kann man damit, Buchsen offnen, mit der Spitze bohren und schrauben, ein wahres Teufelsding ist so ein Messerchen. Verlier es nicht, mein Sohn, dein Leben konnte es retten.«

Also holte Viktor Janissowitsch das vaterliche Taschenmesser aus seiner verschmutzten Uniformhose, klappte die lacherlich kleine Klinge auf und verfolgte weiter die Spur der verstreuten Erde. Etwa vierzig Meter von der Stra?e entfernt kam er an einen breiten, vielleicht zwei Meter tiefen Graben. Er war mit Buschen bewachsen, und Wurzelfaden stie?en durch den Hang, die aussahen wie ein struppiger Bart… ja, und da sah Viktor Janissowitsch einen Haufen Zweige, die vertrocknet waren, etwas Absonderliches fur einen Graben, aus dem die feuchte Erde schimmelig und streng roch.

Solotwin krallte die Finger fester um den Holzgriff seines Taschenmessers, stie? es vor, als wolle er ein Bauernduell beginnen, und spreizte dabei die Beine. So viel Mut verstand er selbst nicht mehr. Ihm war klar, da? dieses trockene Reisig etwas verdeckte und da? die abgerissenen Zweige etwas schutzen sollten, was immer sich dahinter verbergen mochte.»Komm heraus!«rief er, seine plotzlich so harte Stimme bewundernd.»Heb die Hande hoch und komm heraus! Keinen Sinn hat's, sich jetzt noch zu verkriechen.«

Er wartete, hinter einem Baum stehend, das Messer von sich gestreckt. Wenn's ein Spion ist, dachte er mit hammerndem Herzen, wird er mich verstehen? Kann er russisch? Aber so dumm sind die Deutschen nicht, da? sie Spione losschicken, die kein Russisch verstehen. Oder ist's ein Sowjetburger? So einer, von denen man jetzt immer ofter hort? Defatisten, Verrater, Mitglieder der beruchtigten Funften Kolonne, Kollaborateure, Agenten, die mit den Deutschen zusammenarbeiteten, die nachts Leuchtzeichen abfeuerten und den deutschen Bombern den Weg zu besonders wichtigen Stellen angaben? Da hatte doch eine Frau — uberall wurde das erzahlt als warnendes Beispiel —, eine Frau in Leningrad in ein entdecktes Tagebuch geschrieben:»Werden wir wirklich bald befreit? Einerlei, wie die Deutschen sind, es kann kaum noch schlimmer kommen. Herr, vergib mir…«Eine Feindin des Kommunismus. Erschossen hatte man sie, die Verraterin.

Wer also verbarg sich dort im Abhang des Grabens?

Noch einmal rief er mit scharfer Stimme:»Komm heraus!«Insgeheim wunschte er sich, da? niemand aus dem Versteck kroch, da? es verlassen war und es keinen Kampf geben wurde. Aber Solotwin hatte dieses Gluck nicht.

Die verdorrten Aste bewegten sich, wurden zur Seite geschoben, gaben den kleinen, runden Eingang einer Erdhohle frei, eine schmutzige Hand druckte das Reisig weg, und dann erschien in der Offnung ein Kopf, und ein schmaler Korper kroch ins Freie.

Solotwin duckte sich hinter seinem schutzenden Baum und wartete ab. Was er zunachst klar erkannte, war ein deutscher Militarmantel, zottelige Haare, von getrockneter Erde verschmutzte Kleider und ein verdrecktes Gesicht mit hohen Backenknochen. Sieh an, sieh an, dachte Viktor Janissowitsch, und seine Angst verschwand so plotzlich, wie sie ihn angesprungen hatte. Ein deutscher Spion! Wahrhaftig, sogar in Uniform. So sicher sind sie sich, unser Land zu erobern, da? sie sich sogar in Uniform unter uns mischen. Aber noch sind wir hier, Freundchen, und wir bleiben hier. Wei?t du nicht, was Stalin am 3. Juli, morgens um sechs Uhr drei?ig im Moskauer Radio zu uns allen gesagt hat?

«Kein einziger Waggon, keine einzige Lokomotive, kein Kilo Getreide und kein Liter Brennstoff durfen in die Hand des Feindes fallen. In den besetzten Gebieten mussen sich Partisanengruppen zu Fu? und zu Pferde organisieren, um einen Zermurbungskrieg zu fuhren, Brucken und Stra?en zu sprengen, Lager, Hauser und Walder in Brand zu setzen. Der Feind mu? gehetzt werden bis zu seiner Vernichtung…«

Solotwin stie? den Atem schnaufend durch die Nase.»Die Hande hoch!«rief er.»Hoch und in den Nacken legen! Und herkommen, ganz langsam herkommen. Ich schie?e sofort, jawohl, sofort…«

Der Deutsche schien ihn zu verstehen. Auch glaubte er Solotwin, da? er bewaffnet war. Von der Stra?e her erklang jetzt Hammern und lautes Stimmengewirr. Wechajew lie? den Wagen mit der gebrochenen Achse mit Wagenhebern aufbocken. Langsam kam der Deutsche auf Viktor Janissowitsch zu, die Hande im Nacken gefaltet, kletterte den Hang des Grabens hoch und blieb an seinem Rand stehen. Solotwin winkte ihm energisch zu.

