Heinz Konsalik

Das einsame Herz

Kapitel 1

Durch den staubigen Sand der Landstra?e mahlten die Rader. Knarrend schwankte der holzerne, gelb lackierte Kasten der Postkutsche auf den achzenden, morschen Achsen, um die der Staub wirbelte und die Steine hochgeschleudert wurden, wahrend die beiden muden Pferde an der langen Deichsel die Beine kraftiger nach vorn warfen, die nahe Poststation und damit Ruhe und volle Troge witternd. Der schlafrige Postillion auf dem breiten Bock, hinter dem sich die Koffer, Kisten und Sacke zu Bergen stauten, wohl verschnurt mit einem dicken Seil, das den ganzen Wagen kreuz und quer von dem Dach aus uberspannte, griff widerwillig zu seinem Horn und setzte es an den Mund.

«Eine Pulle Schnaps ware besser«, murmelte er und blies dann ins Horn, da? der Ton von den Bergen widerhallte und im langsam verebbenden Abendrot zitternd untertauchte.

Im Innern der Kutsche sa?en, durch die hupfenden Rader hin und her geschleudert, zwei Manner und eine altere Frau, die durch eine Lorgnette hinaus in die abendliche Landschaft blickte und ab und zu ihre Mitreisenden durch schrille Ausrufe des Erstaunens oder des Schreckens aus einem gefuhllosen Halbschlaf aufschreckte.

«Messieurs«, rief sie eben schrill.»Stimmt es, da? in dieser Gegend schon zweimal eine Postkutsche aus Chemnitz uberfallen wurde? Mon Dieu — die Gegend ist so wild —, sehen Sie blo? die dunklen Berge, die schwarzen Walder; wenn nun ein Dieb hinter der nachsten Biegung lauert.«

Und da die Herren keine Antwort gaben, zeterte sie:»Die Kutsche aus Chemnitz…«

«Wir sitzen in einer Kutsche aus Dresden«, sagte der altere der Herren laut und grollend im Spott.»Das wissen die Rauber. Zudem sind wir zwei Manner, die mit der Pistole wohl umzugehen verstehen — meinen Sie nicht auch, Herr Nachbar?«

Der Angeredete war ein junger Mann von knapp zwanzig Jahren.

Unter den hellen blonden Haaren wolbte sich eine hohe Stirn, die dem blassen Gesicht mit den gro?en, fast immer erstaunt blickenden Augen die Form eines geistigen Traumers verlieh, wahrend der schmale Mund uber der leicht gebogenen, zartsatteligen Nase stets zu einem wehmutigen Lacheln bereit schien. Sein grauer Reiserock uber den gestreiften, engen Hosen mit den Schuhstegen, die sauberen, gepflegten Lackschuhe und der zierliche biegsame Stock mit der Elfenbeinkrucke, der zwischen seinen Beinen stand, verstarkten den Eindruck eines vornehmen, aber in der Tiefe des Wesens ein wenig scheuen Edelmannes.

«Ich wurde lieber eine Salbe mischen, als mit einem Revolver um mich schie?en«, gab der junge Reisende zur Antwort.»Mir scheint aber, da? die Furcht der Dame unbegrundet ist. Die Gegend ist zwar wild, denn unser Erzgebirge ist nun einmal ein von Menschen wenig betretenes Land, aber vor Raubern konnte man weniger Furcht haben als vor dem Zustand der schrecklichen Stra?en.«

So schicklich er gesprochen hatte, so erregt war die Dame mit der Lorgnette. Sie betrachtete den Herrn eine Zeitlang, ehe sie wieder aus dem Fenster schaute und sich an dem Rahmen festhielt, als die Kutsche mit lautem Gepolter durch ein tiefes Loch der Stra?e holperte.

«Parbleu!«rief sie dabei.»Die Stra?en in Deutschland sind greulich! Gibt es hier keinen Landesherren, der fur das Wohl der Reisenden zu sorgen hat?«

«Die Stra?en sind das Andenken des Herren Napoleon«, antwortete der Altere giftig, indem er dem Jungeren zublinzelte, sich an dem Gesprach zu beteiligen.»Wenn er heuer nicht auf St. Helena sa?e, wurde man ihn wohl zwingen konnen, auch diese Stra?e wieder aufzubauen.«

Die Dame schwieg. Dann, nach einer ganzen Zeit, als besinne sie sich auf ihr Franzosentum, bemerkte sie laut:»Ich glaube, da? Napoleon, wenn er noch in Deutschland ware, anderes tate, als Stra?en aufzubauen.«

Die Pferde drau?en in der Deichsel rissen kraftiger an den Seilen.

Die Stra?e stieg jetzt ein wenig an, um hinter dem Berg leicht abzufallen und auszulaufen in die nahe Poststation, einen kleinen Ort mit Namen Frankenberg, der indes als Kuraufenthalt und Erholungsstatte weithin geruhmt wurde. Der Postillion auf dem Bock schmetterte schon seinen Willkommensgru? uber den Berg und schob den Lackzylinder in den Nacken, wahrend er fester die Peitsche griff.

