entlang. An einer schon fast umgeknickten Palme klammerte sich Joe fest, zog den Kopf tief zwischen die Schultern und sturzte sich dann wie ein Rammbock gegen den Sturm. Die Mutze wurde ihm weggerissen, der Rock flatterte wie ein Geistervogel davon… barhauptig, im aufgerissenen Hemd und mit zerfetzten Hosen, erreichte er den Strand, umklammerte eine in den Strand gerammte Eisenstange, an der er vor zehn Jahren noch ein Ruderboot vertaut hatte, das jetzt langst verrottet war, und sah mit flackerndem, irrem Blick auf die weggeschwemmte Bucht. Kein Schiff mehr, kein Segel, keine russische Fahne… nur ein brullendes Meer, das alles verschlang.

«Meine Schiffe!«schrie Joe Williams. Er warf den Kopf weit in den Nacken, hob die rechte Faust zum grauschwarzen Himmel empor, eine einzige klaffende Wunde war sein Mund, und aus dieser Wunde schrillte ein Schrei in das Toben des Orkans hinaus, ein heller, schriller Schrei, der das Herz zerrei?en mu?te.

«Meine Flotte! Die Schweden siegen! Mein Ru?land… ich habe dich vernichtet. Ich, der Zar! Jetzt ist die Zeit gekommen — «

Er lie? den Eisenpfahl los, der Wind trieb ihn wie en Stuck Holz auf sein Haus zu, er prallte gegen die Mauer, krallte sich an ihr fest und erreichte den Eingang. Irgendwo blutete er… er wu?te nicht, wo, er spurte nichts, er sah nur, wie er eine Blutspur hinterlie?, als er durch sein Haus schwankte. Er stieg in den Keller, schleppte auf den Schultern eine Holzkiste hinauf und stellte sie im Bernsteinzimmer ab.

Ein ohrenbetaubendes Krachen lie? ihn zusammenzucken. Uber ihm kreischte und splitterte es, klang es wie ein Achzen aus tausend Kehlen. Die Riesenhand, die auch die Platane abgedreht hatte, griff nach der Zwiebelkuppel, ri? sie aus ihrer Verankerung, hob sie hoch in den Sturm, als habe sie kein Gewicht, und schleuderte sie hinaus ins Land. Das schwere Doppelkreuz wurde gegen die Mauer geschleudert und schlug ein gro?es Loch in den Verputz.

«Vernichtung!«schrie Joe Williams mit greller Stimme. Sein irrer Blick glitt uber die Bernsteinwande, die Spiegel und Gemalde.»Vernichtet alles! Nichts sollt ihr von mir finden! Ich ergebe mich nicht den Schweden. Ich ergebe mich nicht — «

Er ri? den Kistendeckel auf und warf ihn weg. In der Kiste lagen gelb gestrichene Stangen, eine neben der anderen. In einem gesonderten Fach, in Olpapier eingewickelt, war eine Kabelrolle eingepackt. Hin kleiner, viereckiger Kasten mit einigen Anschlussen und einem roten Druckhebel stand daneben. Mit zitternden Fingern verteilte Joe die Dynamitstangen rund an den Wanden des Bernsteinzimmers entlang, zog die Zundkabel hinter sich her in die anderen Raume, verteilte auch dort die gelben Stangen an die Wande, und als er in allen Zimmern Dynamit gelegt hatte, verband er die Kabel miteinander, steckte sie in die Anschlusse des elektrischen Zundkastens und schlug den roten Hebel hoch.

Drau?en ri? der Orkan an den Fenstern und Turen, hammerte mit Eisenfausten gegen die Au?enwande des Bernsteinzimmers, das Meer fra? sich weiter ins Land und klatschte bereits gegen die Mauer. Ganz ruhig, mit einem Lacheln, das uberirdisches Gluck widerspiegelte, setzte sich Joe auf den vergoldeten, geschnitzten Sessel mitten im Bernsteinzimmer, nahm den Zundkasten auf seinen Scho?, und mit dem gleichen seligen Lacheln, den Blick auf den Bernsteinkopf des sterbenden Kriegers gerichtet, druckte er kraftvoll auf den roten Hebel herunter.

