr hinter dem Steuerbord das Erscheinen einer Rauchsäule gemeldet und bald wurde auch ein Dampfer sichtbar, der um das Kap Campbell steuerte.

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