Storungen des Denkers. — Auf alles, was den Denker in seinen Gedanken unterbricht (stort, wie man sagt), mu? er friedfertig hinschauen, wie auf ein neues Modell, das zur Tur hereintritt, um sich dem Kunstler anzubieten. Die Unterbrechungen sind die Raben, welche dem Einsamen Speise bringen.

343

Viel Geist haben. — Viel Geist haben erhalt jung: aber man mu? es ertragen, damit gerade fur alter zu gelten, als man ist. Denn die Menschen lesen die Schriftzuge des Geistes ab als Spuren der Lebenserfahrung, das hei?t des Viel- und Schlimm-gelebt- habens, des Leidens, Irrens, Bereuens. Also: man gilt ihnen fur alter sowohl als fur schlechter, als man ist, wenn man viel Geist hat und zeigt.

344

Wie man siegen mu?. — Man soll nicht siegen wollen, wenn man nur die Aussicht hat, um eines Haa- res Breite seinen Gegner zu uberholen. Der gute Sieg mu? den Besiegten freudig stimmen, er mu? etwas Gottliches haben, welches die Beschamung erspart.

345

Wahn der uberlegenen Geister. — Die uberlegenen Geister haben Muhe, sich von einem Wahne frei zu machen: sie bilden sich namlich ein, da? sie bei den Mittelma?igen Neid erregen und als Ausnahme empfunden werden. Tatsachlich aber werden sie als das empfunden, was uberflussig ist und was man, wenn es fehlte, nicht entbehren wurde.

346

Forderung der Reinlichkeit. — Da? man seine Meinungen wechselt, ist fur die einen Naturen ebenso eine Forderung der Reinlichkeit, wie die, da? man seine Kleider wechselt: fur andere Naturen aber nur eine Forderung ihrer Eitelkeit.

347

Auch eines Heros wurdig. — Hier ist ein Heros, der nichts getan hat als den Baum geschuttelt, sobald die Fruchte reif waren. Dunkt euch dies zu wenig? So seht euch den Baum erst an, den er schuttelte.

348

Woran die Weisheit zu messen ist. — Der Zuwachs an Weisheit la?t sich genau nach der Abnahme an Galle bemessen.

349

Den Irrtum unangenehm sagen. — Es ist nicht nach jedermanns Geschmack, da? die Wahrheit angenehm gesagt werde. Moge aber wenigstens niemand glauben, da? der Irrtum zur Wahrheit werde, wenn man ihn unangenehm sage.

350

Die goldene Losung. — Dem Menschen sind viele Ketten angelegt worden, damit er es verlerne, sich wie ein Tier zu gebarden: und wirklich, er ist milder, geistiger, freudiger, besonnener geworden, als alle Tiere sind. Nun aber leidet er noch daran, da? er so lange seine Ketten trug, da? es ihm so lange an reiner Luft und freier Bewegung fehlte: — diese Ketten aber sind, ich wiederhole es immer und immer wieder, jene schweren und sinnvollen Irrtumer der moralischen, der religiosen, der metaphysischen Vorstellungen. Erst wenn auch die Ketten-Krankheit uberwunden ist, ist das erste gro?e Ziel ganz erreicht: die Abtrennung des Menschen von den Tieren. — Nun stehen wir mitten in unserer Arbeit, die Ketten abzunehmen, und haben dabei die hochste Vorsicht notig. Nur dem veredelten Menschen darf die Freiheit des Geistes gegeben werden; ihm allein naht die Erleichterung des Lebens und salbt seine Wunden aus; er zuerst darf sagen, da? er um der Freudigkeit willen lebe und um keines weiteren Zieles willen; und in jedem anderen Munde ware sein Wahlspruch gefahrlich: Frieden um mich und ein Wohlgefallen an allen nachsten Dingen. — Bei diesem Wahlspruch fur Einzelne gedenkt er eines alten gro?en und ruhrenden Wortes, welches allen galt, und das uber der gesamten Menschheit stehengeblieben ist, als ein Wahlspruch und Wahrzeichen, an dem jeder zugrunde gehen soll, der damit zu zeitig sein Banner schmuckt, — an dem das Christentum zugrunde ging. Noch immer, so scheint es, ist es nicht Zeit, da? es allen Menschen jenen Hirten gleich ergehen durfe, die den Himmel uber sich erhellt sahen und jenes Wort horten:»Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen an einander.«— Immer noch ist es die Zeit der Einzelnen.