Die Explosion, die Druckwelle war sogar noch starker als der Orkan. In Whitesands zerbarsten einige Fensterscheiben, Reverend Killroad sah von seiner Kirche den emporschie?enden Feuerball, die Explosionswolke, die schnell vom Sturm auseinandergerissen wurde, und dann die Feuerwand, aus der im Wind die Funken hoch in den Himmel stoben.

Er rannte zum Telefon, rief David Hoven an, zum Gluck konnte man noch innerhalb Whitesands telefonieren, da alle Leitungen unter der Erde verkabelt waren — auch ein Werk des alten guten Williams —, und brullte:

«Bei Ron ist etwas passiert! Es brennt bei ihm! Sieht aus wie eine Explosion! Tatsachlich, es brennt bei ihm…«

«Ich kann nicht raus!«schrie Hoven zuruck.

«Du mu?t, David. Du mu?t helfen! Du bist doch die Feuerwehr…«

«Der Sturm fegt mir die Loschwagen durch die Luft. Wie Spielzeugautos. Keine zehn Meter komme ich! John… mein Gott… ich bin hilflos bei diesem Sturm… Der arme Ron…«»Arm! Arm! Arm! Davon hat er nichts. Wir mussen ihm helfen, David…«

Es war unmoglich, wie Hoven es gesagt hatte. Der erste Loschwagen wurde vom Orkan gepackt und noch in der Garage gegen die Mauer geschleudert. Den zweiten lie? Hoven gar nicht erst ausfahren, sondern ging in den Bereitschaftsraum zuruck, sah die Manner in ihren Feuerwehruniformen mit e-nem starren Blick an und sagte:

«Ron Calling gibt es nicht mehr. Freunde, la?t uns fur ihn beten. Das ist alles, was wir fur ihn tun konnen.«

Den ganzen Tag und die ganze Nacht heulte der Sturm und brannte das Haus am Meer. Am zweiten Tag gelang es endlich, die Loschwagen bis an die Mauer zu bringen. Die Kraft des Windes hatte etwas nachgelassen, aber er war noch stark genug, das Feuer immer wieder anzufachen. Ringsum herrschte noch eine solche Gluthitze, da? Hovens Manner nicht in die Nahe des Hauses kamen. Die Mauern zerbarsten und fielen unter spruhendem Funkenregen in sich zusammen. Es war kein Haus mehr, nicht einmal die Form oder die Ahnung eines Hauses lie?en die Flammen zuruck, geschwarzte Steintrummer waren alles, was ubrigblieb.

Am vierten Tag endlich gelang es Hoven und seinen Mannern, die letzten Flammen zu loschen und die Trummer zu betreten. Nach Ron Calling brauchte man nicht mehr zu suchen, auch nicht nach Uberresten von ihm.»Der ist zu Pulver verbrannt!«sagte Hoven heiser. Neben ihm stand Reverend Killroad und segnete die Trummer, in denen Rons Asche liegen mu?te.»So was von Feuer hab ich noch nicht gesehen. Was hatte der Alte hier blo? gelagert? So grundlich fliegt keine Dynamitfabrik in die Luft…«

Er schuttelte den Kopf, atmete tief durch und stieg aus den Trummern.»So 'n Ende hat ihm keiner gewunscht. Er war ein lieber, guter Mensch… und da? er am Ende ein wenig verruckt war, dafur konnte er nicht. Reverend, wir werden ihm auf dem Friedhof ein Kreuz errichten. Zum Gedenken an Ron Calling, unseren Freund. Das hat er verdient.«

«Ja — «, sagte Killroad feierlich.»Das hat er bei Gott verdient. «Ein paar Tage spater fuhr ein Bagger ans Meer, schaufelte die Trummer in gro?e Trucks, und die Wagen brachten die geschwarzten Steine in ein Loch, das das Meer gerissen hatte, und fullten es damit auf.

Noch heute und vielleicht noch in hundert Jahren werden

Kunsthistoriker, Sonderkommissionen, Geheimdienste und private Kunstliebhaber das Bernsteinzimmer suchen. In Gruben, Bergwerken, unterirdischen Gangen und Gewolben.

Es gibt es nicht mehr, das Bernsteinzimmer. Die Wande aus dem» Sonnenstein «leuchten nicht mehr, und nur die Sonne, die es erstrahlen lie?, wei?, wo es geblieben ist.

Aber die Sonne schweigt.

Das Leben ist ihre Aufgabe… nicht die Erzahlung vom Tod.

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