Das Abendrot war verbla?t, eine fahle Dammerung schlich von den Bergen ins Tal, ein kuhler, herbstlicher Wind rauschte in den Tannen und fegte den Staub von der Stra?e in kleinen Wirbeln fort.

Die Wiesen an den Hangen wurden blaulich-grun, und uber den Himmel schoben sich violette Wolken, die an den Randern schon begannen schwarz zu werden.

Im Innern der Post war das Gesprach weitergegangen.

Die Dame, immer noch in der Angst, uberfallen zu werden, hatte sich den Herren als eine Frau von Colombique vorgestellt, wahrend der altere der Herren knurrend seinen Namen — Herr von Se-ditz — nannte. Allein der Jungere erhob sich leicht, verbeugte sich mit allem Anstand und sagte, da? er Otto Heinrich Kummer hei?e und geradewegs aus Dresden komme.

Die Dame blickte auf und musterte den Edelmann genauer.

«Kummer? Kummer?«Sie sprach das >u< wie ein >u< und dehnte das >er< wie ein wohlgenahrtes >a< — Kummaaar.»Monsieur Kummer? Ich kannte einen Monsieur Kummer in Dresden. Einen — wie sagt man doch — einen Monsieur Munzmarschall.«

«Das ist mein Herr Vater!«rief der junge Reisende erfreut und stolz aus.»Sie kennen meinen Vater, Madame?«

«Excellent! Ein vorzuglicher Mann. Klug, witzig mit Esprit, wie er in Paris in den Salons zu finden ist. Ich lernte ihn kennen bei einem Hofball — er stand in der Hofloge und machte mir ein entzuckendes Honneur.«

Die Dame lachelte und nickte dem Herren zu, sich wieder zu setzen.

Otto Heinrich Kummer, dem die Gesellschaft der Frau von Co-lombique in keiner Weise mehr belastigend war, warf sich in das harte Polster der Bank zuruck und nahm den Stock wieder zwischen seine Knie. Knurrend blickte Herr von Seditz aus dem Fenster in die beginnende Dunkelheit.

«Ihr Herr Vater ist ein stattlicher Mann«, fuhrte die Dame die Unterhaltung nach einer kurzen Pause fort.»Ganz anders als Sie, Monsieur. In meiner Heimat sagt man: Sie mussen mehr Klo?e essen!«Sie lachte leise und klappte die Lorgnette auf und zu.

«Sie sehen so bla? und abgespannt aus — Sie fahren sicherlich zur Kur nach Frankenberg.«

«Mitnichten«, antwortete Otto Heinrich lachelnd.»Ich trete in Frankenberg eine neue Stelle an.«

«Oh — eine Stellung? In diesem Nest?«

«Die Wahl fiel auf Frankenberg, weil mein Herr Vater gute Verbindungen zu meinem neuen Herren besitzt. - Ich bin Apotheker, Madame — und Kranke gibt es in Frankenberg ebenso wie in Dresden.«

«Sehr edel«, nickte Frau von Colombique.»Apotheker. Soso — kennen Sie ein Mittel gegen den Schlagflu??«

Herr von Seditz, der der Unterhaltung mit sichtlichem Widerwillen gefolgt war, nickte nun an des Jungeren Stelle, und ein hohnisches Lacheln glitt uber seine braungebrannten, mannlich-herben Zuge.

«Weniger essen«, sagte er laut, indem er die Dame musterte und einen langen Blick auf der rundlichen Fulle ihres Leibes und Busens haften lie?.»Essen ist zwar eine der angenehmsten Beschaftigungen — aber Frauen sollten sich ma?igen.«

Die Unterhaltung war durch diesen unliebsamen und ungalanten Einwurf beendet, sehr zum Bedauern des Apothekers, der gerne noch ein paar Kleinigkeiten uber seinen Vater gehort hatte. Aber Frau von Colombique drehte den beiden Reisenden brusk die Schulter zu, sah aus dem Fenster in die sternenlose Nacht hinaus und klammerte sich nur einmal am Fensterrahmen fest, als die nun abfallende Stra?e die Kutsche in einen holpernden Galopp brachte.

Herr von Seditz nickte in der Dunkelheit seinem Gefahrten zu.

Dann beugte er sich vor, legte seine Lippen an das Ohr Otto Heinrichs und flusterte:

«Sie sollten vorsichtiger sein, Herr Kummer. Ich kenne Ihren Herrn Vater besser als diese alte Schachtel — und ich kenne auch Sie!«Und als der Apotheker verwundert zusammenzuckte, zischte Seditz:»Psst! Das Weib reist ohne Pa? — genugt Ihnen das? Sie mu?te aus Dresden fluchten, weil sie eine unliebsame Staatsaffare wegen —

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