* * *

Der Schatten: Von allem, was du vorgebracht hast, hat mir nichts mehr gefallen als eine Verhei?ung: ihr wollt wieder gute Nachbarn der nachsten Dinge werden. Dies wird auch uns armen Schatten zugute kommen. Denn, gesteht es nur ein, ihr habt bisher uns allzugern verleumdet.

Der Wanderer: Verleumdet? Aber warum habt ihr euch nie verteidigt? Ihr hattet ja unsere Ohren in der Nahe.

Der Schatten: Es schien uns, als ob wir euch eben zu nahe waren, um von uns selber reden zu durfen.

Der Wanderer: Delikat! Sehr delikat! Ach, ihr Schatten seid» bessere Menschen «als wir, das merke ich.

Der Schatten: Und doch nanntet ihr uns» zu- dringlich«— uns, die wir mindestens eines gut verstehen: zu schweigen und zu warten — kein Englander versteht es besser. Es ist wahr, man findet uns sehr, sehr oft in dem Gefolge des Menschen, aber doch nicht in seiner Knechtschaft. Wenn der Mensch das Licht scheut, scheuen wir den Menschen: soweit geht doch unsere Freiheit.

Der Wanderer: Ach, das Licht scheut noch viel ofter den Menschen, und dann verla?t ihr ihn auch.

Der Schatten: Ich habe dich oft mit Schmerz verlassen: es ist mir, der ich wi?begierig bin, an dem Menschen vieles dunkel geblieben, weil ich nicht immer um ihn sein kann. Um den Preis der vollen Menschen-Erkenntnis mochte ich auch wohl dein Sklave sein.

Der Wanderer: Wei?t du denn, wei? ich denn, ob du damit nicht unversehens aus dem Sklaven zum Herrn wurdest? Oder zwar Sklave bliebest, aber als Verachter deines Herrn ein Leben der Erniedrigung, des Ekels fuhrtest: Seien wir beide mit der Freiheit zufrieden, so wie sie dir geblieben ist — dir und mir! Denn der Anblick eines Unfreien wurde mir meine gro?ten Freuden vergallen; das Beste ware mir zuwider, wenn es jemand mit mir teilen mu?te, — ich will keine Sklaven um mich wissen. Deshalb mag ich auch den Hund nicht, den faulen, schweifwedelnden Schmarotzer, der erst als Knecht des Menschen» hundisch «geworden ist und von dem sie gar noch zu ruhmen pflegen, da? er dem Herrn treu sei und ihm folge wie sein —

Der Schatten: Wie sein Schatten, so sagen sie. Viel leicht folgte ich dir heute auch schon zu lange? Es war der langste Tag, aber wir sind an seinem Ende, habe eine kleine Weile noch Geduld! Der Rasen ist feucht, mich frostelt.

Der Wanderer: Oh, ist es schon Zeit zu scheiden? Und ich mu?te dir zuletzt noch wehe tun; ich sah es, du wurdest dunkler dabei.

Der Schatten: Ich errotete, in der Farbe, in welcher ich es vermag. Mir fiel ein, da? ich dir oft zu Fu?en gelegen habe wie ein Hund, und da? du dann —

Der Wanderer: Und konnte ich dir nicht in aller Geschwindigkeit noch Etwas zu Liebe tun? Hast du keinen Wunsch?

Der Schatten: Keinen, au?er etwa den Wunsch, welchen der philosophische» Hund «vor dem gro?en Alexander hatte: gehe mir ein wenig aus der Sonne, es wird mir zu kalt.

Der Wanderer: Was soll ich tun?

Der Schatten: Tritt unter diese Fichten und schaue dich nach den Bergen um; die Sonne sinkt.

Der Wanderer — Wo bist du? Wo bist du?

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