«Hierher! Zier dich nicht, Kerlchen. Zu Ende ist fur dich der Krieg… wenn man dich leben la?t.«

Der Deutsche nickte, was bewies, da? er Russisch verstand, kam naher, und jetzt erst erkannte Solotwin mit unglaubigem Blick, da? der deutsche Soldat unter dem Mantel keine Hosen, sondern einen Rock trug, da? seine Haare bis auf die Schultern fielen und das Gesicht unter den Haarstrahnen vor den Augen mehr einer Frau glich als einem Mann.

Viktor Janissowitsch trat hinter seinem Baumstamm hervor, das Taschenmesser noch immer in der Hand, schuttelte den

Kopf und wartete, bis dieses deutsche Ratsel drei Schritte vor ihm stehenblieb. Wieder musterte er die Gestalt von oben bis unten, erkannte ein blauwei? gestreiftes Kleid mit einer wei?en, jetzt aber vollig verdreckten Schurze und vorn am Hals eine runde Brosche mit einem deutlichen roten Kreuz darauf.»Na, sieh einer an!«sagte Solotwin und senkte sein Taschenmesser.»Ein schmutziges Schwanchen! Und russisch kann es! Und als Schwester verkleidet es sich! Ihr seid schon eine Bande, ihr deutschen Spione!«

«Ich bin kein Spion«, sagte das Madchen in einem guten Russisch.

Solotwin grinste breit und nickte mehrmals.»Aber man spricht, als habe man russische Muttermilch getrunken. Was machst du da in der Erdhohle? Warum hast du sie gegraben?«

«Ich warte auf die Deutschen, Rotarmist.«

«Aha! Aha!«Solotwin war zufrieden. Ein Gestandnis war das. Eine Spionin hatte er entdeckt und gefangengenommen. So einfach im Vorubergehen, bei der Suche nach einem guten Platz zum Schei?en. Die Augen mu? man offenhalten, wo immer man geht. Das ist es, Genossen. Jetzt wird es eine Belobigung geben, vielleicht sogar einen Orden oder eine Beforderung zum Gefreiten. Es kam darauf an, wie wichtig dese Spionin fur die Sowjetunion war.

Unterleutnant Wechajew machte ebenfalls gro?e runde Augen, als Viktor Janissowitsch mit einem deutschen Soldaten aus dem Wald kam, schrie sofort:»Feind bei uns!«und griff nach seiner Pistole. Aber schneller als Solotwin sah er Kleid und Schurze, erkannte daran eine Frau und zeigte mit geballter Faust auf sie.

«Was ist das?«brullte er.

«Eine deutsche Spionin!«meldete Solotwin stramm.»In einer Erdhohle hauste sie. Entdeckt habe ich sie in einem Graben…»Und sie lebt noch, ty maschonka?!«

Soll man das ubersetzen? Besser nicht. Wer hatte von Wechajew je etwas anderes als ein ubelstes Schimpfwort erwartet?

Solotwin errotete leicht, schamte sich vor dem Madchen, auch wenn es eine Feindin war, und senkte den Kopf.

«Waffenlos bin ich, Genosse«, sagte er bedruckt.»Hab nur ein Taschenmesser bei mir.«

«Und das genugt nicht, ty wetry?« Viktor Janissowitsch errotete noch mehr, als er sich jetzt einen Furz genannt horte.»Und mit zehn Fingern kann man wurgen, Soldat Solotwin! Geht mit einer deutschen Spionin spazieren, was sagt man dazu? Will sie wohl haben und abreiben und dann ticken?«Er holte tief Atem, ignorierte, da? das Madchen aus einem Ri? uber der linken Schlafe blutete, den sie sich beim Hinauskriechen aus der Hohle geholt hatte, und sagte dann grob, seine Pistole aus dem Futteral holend:»Kein Grund, lange zu diskutieren…«»Ich bin keine Spionin«, sagte das Madchen noch einmal. Mit weiten Augen starrte sie in die Mundung von Wechajews Pistole, die genau auf ihre Stirn zielte. Nur ein leichtes Fingerkrummen trennte sie jetzt noch von der ewigen Nacht.»Einen Offizier will ich sprechen.«

«Einen Offizier!«affte Wechajew ihr nach.»So einfach einen Offizier sprechen, als kaufe man ein auf dem Markt. Was soll's denn sein, mein Taubchen, vielleicht einen Major oder einen Oberst oder gar einen General? Alles haben wir im Korbchen. Bedien dich.«

«Ein General ware das richtige«, antwortete sie.»Bringt mich zu eurem General.«

«Welch ein Gluck, da? wir einen General sogar in der Nahe haben. «Eisiger Spott beherrschte Wechajews Stimme.»Wunschen das Hurchen eine gutgefederte Limousine? — Umdrehen! Umdrehen, sag ich!«

Das Madchen blieb so stehen, wie es war. Umdrehen… das bedeutete nichts anderes als einen Genickschu?. Die sicherste Methode der Hinrichtung.

Sie wischte sich mit der Hand uber ihr Gesicht, schob die Zotteln zur Seite und sah Wechajew in die kalten, gnadenlosen Augen. Er wurde sie auch in die Stirn schie?en, das erkannte sie an seinem Blick.

«Ich bin keine Deutsche«, sagte sie laut, aber ihre Stimme war tonlos vor Angst.»Ich bin eine Russin. Eine Genossin…«»Das trifft sich gut!«Wechajew verzog den Mund wie vor Ekel.»Ich bin der jungste Bruder von Stalin. Nur glaubt er es nicht, so wenig wie ich dir glaube. Wenn wir schon lugen, dann glaubhaft. Umdrehen!«

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