Beispiel seine ignorantia legis, die Folge einer absichtlichen Vernachlassigung des Erlernens ist; dann hat er also schon damals, als er nicht lernen wollte was er sollte, die schlechteren Grunde den besseren vorgezogen und mu? jetzt die Folge seiner schlechten Wahl bu?en. Wenn er dagegen die besseren Grunde nicht gesehen hat, etwa aus Stumpf- und Blodsinn, so pflegt man nicht zu strafen: es hat ihm, wie man sagt, die Wahl gefehlt, er handelte als Tier. Die absichtliche Verleugnung der besseren Vernunft ist jetzt die Voraussetzung, die man beim strafwurdigen Verbrecher macht. Wie kann aber jemand absichtlich unvernunftiger sein, als er sein mu?? Woher die Entscheidung, wenn die Wagschalen mit guten und schlechten Motiven belastet sind? Also nicht vom Irrtum, von der Blindheit her, nicht von einem au?eren, auch von keinem inneren Zwange her? (Man erwage ubrigens, da? jeder sogenannte»au?ere Zwang «nichts weiter ist, als der innere Zwang der Furcht und des Schmerzes.) Woher? fragt man immer wieder. Die Vernunft soll also nicht die Ursache sein, weil sie sich nicht gegen die besseren Grunde entscheiden konnte? Hier nun ruft man den» freien Willen «zur Hilfe: es soll das vollendete Belieben entscheiden, ein Moment eintreten, wo kein Motiv wirkt, wo die Tat als Wunder geschieht, aus dem Nichts heraus. Man straft diese angebliche Beliebigkeit, in einem Falle, wo kein Belieben herrschen sollte: die Vernunft, welche das Gesetz, das Verbot und Gebot kennt, hatte gar keine Wahl lassen durfen, meint man, und als Zwang und hohere Macht wirken sollen. Der Verbrecher wird also bestraft, weil er vom» freien Willen «Gebrauch macht: das hei?t, weil er ohne Grund gehandelt hat, wo er nach Grunden hatte handeln sollen. Aber warum tat er dies? Dies eben darf nicht einmal mehr gefragt werden: es war eine Tat ohne» darum?«ohne Motiv, ohne Herkunft, etwas Zweckloses und Vernunftloses. — Eine solche Tat durfte man aber, nach der ersten oben vorangeschickten Bedingung aller Strafbarkeit, auch nicht strafen! Auch jene Art der Strafbarkeit darf nicht geltend gemacht werden, als wenn hier etwas nicht getan, etwas unterlassen, von der Vernunft nicht Gebrauch gemacht sei: denn unter allen Umstanden geschah die Unterlassung ohne Absicht! und nur die absichtliche Unterlassung des Gebotenen gilt als strafbar. Der Verbrecher hat zwar die schlechteren Grunde den besseren vorgezogen, aber ohne Grund und Absicht: er hat zwar seine Vernunft nicht angewendet, aber nicht, um sie nicht anzuwenden. Jene Voraussetzung, die man beim strafwurdigen Verbrechen macht, da? er seine Vernunft absichtlich verleugnet habe, — gerade sie ist bei der Annahme des» freien Willens «aufgehoben. Ihr durft nicht strafen, ihr Anhanger der Lehre vom» freien Willen«, nach euern eigenen Grundsatzen nicht! — Diese sind aber im Grunde nichts, als eine sehr wunderliche Begriffs-Mythologie; und das Huhn, welches sie ausgebrutet hat, hat abseits von aller Wirklichkeit auf seinen Eiern gesessen.

24

Zur Beurteilung des Verbrechers und seines Richters. — Der Verbrecher, der den ganzen Flu? der Umstande kennt, findet seine Tat nicht so au?er der Ordnung und Begreiflichkeit, wie seine Richter und Tadler: seine Strafe aber wird ihm gerade nach dem Grad von Erstaunen zugemessen, welches jene beim Anblick der Tat als einer Unbegreiflichkeit befallt. — Wenn die Kenntnis, welche der Verteidiger eines Verbrechers von dem Fall und seiner Vorgeschichte hat, weit genug reicht, so mussen die sogenannten Milderungsgrunde, welche er der Reihe nach vorbringt, endlich die ganze Schuld hinwegmildern. Oder, noch deutlicher: der Verteidiger wird schrittweise jenes verurteilende und strafzumessende Erstaunen mildern und zuletzt ganz aufheben, indem er jeden ehrlichen Zuhorer zu dem inneren Gestandnis notigt:»er mu?te so handeln, wie er gehandelt hat; wir wurden, wenn wir straften, die ewige Notwendigkeit bestrafen.«— Den Grad der Strafe abmessen nach dem Grad der Kenntnis, welchen man von der Historie eines Verbrechens hat oder uberhaupt gewinnen kann, — streitet dies nicht wider alle Billigkeit?

