schon die zweite Luge war, mit der er seinen Dienst antrat.

«So kommen Sie, nehmen Sie Platz und greifen Sie zu«, sagte Herr Knackfu?, selbst erstaunt uber seine Freundlichkeit.»Brot, Honig und Kaffee finden Sie auf dem Tisch, und eine Tasse. Trudel!«rief er.»Trudel, noch ein Gedeck.!«

«Ja, Vater — sofort!«antwortete eine helle, noch kindliche Stimme aus dem Nebenzimmer.

Otto Heinrich setzte sich an den Tisch, Knackfu? gegenuber und fuhlte in der Brust einen merkwurdigen Druck, einen Zwang, hastiger zu atmen.

Um sich zu beruhigen, verkrampfte er unter dem Tisch die Hande miteinander und sah nicht zu der Tur hin, aus der jetzt ein etwa zwanzigjahriges, zartes, aber in aller Lieblichkeit bluhendes Madchen trat und eine Tasse mit Teller und Messer vor Otto Heinrich hinstellte. Dabei machte sie einen Knicks vor dem Gast und eilte dann schnell wieder in den Nebenraum. Das letzte, was der Jungling beim Aufblicken sah, waren schwere blonde Flechten, die rund um den schmalen Kopflagen.

Mit einem lauernden Blick hatte Knackfu? sein Gegenuber beobachtet, als seine Tochter eintrat, da es aber schien, als ob dieser gar nicht von dem Madchen Notiz nahme, nickte er befriedigt, spurte aber im Innersten einen kleinen Stich in seinem Stolz, da? ein junger Mann die Schonheit seiner Tochter ignorierte.

«Ihr Vater hat mir viel von Ihnen erzahlt«, begann der Apotheker die Unterhaltung weiterzufuhren.»Ich kenne Ihren Herrn Vater von Dresden her, von der Hofapotheke. Als er noch Munzbuchhalter war und ich 1. Apotheker in Dresden, quittierte er mir die Rechnungen an den koniglichen Hof. Einmal auch kam er zu mir, um in meinem Laboratorium eine neue Legierung auszuprobieren, denn Ihr Herr Vater ist ein gro?er Kunstler. Den Namen Benjamin Kummer wird man sich einmal merken mussen — er hat viel zum Wohlstand Sachsens beigetragen. «Er hielt inne und beobachtete den jungen Mann beim Essen.»Er hatte damals schon eine gro?e Neigung zum Apothekerberuf und lie? mich wissen, da? einer seiner Sohne — wenn es unbedingt sein musse — auch Apotheker werden musse.«

«Dieser Sohn bin ich«, sagte Otto Heinrich. Seine Stimme klang ein wenig traurig, da? Herr Knackfu? etwas strenger aufblickte und leicht mit dem Kopf schuttelte.

«Gefallt es Ihnen nicht in unserer Sparte?«fragte er und stie? aus der Porzellanpfeife eine dicke Wolke in Richtung des Essenden.»Wer nicht mit Leib und Seele Apotheker ist, der sollte sich erst gar nicht in unserem Metier versuchen.«

«Ich habe gute Zeugnisse«, antwortete Otto Heinrich und legte Herrn Knackfu? einen Packen Papiere auf den Tisch, die er seiner Innentasche des Rockes entnahm.»Ich habe nie gezweifelt, da? ich meinen Beruf vernachlassigen konnte.«

«Ich sagte schon einmal, junger Mann: nicht aufs hohe Pferd setzen. Was Sie sagen, das sagen alle, die zu mir kamen! Und was taten sie — sie bestahlen mich, wo sie nur konnten!«

Dem jungen Apotheker schmeckte das Brot nicht mehr. In einem Atem mit Dieben genannt zu werden, ubertraf die Erwartungen, die er in bezug auf Herrn Knackfu?ens Unhoflichkeit einzustecken sich vornahm. Da? aber ehrliche Kollegen, die nur der Tochter dieses Haustyrannen schone Blicke schenkten, als tief verwerflich hingestellt wurden, verscheuchte alle Achtung vor dem Meister aus der Seele Otto Heinrichs.

«Ich bin ein Kummer«, sagte er deshalb stolz.»Ich glaube nicht, da? diese Mahnung bei mir angebracht ist!«

Die Antwort war vermessen.

Dem Apotheker verschlug es die Stimme, aber er beherrschte sich, wohl weil er fuhlte, da? er in seiner Strenge zu weit gegangen war. Er erhob sich vielmehr, klopfte die Pfeife am Kamin aus und wandte sich dann wieder zu dem neuen Hausgenossen um.

«Sie kennen Ihre Wohnung sicher schon durch Herrn Bendler. Uber die Ordnung im Hause wird er Sie gleichfalls unterrichten. In erster Linie sind Sie mir verantwortlich, auch wenn Sie unmittelbar Herrn Bendler unterstehen und neben sich noch drei Gesellen und Lehrlinge haben. Ich dulde in meinem Hause keine Disziplinlosigkeiten und sehe sehr darauf, da? meine Anordnungen, kaum gesagt, auch befolgt werden. Sie haben bis zum Mittag Zeit, sich einzurichten. - Ich danke Ihnen fur Ihre Auskunfte.«

Er nickte und drehte sich schroff um.

Betreten ging Otto Heinrich aus dem Zimmer, zogerte an der Schwelle noch einen Augenblick, fa?te das kleine Paket, das er noch immer in der Hand hielt, fester und wollte noch einmal anklopfen — dann aber besann er sich, schuttelte stumm den Kopf und ging durch den Flur in einen Seitengang, wo er auf den Riesen Bendler, der anscheinend schon eine lange Zeit hier gestanden und gewartet hatte, stie?.

«Zu Boden geschmettert und zu Tode betrubt?!«empfing er den Freund mit einem leisen Lachen. Er hieb ihm auf die Schulter, hakte sich dann bei ihm unter und zerrte ihn weg zu einer Tur, die in das Laboratorium fuhrte.

«In einer Woche uberhorst du seine Sticheleien«, sagte er, indem er in den weiten Raum trat, in dem schon die anderen Apotheker an den Geraten standen und mischten und kochten. Von einem Nebenraum, der wohl der Laden sein mochte, tonten Stimmen herein.

Kummer sah sich im Kreise um.

Das alte Bild der Flaschen, Retorten, Kolben und Glaser, Kocher, Salbentopfe, Tiegel und Morser brachte eine vertraute und sanfte Stille in sein erregtes Herz. Er trat an einen Morser heran, nahm ihn hoch, roch intensiv an dem Inhalt und wandte sich dann lachelnd an den Riesen Bendler.

«Rotel, pulvrig zerstampft — zum Farben. Es war die erste Arbeit, die man mir als Lehrling gab. «Er schnupperte mit erhobener Nase im Raume.»Und der Geruch ist auch da… dieser eigentumliche, herbe Geruch der Arzneien. Bendler, ich glaube, ich lebe mich doch ein. «Und leiser fugte er hinzu:»Ich will mir alle Muhe geben, nicht auszubrechen…«

«Und wenn — lieber Kummer —, dann brechen wir gemeinsam! — So, und jetzt gehe ich erst den Kaffee trinken — und wenn der Alte noch so sehr toben sollte.«

Otto Heinrich, der den Vormittag nicht untatig vorubergehen lassen wollte, trat unterdes aus dem Haus und schlenderte die Stra?e entlang durch die Reihe der kleinen, aber sauberen Fachwerkhauser, bis er zu einem kleinen Birkenwaldchen kam, das sich von einem leicht ansteigenden Hugel bis zum Stadtrand heranschob. Dort setzte er sich auf einen Baumstumpf, legte das kleine Paket auf seine Knie und begann es aufzuschnuren.

Ganz beschaftigt in der Auflosung der Knoten, bemerkte er nicht, wie ein Madchen den schmalen Weg uber den Hugel zu ihm hinunterstieg und hinter ihm anhielt, ihn eine Zeitlang beobachtend. Als sie sah, mit welch ungelenken Fingern er sich um die Knoten muhte, lachelte sie und trat dann einen Schritt vor, genau vor ihn hin.

Kummer schreckte auf. Aber noch mehr ergriff ihn ein Schrecken, als er erkannte, wer die Schone war.

«Jungfer Trudel«, stotterte er.»Verzeihen Sie meine Uberraschung — Sie hatte ich an diesem Ort am wenigsten erwartet.«

«Ich habe ein paar Beeren fur den Mittagstisch gesammelt«, sagte das Madchen und setzte sich ungeniert neben den Jungling ins Gras.»Bekommen Sie den Knoten nicht auf? Darf ich Ihnen helfen?«

«Oh — ich danke bestens. Es geht schon. «Otto Heinrich, den der Liebreiz des ovalen Gesichtes und des jungen Korpers wie eine hei?e Welle uberspulte, fuhlte sich tappisch und ungelenk. Im Innern schalt er sich selbst einen Tolpel, vermied es aber trotzdem, in die gro?en, fragenden Madchenaugen zu sehen, die so nahe unter ihm glanzten.

«Das Packchen ist von meinem Vater«, gestand er, nachdem er den Knoten gelost hatte.»Ich sollte es dem Herr Knackfu? geben, wenn.«

Er schwieg wieder, erschreckt, da? er sich so weit versprochen hatte.

«Wenn…?«fragte Trudel langsam.»Was ist mit dem Wenn, Herr Kummer?«

«Sie kennen meinen Namen?«

«Mein Vater erwahnte ihn heute Herrn Bendler gegenuber.«

«Und Sie haben ihn behalten?«

Das Madchen nickte, und es war, als verdunkelten sich ihre Augen.

«Wie leicht behalt man solch einen Namen — der immer um mich ist.«

Der Apotheker wagte nicht, darauf etwas zu erwidern. Er packte gerauschvoll das Papier aus, offnete den Karton und entnahm ihm ein Miniaturbild seines Vaters, an das ein Zettel geheftet war.

«Sollte mein Sohn Otto Heinrich bei Ihnen, verehrtester Herr Knackfu?, eine Heimat finden, so bitte ich Sie

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