sich aus dem Geschehen aus.

O ja, Geser und Sebulon dürften diese Nacht auch kein Auge zutun.

Ich gähnte. »Meine Herren, machen Sie, was Sie wollen, aber ich leg mich jetzt schlafen«, verkündete ich.

Edgar antwortete nicht, da er gerade telepathisch mit einem der Großen kommunizierte. Kostja nickte und verschwand ebenfalls unter der Bettdecke.

Ich kletterte zur oberen Liege, zog mich aus und stopfte Jeans und Hemd in das Fach über dem Bett. Dann nahm ich die Uhr ab und legte sie neben mich, denn ich schlafe nicht gern mit dem Ding. Unter mir kippte Kostja den Schalter vom Nachtlicht um - es wurde dunkel.

Edgar saß reglos da. Die Räder ratterten gemütlich. In Amerika sollen in die langen, in einem Stück gegossenen Schienen angeblich spezielle Rillen eingelassen sein, um das Rattern zu imitieren und dieses gemütliche Geklopfe der Räder zu erzeugen… Ich konnte nicht einschlafen.

Jemand hatte einen Hohen Vampir ermordet. Oder dieser Vampir hatte seinen Tod selbst inszeniert. Das spielte keine Rolle. In beiden Fällen verfügte da jemand über unvorstellbare Kraft.

Warum hatte er fliehen müssen? Sich in einem Zug verstecken - und dabei das Risiko eingehen, dass der ganze Zug gesprengt oder beispielsweise von Hunderten von Hohen umstellt wird, die jeden Einzelnen überprüfen? Das ist dumm, unnötig und riskant. Wenn du erst mal der stärkste Andere geworden bist, fällt dir die Macht früher oder später sowieso zu. In hundert Jahren, in zweihundert, wenn alles vergessen ist, was die Hexe Arina und das mythenumwobene Buch angeht. Wenn auch nicht jedem, aber Viteszlav wäre das klar gewesen.

Das sieht zu sehr… nach einem Menschen aus. Verworren und unlogisch. Überhaupt nicht wie die Tat eines weisen starken Anderen.

Doch nur ein solcher Anderer konnte Viteszlav ermordet haben. Schon wieder passten nicht alle Teile zusammen…

Unten rührte sich Edgar. Seufzte, raschelte mit der Decke und kletterte ebenfalls auf seine Liege hinauf.

Ich schloss die Augen und versuchte mich so gut es ging zu entspannen.

Ich stellte mir vor, wie sich die Gleise hinter dem Zug dahinzogen… von einem großen Bahnhof zu einem kleinen, vorbei an Städten und Städtchen, bis hin nach Moskau, wo fächerförmig vom Bahnhof Straßen abgingen, um hinter der Ringautobahn zu einer Berg- und Talbahn zu werden, um sich hundert Kilometer weiter in holprige kleine Wege zu verwandeln, die zu einem gotterbärmlichen Dörflein führten, zu einem alten Holzhaus…

»Swetlana?«

»Ich hab dich schon erwartet, Anton. Was macht ihr?«

»Wir sind im Zug. Hier ist was Merkwürdiges passiert…«

Ich versuchte, mich ihr maximal zu öffnen… na ja, fast maximal. Ich rollte mein Gedächtnis aus wie eine Stoffbahn auf dem Tisch einer Schneiderin. Der Zug, die Inquisitoren, das Gespräch mit Lass, das Gespräch mit Edgar und Kostja…

»Komisch«, sagte Swetlana nach einer kurzen Pause. »Sehr komisch. Ich habe den Eindruck, als ob jemand mit euch spielt. Das gefällt mir nicht, Anton. »

»Mir auch nicht. Wie geht es Nadja? »

»Sie schläft schon lange.«

In einem Gespräch wie diesem, das nur Andere verstehen können, fehlt jede Intonation. Allerdings wird sie durch irgendwas ersetzt. Und ich spürte eine leichte Unsicherheit Swetlanas. »Du bist nicht zu Hause, oder? »

»Stimmt. Ich bin zu Besuch bei einer alten Frau. »