25

Der Tausch und die Billigkeit. — Bei einem Tausche wurde es nur dann ehrlich und rechtlich zugehen, wenn jeder der beiden so viel verlangte, als ihm seine Sache wert scheint, die Muhe des Erlangens, die Seltenheit, die aufgewendete Zeit usw. in Anschlag gebracht, nebst dem Affektionswerte. Sobald er den Preis in Hinsicht auf das Bedurfnis des andern macht, ist er ein feinerer Rauber und Erpresser. — Ist Geld das eine Tauschobjekt, so ist zu erwagen, da? ein Frankentaler in der Hand eines reichen Erben, eines Tagelohners, eines Kaufmannes, eines Studenten ganz verschiedene Dinge sind: jeder wird, je nachdem er fast nichts oder viel tat, ihn zu erwerben, wenig oder viel dafur empfangen durfen — so ware es billig: in Wahrheit steht es bekanntlich umgekehrt. In der gro?en Geldwelt ist der Taler des faulsten Reichen gewinnbringender als der des Armen und Arbeitsamen.

26

Rechtszustande als Mittel. — Recht, auf Vertragen zwischen Gleichen beruhend, besteht, solange die Macht derer, die sich vertragen haben, eben gleich oder ahnlich ist; die Klugheit hat das Recht geschaffen, um der Fehde und der nutzlosen Vergeudung zwischen ahnlichen Gewalten ein Ende zu machen. Dieser aber ist ebenso endgultig ein Ende gemacht, wenn der eine Teil entschieden schwacher als der andere geworden ist: dann tritt Unterwerfung ein, und das Recht hort auf, aber der Erfolg ist derselbe wie der, welcher bisher durch das Recht erreicht wurde. Denn jetzt ist es die Klugheit des Uberwiegenden, welche die Kraft des Unterworfenen zu schonen und nicht nutzlos zu vergeuden anrat: und oft ist die Lage des Unterworfenen gunstiger, als die des Gleichgestellten war. — Rechtszustande sind also zeitweilige Mittel welche die Klugheit anrat, keine Ziele.

27

Erklarung der Schadenfreude. — Die Schadenfreude entsteht daher, da? ein jeder in mancher ihm wohl bewu?ten Hinsicht sich schlecht befindet, Sorge oder Neid oder Schmerz hat: der Schaden, der den andern betrifft, stellt diesen ihm gleich, er versohnt seinen Neid. — Befindet er gerade sich selber gut, so sammelt er doch das Ungluck des nachsten als ein Kapital in seinem Bewu?tsein auf, um es bei einbrechendem eigenen Ungluck gegen dasselbe einzusetzen: auch so hat er» Schadenfreude«. Die auf Gleichheit gerichtete Gesinnung wirft also ihren Ma?stab aus auf das Gebiet des Glucks und des Zufalls: Schadenfreude ist der gemeinste Ausdruck uber den Sieg und die Wiederherstellung der Gleichheit, auch innerhalb der hoheren Weltordnung. Erst seitdem der Mensch gelernt hat, in anderen Menschen seinesgleichen zu sehen, also erst seit Begrundung der Gesellschaft gibt es Schadenfreude.

28

Das Willkurliche im Zumessen der Strafen. — Die meisten Verbrecher kommen zu ihren Strafen wie die Weiber zu ihren Kindern. Sie haben zehn- und hundertmal dasselbe getan, ohne uble Folgen zu spuren: plotzlich kommt eine Entdeckung und hinter ihr die Strafe. Die Gewohnheit sollte doch die Schuld der Tat, derentwegen der Verbrecher gestraft wird, entschuldbarer erscheinen lassen: es ist ja ein Hang entstanden, dem schwerer zu widerstehen ist. Anstatt dessen wird er, wenn der Verdacht des gewohnheitsma?igen Verbrechens vorliegt, harter gestraft, die Gewohnheit wird als Grund gegen alle Milderung geltend gemacht. Umgekehrt: eine musterhafte Lebensweise, gegen welche das Verbrechen um so furcherlicher absticht, sollte die Schuldbarkeit verscharft erscheinen lassen! Aber sie pflegt die Strafe zu mildern. So wird alles nicht nach dem Verbrecher bemessen, sondern nach der Gesellschaft und deren Schaden und Gefahr: fruhere Nutzlichkeit eines Menschen wird gegen seine einmalige Schadlichkeit eingerechnet, fruhere Schadlichkeit zur gegenwartig entdeckten addiert, und demnach die Strafe am hochsten zugemessen. Wenn man aber dergestalt die Vergangenheit eines Menschen mit straft oder mit belohnt (dies im ersten Fall, wo das Weniger-Strafen ein Belohnen ist) so sollte man noch weiter zuruckgehn und die Ursache einer solchen oder solchen Vergangenheit strafen und belohnen, ich meine Eltern, Erzieher, die Gesellschaft usw.: in vielen Fallen wird man dann die Richter irgendwie bei der Schuld beteiligt finden. Es ist willkurlich, beim Verbrecher stehen zu bleiben, wenn man die Vergangenheit straft: man sollte, falls man die absolute Entschuldbarkeit jeder Schuld nicht zugeben will, bei jedem einzelnen Fall stehnbleiben und nicht weiter zuruckblicken: also die Schuld isolieren und sie gar nicht mit der Vergangenheit in Verknupfung bringen, — sonst wird man zum Sunder gegen die Logik. Zieht vielmehr, ihr Willens-Freien, den notwendigen Schlu? aus eurer Lehre von der» Freiheit des Willens «und dekretiert kuhnlich:»keine Tat hat eine Vergangenheit.»

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