bis zur Narrheit! Man rechnet es unserm Geiste zu, wenn wir mit Klangen viel zu rathen geben! Agaciren wir die Nerven, schlagen wir sie todt, handhaben wir Blitz und Donner, — das wirft um…

Vor Allem aber wirft die Leidenschaft um. — Verstehen wir uns uber die Leidenschaft. Nichts ist wohlfeiler als die Leidenschaft! Man kann aller Tugenden des Contrapunktes entrathen, man braucht Nichts gelernt zu haben, — die Leidenschaft kann man immer! Die Schonheit ist schwierig: huten wir uns vor der Schonheit!… Und gar die Melodie! Verleumden wir, meine Freunde, verleumden wir, wenn anders es uns ernst ist mit dem Ideale, verleumden wir die Melodie! Nichts ist gefahrlicher als eine schone Melodie! Nichts verdirbt sicherer den Geschmack! Wir sind verloren, meine Freunde, wenn man wieder schone Melodien liebt!…

Grundsatz: die Melodie ist unmoralisch. Beweis: Palestrina. Nutzanwendung: Parsifal. Der Mangel an Melodie heiligt selbst…

Und dies ist die Definition der Leidenschaft. Leidenschaft — oder die Gymnastik des Hasslichen auf dem Seile der Enharmonik. — Wagen wir es, meine Freunde, hasslich zu sein! Wagner hat es gewagt! Walzen wir unverzagt den Schlamm der widrigsten Harmonien vor uns her! Schonen wir unsre Hande nicht! Erst damit werden wir naturlich…

Einen letzten Rath! Vielleicht fasst er Alles in Eins. — Seien wir Idealisten! — Dies ist, wenn nicht das Klugste, so doch das Weiseste, was wir thun konnen. Um die Menschen zu erheben, muss man selbst erhaben sein. Wandeln wir uber Wolken, haranguiren wir das Unendliche, stellen wir die grossen Symbole um uns herum! Sursum! Bumbum! — es giebt keinen besseren Rath. Der» gehobene Busen «sei unser Argument, das» schone Gefuhl «unser Fursprecher. Die Tugend behalt Recht noch gegen den Contrapunkt.»Wer uns verbessert, wie sollte der nicht selbst gut sein?«so hat die Menschheit immer geschlossen. Verbessern wir also die Menschheit! — damit wird man gut (damit wird man selbst» Klassiker«: — Schiller wurde» Klassiker«). Das Haschen nach niederem Sinnesreiz, nach der sogenannten Schonheit hat den Italianer entnervt: bleiben wir deutsch! Selbst Mozart's Verhaltniss zur Musik — Wagner hat es uns zum Trost gesagt! — war im Grunde frivol… Lassen wir niemals zu, dass die Musik» zur Erholung diene«; dass sie» erheitere«; dass sie» Vergnugen mache«. Machen wir nie Vergnugen! — wir sind verloren, wenn man von der Kunst wieder hedonistisch denkt… Das ist schlechtes achtzehntes Jahrhundert… Nichts dagegen durfte rathlicher sein, bei Seite gesagt, als eine Dosis — Mucker thum, sit venia verbo. Das giebt Wurde. — Und wahlen wir die Stunde, wo es sich schickt, schwarz zu blicken, offentlich zu seufzen, christlich zu seufzen, das grosse christliche Mitleiden zur Schau zu stellen. Der Mensch ist verderbt: wer erlost ihn?» was erlost ihn?«— Antworten wir nicht. Seien wir vorsichtig. Bekampfen wir unsern Ehrgeiz, welcher Religionen stiften mochte. Aber Niemand darf zweifeln, dass wir ihn erlosen, dass unsre Musik allein erlost… (Wagner's Aufsatz» Religion und Kunst«.)

7

Genug! Genug! Man wird, furchte ich, zu deutlich nur unter meinen heitern Strichen die sinistre Wirklichkeit wiedererkannt haben — das Bild eines Verfalls der Kunst, eines Verfalls auch der Kunstler. Der letztere, ein Charakter-Verfall, kame vielleicht mit dieser Formel zu einem vorlaufigen Ausdruck: der Musiker wird jetzt zum Schauspieler, seine Kunst entwickelt sich immer mehr als ein Talent zu lugen. Ich werde eine Gelegenheit haben (in einem Capitel meines Hauptwerks, das den Titel fuhrt» Zur Physiologie der Kunst«), des Naheren zu zeigen, wie diese Gesammtverwandlung der Kunst in's Schauspielerische eben so bestimmt ein Ausdruck physiologischer Degenerescenz (genauer, eine Form des Hysterismus) ist, wie jede einzelne Verderbniss und Gebrechlichkeit der durch Wagner inaugurirten Kunst: zum Beispiel die Unruhe ihrer Optik, die dazu nothigt, in jedem Augenblick die Stellung vor ihr zu wechseln. Man versteht Nichts von Wagner, so lange man in ihm nur ein Naturspiel, eine Willkur und Laune, eine Zufalligkeit sieht. Er war kein» luckenhaftes«, kein» verunglucktes«, kein» contradiktorisches «Genie, wie man wohl gesagt hat. Wagner war etwas Vollkommnes, ein typischer decadent, bei dem jeder» freie Wille «fehlt, jeder Zug Nothwendigkeit hat. Wenn irgend Etwas interessant ist an Wagner, so ist es die Logik, mit der ein physiologischer Missstand als Praktik und Prozedur, als Neuerung in den Principien, als Krisis des Geschmacks Schluss fur Schluss, Schritt fur Schritt macht.

