Wiederaufbauministerium ins Hotel zuruckgekommen und gleich ins Bett gegangen. Da rief Sabine an, und er hatte das Radio angestellt, um noch etwas Musik zu horen. Es war ein Horspiel im Sender, und bevor er einen anderen Sender suchen konnte, lautete das Telefon. So blieb der Sender stehen. Und Sabine schrie ihn an:»Was hast du fur ein Weib in deinem Zimmer?!«So oder ahnlich sagte sie. Da hatte er tief beleidigt aufgelegt und lange nicht einschlafen konnen.

Oder die Sache mit dem Fernsehen. Von fruh bis spat arbeitete er, um sich die Villa am Rhein zu erhalten, um Sabine ein sorgloses Leben zu bieten, um eben gut zu leben. Abends sah er dann gerne zum Ausgleich das Fernsehprogramm. Besonders gern Opern oder Kriminalfilme. Sabine sa? dann beleidigt im Sessel oder ging schimpfend ins Bett.»Immer dieses Fernsehen!«rief sie erregt.»Den ganzen Tag sieht man dich nicht. Und abends, wenn wir uns unterhalten konnten, hockst du vor dem Kasten! Ich konnte das Ding zerschlagen! Du bist ja fernsehkrank! Wenn ich wegginge und ware nicht im Zimmer, du wurdest es gar nicht merken! Ich bin nur noch Luft fur dich! Ich bin nichts anderes als ein gut bezahltes Dienstmadchen!«

Meistens gab er dann keine Antwort. Er verstand Sabine einfach nicht. Warum gonnte sie ihm am Abend nicht sein harmloses Fernsehvergnugen? Er schuftete doch nur fur sie. Er ging zu keinem Skatabend, er war nicht in einem Kegelklub, er hatte keinen Stammtisch, alles Dinge, die andere Manner haben und mit denen sich andere Frauen abfinden mussen. Sabine hat ihn ja immer um sich, jeden Abend. War sie etwa auch auf das Fernsehen eifersuchtig?

«Du bist von einer pathologischen Eifersucht!«hatte er einmal gesagt. Das hatte sie ihm ubelgenommen uber drei Wochen hin.

Und so ging es Tag um Tag. Vorwurfe, Eifersuchteleien, kein Verstandnis fur seine Arbeit, Szenen, weil er dem Hausmadchen zu-gelachelt hatte und mit ihr zehn Minuten allein im Weinkeller war, Tiraden, weil er eine Rechnung von Sabine zu bezahlen vergessen hatte, neue Vorwurfe, weil er dem Hausmadchen unter den Rock geguckt haben sollte, als sie im Garten arbeitete und sich tief bucken mu?te. Es war schrecklich, mit Sabine auszukommen. Es gab nichts, in dem sie nicht einen Fehler Peters entdeckte, und sie glaubte alles zu sehen und klar zu erkennen, weil sie so sehr an ihm hing und allen auch nur einen freundlichen Blick aus Peters Augen mi?gonnte.

Und plotzlich waren sieben Jahre herum. Mein Gott, sieben Jahre sind eine unendlich lange Zeit, wenn man sie vor sich hat. Sind sie herum, waren es Gedankenfluge, weiter nichts. Peter Sacher hatte sein Ziel erreicht. Er war bekannt, geachtet, wohlhabend und, was am meisten wog, beneidet. Aber zwischen Sabine und ihm war eine Kluft aufgerissen, uber die hinweg sie sich ansahen und ansprachen, kalt, fremd, oft voll Trotz, und doch liebten sie sich. Das war das Verruckteste.

Peter wischte sich uber die Augen und kehrte in die Wirklichkeit zuruck. Er sah Sabine noch immer vor sich stehen. In ihren dunklen Augen las er neben der Frage die Angst, da? er wutend werden konnte.

«Warum fragst du mich?«sagte er betont gleichgultig.»Was soll denn mit mir sein?«

«Du bist immer so niedergedruckt. «Sabine war glucklich, da? er uberhaupt geantwortet hatte.»Hast du Sorgen? Warum sagst du es mir nicht?«Sabine sah ihn bittend an. Peter wich diesem Blick aus.

Er war ihm fremd. Er konnte mit dieser stummen Frage nichts anfangen.

«Sorgen? Nein! Vielleicht bin ich etwas uberarbeitet. Das wird es sein. Ich habe mich in letzter Zeit ubernommen. Der Staat hat nun endlich gro?ere Baukredite genehmigt. Und was drei Jahre lang ruhte, soll nun in drei Monaten fertig sein.«

«Die Ferien werden dir guttun. «Sabine fuhr die kleine Hausbar heran, nahm zwei Glaser heraus und go? Kognak ein.»Bitte«, sagte sie,»la? uns einen Kognak zusammen trinken.«

Erstaunt nahm Peter Sacher das Glas. Sie bietet mir Kognak an. Was soll das? Woher diese plotzliche Anteilnahme? Dabei sah er den schmalen goldenen Ring an ihrer Hand. Meine Frau, dachte er. Sie ist ja wirklich meine Frau. Manchmal habe ich ganz vergessen, da? ich verheiratet bin. Sie gehorte einfach zum Haus, wie etwa die gotische Madonna in der Dielennische oder die balinesische Tanzmaske im Atelier.

Sabine lie? sich Peter gegenuber in den Sessel sinken und schlug die Beine ubereinander. Ihre dunnen Strumpfe glanzten im Licht. Da? Peter so etwas wieder bemerkte, machte ihn unsicher.

