wohnte überhaupt nicht im Assol, sondern hatte sich nur in einer der vorübergehend leeren Wohnungen eingenistet. Schließlich würde jemand, dem in einem solchen Luxusschuppen eine Wohnung gehörte, nicht den Hof kehren!
»Ich verdien mir was zu«, erklärte Lass ruhig. »Das ist ziemlich cool, musst du wissen! Morgens fährst du ein Stündchen über den Hof, als Frühsport sozusagen - und dafür bekommst du auch noch Geld. Und zwar nicht zu wenig!«Ich hüllte mich in Schweigen.
»Gefallen dir die Sachen beim Rummel?«, fragte Lass. »Diese Skooter, bei denen du für drei Minuten zehn Dollar zahlst? Und hier kriegst du sogar noch was dafür. Für dein eigenes Vergnügen. Oder nehmen wir mal die Computerspiele… Du sitzt da, fuhrwerkst mit dem Joystick herum…«
»Alles hängt davon ab, ob sie dich zwingen, den Zaun zu streichen…«, murmelte ich.
»Eben!«, triumphierte Lass. »Mich zwingt niemand. Mir macht es Spaß, den Hof zu fegen. Genau wie damals Lew Tolstoi das Heumähen. Nur muss mir niemand hinterherfegen, im Unterschied zum Grafen, bei dem die Bauern immer noch mal nachschneiden mussten… Ich bin hier eh gut angesehen und bekomme regelmäßig eine Prämie. Was ist nun, willst du 'ne Runde drehen? Ich kann dir übrigens auch was organisieren, wenn du willst. Professionelle Hausmeister kommen mit dieser Technik einfach nicht klar.«
»Ich denk drüber nach«, antwortete ich und beäugte die Bürsten, die sich munter drehten, das Wasser, das aus vernickelten Düsen spritzte, das funkelnde Fahrerhäuschen. Wer von uns wollte als kleiner Junge nicht den Wagen fahren, mit dem der Rasen gesprengt wurde? Damals, in der frühen Kindheit, als wir noch nicht davon träumten, Banker oder Killer zu werden…
»Überleg's dir, ich muss mich jetzt wieder an die Arbeit machen«, meinte Lass aufgeräumt. Der Wagen fuhr über den Hof, fegend, waschend, Dreck aufsaugend. Aus dem Fahrerhäuschen schallte es herüber:
Leicht perplex kehrte ich zurück ins Vestibül. Von den Security-Leuten erfuhr ich, wo sich die Postabteilung des Assol befand. Dorthin ging ich. Die Post war offen. In einem gemütlichen Saal langweilten sich drei junge Frauen, hier stand auch ebenjener Kasten, in den besagter Brief gesteckt worden war. Unter der Decke flimmerten die Augen der Videokameras.
Alles in allem könnten auch wir ein paar professionelle Ermittler gut gebrauchen. Die wären sofort auf diesen Gedanken gekommen.
Ich kaufte eine Ansichtskarte mit einem hüpfenden Küken im Brutkasten und dem Aufdruck: »Ich vermisse meine Familie!«Nicht gerade lustig, aber ich wusste die Adresse von dem Dorf, in dem meine Familie Urlaub machte, sowieso nicht auswendig. Deshalb schickte ich die Karte mit einem hämischen Grinsen Geser nach Hause: seine Adresse kannte ich.
Ich unterhielt mich ein bisschen mit den Frauen. In einem derart elitären Haus zu arbeiten verlangte ohnehin, dass sie freundlich auftraten. Außerdem langweilten sie sich. Danach verließ ich die Post.
Und ging in die Sicherheitsabteilung im Parterre.
Hätte ich das Recht gehabt, auf meine Fähigkeiten als Anderer zurückzugreifen, hätte ich dem Security-Mann einfach Sympathie für mich eingeflößt und mir damit Zugang zu allen Videocassetten verschafft. Aber ich durfte meine Tarnung nicht aufgeben. Weshalb ich beschloss, den universellsten aller Sympathieheraufbeschwörer einzusetzen: Geld.
Von dem mir ausgehändigten Geld nahm ich hundert Dollar in Rubeln - mehr brauchte ich doch wohl nicht, oder? Damit ging ich ins Zimmer der Security-Leute, wo sich ein junger Mann in streng geschnittener Uniform langweilte.
»Guten Tag!«, begrüßte ich ihn mit freudestrahlendem Lächeln.
Mit seiner ganzen Miene drückte der Security-Mann seine uneingeschränkte Zustimmung zu meiner Einschätzung des heutigen Tages aus. Ich schielte zu den Monitoren vor ihm hinüber, mindestens ein Dutzend Videokameras übermittelten hier ihre Bilder. Vermutlich könnte er jeden x- beliebigen Moment wiederholen. Wenn das Ganze auf einer OAW gespeichert wurde (und wo sonst?), brauchten die Aufzeichnungen der letzten drei Tage noch nicht ins Archiv gewandert zu sein.
»Ich habe ein Problem«, erklärte ich. »Gestern habe ich einen komischen Brief bekommen…«Ich zwinkerte. »Von einer Frau. Soweit ich es verstanden habe, wohnt sie auch hier. »
»Einen Drohbrief?«, hakte der Mann nach.
»Nein, nein«, beschwichtigte ich ihn. »Ganz im Gegenteil… Aber die geheimnisvolle Unbekannte möchte ihr Inkognito wahren. Ob ich wohl mal sehen könnte, wer hier vor drei Tagen einen Brief abgeschickt hat?«Der Security-Mann dachte nach.
Und dann verdarb ich alles. Indem ich das Geld auf den Tisch legte. Und lächelnd»Ich wäre Ihnen sehr dankbar…«sagte.
Sofort erstarrte der Mann. Dann musste er mit dem Fuß auf einen Knopf gedrückt haben.
Zehn Sekunden später kamen zwei seiner Kollegen herein -ausgesprochen höfliche Männer, was sich bei ihrer massiven Statur recht komisch ausnahm -, die mich aufforderten, sie zu ihrem Chef zu begleiten.
Es gibt eben doch einen Unterschied - einen gewaltigen sogar - zwischen Staatsbeamten und einem privaten Security-Service…
Ob sie mich auch mit Gewalt zu ihrem Chef bringen würden? Wäre interessant, das einmal herauszukriegen. Schließlich handelt es sich bei ihnen nicht um die Miliz. Am Ende zog ich es aber doch vor, die Situation nicht noch weiter eskalieren zu lassen, und schloss mich dem Zivilkonvoi an.
Der Chef der Security-Leute, ein älterer Mann, der ganz klar aus dem KGB oder der Miliz hervorgegangen war, schaute mich vorwurfsvoll an.
»Was haben Sie sich denn dabei gedacht, Herr Gorodezki…«, meinte er, während er den Ausweis, der mich berechtigte, das Gelände des Assol zu betreten, in den Fingern hin und her drehte. »Wir sind doch keine staatliche Institution…«
Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass er nur zu gern meinen Assol-Ausweis zerrissen, einen seiner Männer gerufen und befohlen hätte, mich vom Gelände des elitären Wohnkomplexes zu jagen.
Zu gern hätte ich mich entschuldigt und ihm versichert, dass ich dergleichen nie wieder tun würde. Vor allem, weil es mir in der Tat peinlich war.
Nur war dies der Wunsch des Lichten Magiers Anton Gorodezki, aber nicht der des A. Gorodezki, Besitzer einer kleinen Firma, die mit Milchprodukten handelte. »Was ist denn eigentlich passiert?«, fragte ich. »Wenn Sie meine Bitte nicht erfüllen können, dann sagen Sie es doch einfach.«
»Und wozu das Geld?«, antwortete der Chef der Security-Leute mit einer Gegenfrage.
»Was für Geld?«, wunderte ich mich. »Ach… hat Ihr Mitarbeiter etwa geglaubt, ich biete ihm Geld an?«Der Security-Chef grinste.
»Ausgeschlossen!«, beteuerte ich. »Ich habe in meiner Tasche nach einem neuen Taschentuch gesucht. Meine Allergie macht mir heute zu schaffen. In meiner Tasche sammelt sich immer allerlei Kleinkram an, den ich erst rausholen musste… Dann konnte ich mir nicht mal mehr die Nase putzen.«Anscheinend war das übertrieben.