»Swetlana!«

»Ich bin wirklich zu Besuch, also mach dir keine Sorgen! Ich wollte mit ihr die ganze Situation durchgehen… und etwas über das Buch erfahren.«

Ich hätte doch gleich wissen müssen, dass nicht nur die Sorge um unsere Tochter Swetlana gezwungen hat, uns zu verlassen. »Und was hast du rausbekommen?«

»Es war das Fuaran. Ebendas. Das echte. Und… was Gesers Sohn anging, da hatten wir Recht. Unsere Alte war mit sich und der Welt zufrieden… und hat nützliche Kontakte wiederhergestellt. »

»Und dann hat sie das Buch geopfert?«

»Ja. Sie hat es in der hundertprozentigen Überzeugung zurückgelassen, dass das Geheimversteck schnell gefunden wird und man dann die Fahndung nach ihr einstellt.«

»Und was hält sie von dem, was passiert ist?«Angestrengt versuchte ich, Namen zu vermeiden - als ob so ein Gespräch abgehört werden könnte.

»Ich glaube, sie ist in Panik geraten. Obwohl sie versucht, sich nichts anmerken zu lassen.«

»Swetlana, wie schnell kann das Fuaran einen Menschen in einen Anderen verwandeln?«

»Fast sofort. Man braucht etwa zehn Minuten, um alle Zaubersprüche aufzusagen, dann sind noch ein paar Zutaten nötig… oder genauer gesagt eine - das Blut von zwölf Menschen. Selbst wenn von jedem nur ein Tropfen gebraucht wird, aber es müssen zwölf verschiedene Menschen sein. »

»Weshalb?«

»Das musst du Fuaran fragen. Ich bin überzeugt, dass statt Blut auch jede andere Flüssigkeit ginge, aber die Hexe hat den Zauberspruch an Blut gebunden… Also zehn Minuten Vorbereitung, zwölf Tropfen Blut, und du kannst aus einem Menschen einen Anderen machen. Oder aus einer ganzen Gruppe von Menschen. Hauptsache, sie sind alle in deinem Blickfeld. »

»Und wie stark werden sie sein?«

»Das variiert. Aber schwache Andere können mit dem nächsten Zauberspruch auf eine höhere Stufe gezogen werden. Theoretisch kannst du aus jedem Menschen einen Hohen Magier machen.«

Etwas hatte sie gesagt. Etwas Wichtiges. Nur kriegte ich diesen Faden im Moment noch nicht zu fassen… »Und was fürchtet… die Alte, Sweta? »

»Eine Massenverwandlung der Menschen in Andere. »

»Will sie nicht herkommen und ein Geständnis ablegen? »

»Nein, sie will die Beine in die Hand nehmen. Und ich verstehe sie.«

Ich seufzte. Arina sollte eigentlich schon zur Verantwortung gezogen werden… wenn die Inquisition sie dann nicht wegen Sabotage anklagen würde. Und wieder einmal hatte Geser seine Finger im Spiel…

»Sweta, frage sie doch…frage sie, weshalb der Dieb nach Osten fahren könnte? Hat das Fuaran vielleicht mehr Kraft an dem Ort, wo es geschrieben worden ist?«

Pause. Zu dumm, dass das kein Handy war, dass ich mit der Hexe nicht persönlich sprechen konnte. Denn ein direktes Gespräch ist nur zwischen Anderen möglich, die sich nahe stehen. Oder zumindest Gleichgesinnte sind.

»Nein… Sie wundert sich sehr darüber. Sie sagt, dass es keine Verbindung zwischen dem Fuaran und dieser Gegend gebe. Das Buch würde auch im Himalaja funktionieren oder an der Antarktis oder der Elfenbeinküste.«

»Dann… dann frag sie, ob Viteszlav es benutzen könnte. Immerhin ist er ein Vampir, ein niederer Anderer…«Abermals Pause.

»Er könnte. Ob Vampir oder Tiermensch, das spielt keine Rolle. Auch nicht, ob Dunkler oder Lichter. Es gibt keine Einschränkungen. Bis auf die, dass Menschen das Buch nicht benutzen können. »

»Das ist klar… Sonst noch was?«

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