«Peter«, etwas wie eine ernste Entschlossenheit schwang in ihrer Stimme. Sie beugte sich vor und strich die Locken aus der Stirn.»Peter, sieben Jahre sind wir verheiratet. Seit funf Jahren leben wir nebeneinander wie Gaste in einer Pension, die gezwungen sind, unter einem Dach zu wohnen. Ich glaube, du wurdest es gar nicht merken, wenn ich eine Woche auf Reisen ginge.«

«Aber Sabine«, versuchte er einen schwachen Einwand. Aber er war eben nur schwach, nicht uberzeugend.

«Doch, doch! Es ist so, Peter. Ich wei? es. Schon da? wir so nuchtern und leidenschaftslos uber alle diese unschonen Dinge zwischen uns sprechen konnen, ist ein Alarmzeichen. Machen wir uns doch nichts vor! Noch einmal sieben Jahre halte ich es bei dir nicht aus. Vielleicht kannst du nichts dafur, vielleicht liegt die Schuld auch bei mir, vielleicht haben wir unsere Ehe von Anfang an falsch eingerichtet, vielleicht hatten wir beide zu gro?e Ideale, vielleicht erwarteten wir zuviel voneinander. Nun stehen wir der Alltaglichkeit gegenuber. Was einst Sehnsucht war, ist jetzt Selbstverstandlichkeit. Was Hohepunkt bedeutete, ist jetzt Muhe. Peter, wir zerbrechen an uns.«

Es war schockierend, was sie sagte. Und wie sie es sagte, war noch deprimierender. Peter hatte plotzlich das Gefuhl, in eiskaltes Wasser getaucht worden zu sein. Er fullte mit leise bebender Hand die Kognakglaser noch einmal, schob eines Sabine zu und umschlo? seins mit den Fingern beider Hande, als mu?te er den goldbraunen Trank anwarmen.

«Ich habe meine Arbeit«, sagte er langsam.»Ich wei?, ich habe dich vernachlassigt. Aber konnen wir deshalb so unkompliziert und sicher sagen: Wir verstehen uns nicht mehr? Vielleicht wird es in den Ferien besser?«

«Vielleicht! Wieder ein Experiment!«Sabine schuttelte wild den Kopf.»Unsere ganze Ehe war bisher ein Experiment! Beruf gegen Frau! Existenz gegen Liebe! Nein, so geht es nicht weiter!«

Sie schob Peter eine Zeitung hin. Es war ein gro?formatiges, auslandisches Blatt. Peter schielte mi?trauisch auf die Zeitung und trank schnell seinen Kognak.

«Hier! Lies einmal!«sagte Sabine.»In der New York Times schreibt ein amerikanischer Psychologe, da? es bei Spannungen und Entfremdungen in der Ehe nur ein Mittel gabe: Sich fur eine mehr oder weniger kurze Zeit zu trennen, aus dem Wege zu gehen, nichts voneinander zu horen, um dann wieder zusammenzukommen. Das Zusammentreffen wird dann entscheiden, ob man noch innere Bindungen zu seinem Partner hat und ob das Wiedersehen wirklich eine Freude und ein neuer Beginn ist.«

«Verruckt!«sagte Peter Sacher ehrlich.

«Vielleicht. Aber ich halte viel von diesem Gedanken. Mir leuchtet der Sinn ein. Erst durch eine Trennung erkennt man den Wert des anderen. Erst an der Bahre wei? man, wieviel man falsch gemacht hat.«

«Bis dahin wollen wir es nicht kommen lassen«, sagte Peter sar-kastisch. Er glaubte, sich in Ironie retten zu konnen.»So gern ich dir jeden Wunsch erfulle, aber sterben, um unsere Ehe zu flicken, ist zuviel verlangt.«

Sabine stellte ihren Kognak mit einem Ruck auf den Tisch. Das Glas klirrte. Er nimmt mich nicht ernst, dachte sie bitter. Sieben Jahre lang hat er mich nicht ernst genommen. Ich bin fur ihn ein Katzchen, mit dem er spielt, wenn es seine Launen erlauben.

«Es ist leicht zu spotten, aber anscheinend schwer, den tieferen Sinn zu begreifen«, sagte sie bose.»Mir ist jedenfalls der Gedanke gekommen, da? die Idee des amerikanischen Psychologen uns sehr willkommen ist.«

«Uns?«Ma?loses Erstaunen lag in seinem Blick, mit dem er Sabine anstarrte.»Wieso willkommen?«

«Weil ich dir einen Vorschlag machen will: Wir fahren in die Ferien, ja — aber wir fahren getrennt!«

«Ach nein.«

«Bitte, lies den Artikel. Auch wenn du solchen Dingen sarkastisch und subjektiv gegenuberstehst, wirst du merken, da? etwas Wahres daran ist. «Sie trank schnell ihren Kognak, um Mut zu bekommen fur das, was sie sagen wollte. Sie hustete ein wenig, weil der Alkohol im Hals brannte. Aber dann sagte sie klar:

«Wir fahren fort, Peter! Fur sechs Wochen! Sechs Jahre Ehe sind herum, und fur jedes verflossene Jahr eine Woche Urlaub von der Ehe. Das ist eine gerechte Bitte und Chance. Wir werden nicht sagen, wo wir hinfahren; wir werden nie erfahren, wo wir waren. Am gleichen Tage fahren wir ab, und nach sechs Wochen treffen wir uns hier wieder. Hier auf der Terrasse. Das wird die Stunde sein, die uber unser ganzes weiteres Leben entscheidet.«

Peter Sacher warf einen Blick auf die New York Times. Der Artikel des Psychologen lag nach oben gefaltet.

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