Ich halte mich dies Mal nur bei der Frage des Stils auf. — Womit kennzeichnet sich jede litterarische decadence? Damit, dass das Leben nicht mehr im Ganzen wohnt. Das Wort wird souverain und springt aus dem Satz hinaus, der Satz greift uber und verdunkelt den Sinn der Seite, die Seite gewinnt Leben auf Unkosten des Ganzen — das Ganze ist kein Ganzes mehr. Aber das ist das Gleichniss fur jeden Stil der decadence: jedes Mal Anarchie der Atome, Disgregation des Willens,»Freiheit des Individuums«, moralisch geredet, — zu einer politischen Theorie erweitert» gleiche Rechte fur Alle«. Das Leben, die gleiche Lebendigkeit, die Vibration und Exuberanz des Lebens in die kleinsten Gebilde zuruckgedrangt, der Rest arm an Leben. uberall Lahmung, Muhsal, Erstarrung oder Feindschaft und Chaos: beides immer mehr in die Augen springend, in je hohere Formen der Organisation man aufsteigt. Das Ganze lebt uberhaupt nicht mehr: es ist zusammengesetzt, gerechnet, kunstlich, ein Artefakt. —

Bei Wagner steht im Anfang die Hallucination: nicht von Tonen, sondern von Gebarden. Zu ihnen sucht er erst die Ton-Semiotik. Will man ihn bewundern, so sehe man ihn hier an der Arbeit: wie er hier trennt, wie er kleine Einheiten gewinnt, wie er diese belebt, heraustreibt, sichtbar macht. Aber daran erschopft sich seine Kraft: der Rest taugt Nichts. Wie armselig, wie verlegen, wie laienhaft ist seine Art zu» entwickeln«, sein Versuch, Das, was nicht auseinander gewachsen ist, wenigstens durcheinander zu stecken! Seine Manieren dabei erinnern an die auch sonst fur Wagner's Stil heranziehbaren freres de Goncourt: man hat eine Art Erbarmen mit soviel Nothstand. Dass Wagner seine Unfahigkeit zum organischen Gestalten in ein Princip verkleidet hat, dass er einen dramatischen Stil «statuirt, wo wir bloss sein Unvermogen zum Stil uberhaupt statuiren, entspricht einer kuhnen Gewohnheit, die Wagnern durch's ganze Leben begleitet hat: er setzt ein Princip an, wo ihm ein Vermogen fehlt (- sehr verschieden hierin, anbei gesagt, vom alten Kant, der eine andre Kuhnheit liebte: namlich uberall, wo ihm ein Princip fehlte, ein» Vermogen «dafur im Menschen anzusetzen…). Nochmals gesagt: bewunderungswurdig, liebenswurdig ist Wagner nur in der Erfindung des Kleinsten, in der Ausdichtung des Details, — man hat alles Recht auf seiner Seite, ihn hier als einen Meister ersten Ranges zu proklamiren, als unsern grossten Miniaturisten der Musik, der in den kleinsten Raum eine Unendlichkeit von Sinn und Susse drangt. Sein Reichthum an Farben, an Halbschatten, an Heimlichkeiten absterbenden Lichts verwohnt dergestalt, dass Einem hinterdrein fast alle andern Musiker zu robust vorkommen. — Will man mir glauben, so hat man den hochsten Begriff Wagner nicht aus dem zu entnehmen, was heute von ihm gefallt. Das ist zur Uberredung von Massen erfunden, davor springt Unsereins wie vor einem allzufrechen Affresco zuruck. Was geht uns die agacante Brutalitat der Tannhauser-Ouverture an? Oder der Circus Walkure? Alles, was von Wagner's Musik auch abseits vom Theater popular geworden ist, ist zweifelhaften Geschmacks und verdirbt den Geschmack. Der Tannhauser-Marsch scheint mir der Biedermannerei verdachtig; die Ouverture zum fliegenden Hollander ist ein Larm um Nichts; das Lohengrin-Vorspiel gab das erste, nur zu verfangliche, nur zu gut gerathene Beispiel dafur, wie man auch mit Musik hypnotisirt (- ich mag alle Musik nicht, deren Ehrgeiz nicht weiter geht als die Nerven zu uberreden). Aber vom Magnetiseur und Affresco-Maler Wagner abgesehn giebt es noch einen Wagner, der kleine Kostbarkeiten bei Seite legt: unsern grossten Melancholiker der Musik, voll von Blicken, Zartlichkeiten und Trostworten, die ihm Keiner vorweggenommen hat, den Meister in Tonen eines schwermuthigen und schlafrigen Glucks… Ein Lexikon der intimsten Worte Wagner's, lauter kurze Sachen von funf bis funfzehn Takten, lauter Musik, die Niemand kennt… Wagner hatte die Tugend der decadents, das Mitleiden —

8

— Sehr gut! Aber wie kann man seinen Geschmack an diesen decadent verlieren, wenn man nicht zufallig ein Musiker, wenn man nicht zufallig selbst ein decadent ist?«— Umgekehrt! Wie kann man's nicht! Versuchen Sie's doch! — Sie wissen nicht, wer Wagner ist: ein ganz grosser Schauspieler! Giebt es uberhaupt eine tiefere, eine schwerere Wirkung im Theater? Sehen Sie doch diese Junglinge — erstarrt, blass, athemlos! Das sind Wagnerianer: das versteht Nichts von Musik, — und trotzdem wird Wagner uber sie Herr… Wagner's Kunst druckt mit hundert Atmospharen: bucken Sie sich nur, man kann nicht anders… Der Schauspieler Wagner ist ein Tyrann,

Вы читаете Der Fall Wagner
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату