* * *

Einige Tage spater rucken wir aus, um eine Ortschaft aufzuraumen. Unterwegs begegnen uns die fliehenden Bewohner, die ausgewiesen sind. Sie schleppen ihre Habseligkeiten in Karren, in Kinderwagen und auf dem Rucken mit sich. Ihre Gestalten sind gebeugt, ihre Gesichter voll Kummer, Verzweiflung, Hast und Ergebenheit. Die Kinder hangen an den Handen der Mutter, manchmal fuhrt auch ein alteres Madchen die Kleinen, die vorwarts taumeln und immer wieder zurucksehen. Einige tragen armselige Puppen mit sich. Alle schweigen, als sie an uns vorubergehen.

Noch sind wir in Marschkolonne, die Franzosen werden ja nicht ein Dorf beschie?en, in dem Landsleute sind. Aber wenige Minuten spater heult die Luft, die Erde bebt, Schreie ertonen – eine Granate hat den hintersten Zug zerschmettert. Wir spritzen auseinander und werfen uns hin, aber im selben Moment fuhle ich, wie mir die Spannung entgleitet, die mich sonst immer bei Feuer unbewu?t das Richtige tun la?t, der Gedanke »Du bist verloren« zuckt auf mit einer wurgenden, schrecklichen Angst – und im nachsten Augenblick fegt ein Schlag wie von einer Peitsche uber mein linkes Bein. Ich hore Albert schreien, er ist neben mir.

»Los, auf, Albert!« brulle ich, denn wir liegen ungeschutzt auf freiem Felde.

Er taumelt hoch und lauft. Ich bleibe neben ihm. Wir mussen uber eine Hecke; sie ist hoher als wir. Kropp fa?t in die Zweige, ich packe sein Bein, er schreit auf, ich gebe ihm Schwung, er fliegt hinuber. Mit einem Satz bin ich hinter ihm her und falle in einen Teich, der hinter der Hecke liegt.

Wir haben das Gesicht voll Wasserlinsen und Schlamm, aber die Deckung ist gut. Deshalb waten wir hinein bis zum Halse. Wenn es heult, gehen wir mit dem Kopf unter Wasser.

Nachdem wir das ein dutzendmal gemacht haben, wird es mir uber. Auch Albert stohnt:»La? uns weg, ich falle sonst um und ersaufe.«

»Wo hast du was gekriegt?« frage ich.

»Am Knie, glaube ich.«

»Kannst du laufen?«

»Ich denke -«

»Dann los.«

Wir gewinnen den Chausseegraben und rennen ihn gebuckt entlang. Das Feuer folgt uns. Die Stra?e hat die Richtung auf das Munitionsdepot. Wenn das hochgeht, findet nie jemand von uns einen Knopf wieder. Wir andern deshalb unsern Plan und laufen im Winkel querfeldein.

Albert wird langsamer. »Lauf zu, ich komme nach«, sagt er und wirft sich hin.

Ich rei?e ihn am Arm auf und schuttele ihn. »Hoch, Albert, wenn du dich erst hinlegst, kannst du nie mehr weiter. Los, ich stutze dich.«

Endlich erreichen wir einen kleinen Unterstand. Kropp schmei?t sich hin, und ich verbinde ihn. Der Schu? sitzt kurz uber dem Knie. Dann sehe ich mich selbst an. Die Hose ist blutig, ebenso der Arm. Albert bindet mir seine Packchen um die Locher. Er kann sein Bein schon nicht mehr bewegen, und wir wundern uns beide, wie wir es uberhaupt bis hierher geschafft haben. Das hat nur die Angst gemacht; wir wurden fortgelaufen sein, selbst wenn uns die Fu?e weggeschossen waren – dann eben auf Stumpfen.

Ich kann noch etwas kriechen und rufe einen voruberfahrenden Leiterwagen an, der uns mitnimmt. Er ist voller Verwundeter. Ein Sanitatsgefreiter ist dabei, der uns eine Tetanusspritze in die Brust jagt.

Im Feldlazarett richten wir es so ein, da? wir nebeneinander zu liegen kommen. Es gibt eine dunne Suppe, die wir gierig und verachtlich ausloffeln, weil wir zwar bessere Zeiten gewohnt sind, aber doch Hunger haben.

»Nun geht’s in die Heimat, Albert«, sage ich.

»Hoffentlich«, antwortet er. »Wenn ich blo? wu?te, was ich habe.«

Die Schmerzen werden starker. Wie Feuer brennen die Verbande. Wir trinken und trinken, einen Becher Wasser nach dem andern.

»Wieviel uber dem Knie ist mein Schu??« fragt Kropp.

»Mindestens zehn Zentimeter, Albert«, antworte ich. In Wirklichkeit sind es vielleicht drei.

»Das habe ich mir vorgenommen«, sagt er nach einer Weile,»wenn sie mir einen Knochen abnehmen, mache ich Schlu?. Ich will nicht als Kruppel durch die Welt laufen.«

So liegen wir mit unsern Gedanken und warten.

* * *

Abends werden wir zur Schlachtbank geholt. Ich erschrecke und uberlege rasch, was ich tun soll; denn es ist bekannt, da? die Arzte in den Feldlazaretten leicht amputieren. Bei dem gro?en Andrang ist das einfacher als komplizierte Flickereien. Kemmerich fallt mir ein. Auf keinen Fall werde ich mich chloroformieren lassen, selbst wenn ich ein paar Leuten den Schadel einschlagen mu?.

Es geht gut. Der Arzt stochert in der Wunde herum, da? mir schwarz vor Augen wird. »Stellen Sie sich nicht so an«, schimpft er und sabelt weiter. Die Instrumente blitzen in dem hellen Licht wie bosartige Tiere. Die Schmerzen sind unertraglich. Zwei Krankenwarter halten meine Arme fest, aber ich kriege einen los und will ihn gerade dem Arzt in die Brille knallen, als er es merkt und wegspringt. »Chloroformiert den Kerl!« schreit er wutend.

Da werde ich ruhig. »Entschuldigen Herr Doktor, ich werde stillhalten, aber chloroformieren Sie mich nicht.«

»Na ja«, kakelt er und nimmt seine Instrumente wieder vor. Er ist ein blonder Bursche, hochstens drei?ig Jahre alt, mit Schmissen und einer widerlichen goldenen Brille. Ich merke, da? er mich jetzt schikaniert, er wuhlt nur so in der Wunde und schielt ab und zu uber seine Glaser zu mir hin. Meine Hande quetschen sich um die Griffe, eher verrecke ich, als da? er einen Mucks von mir hort.

Er hat einen Splitter herausgeangelt und wirft ihn mir zu.

Scheinbar ist er befriedigt von meinem Verhalten, denn er schient mich jetzt sorgfaltig und sagt:»Morgen geht’s ab nach Hause.« Dann werde ich eingegipst. Als ich wieder mit Kropp zusammen bin, erzahle ich ihm, da? also wahrscheinlich morgen schon ein Lazarettzug eintreffen wird. »Wir mussen mit dem Sanitatsfeldwebel sprechen, damit wir beieinander bleiben, Albert.«

Es gelingt mir, dem Feldwebel mit ein paar passenden Worten zwei meiner Zigarren mit Bauchbinden zu uberreichen. Er schnuppert daran und fragt:»Hast du noch mehr davon?«

»Noch eine gute Handvoll«, sage ich,»und mein Kamerad«, ich zeige auf Kropp,»ebenfalls. Die mochten wir Ihnen gern morgen zusammen aus dem Fenster des Lazarettzuges uberreichen.«

Er kapiert naturlich, schnuppert noch einmal und sagt:»Gemacht.«

Wir konnen keine Minute nachts schlafen. In unserm Saal sterben sieben Leute. Einer singt eine Stunde lang in einem hohen Quetschtenor Chorale, ehe er zu rocheln beginnt. Ein anderer ist vorher aus dem Bett ans Fenster gekrochen. Er liegt davor, als hatte er zum letztenmal hinaussehen wollen.

* * *

Unsere Bahren stehen auf dem Bahnhof. Wir warten auf den Zug. Es regnet, und der Bahnhof hat kein Dach. Die Decken sind dunn. Wir warten schon zwei Stunden. Der Feldwebel betreut uns wie eine Mutter. Obschon mir sehr schlecht ist, verliere ich unsern Plan nicht aus den Gedanken. So nebenbei lasse ich die Packchen sehen und gebe eine Zigarre als Vorschu? ab. Dafur deckt der Feldwebel uns eine Zeltbahn uber.

»Mensch, Albert«, erinnere ich mich,»unser Himmelbett und die Katze -«

»Und die Klubsessel«, fugt er hinzu. Ja, die Klubsessel aus rotem Plusch. Wir hatten wie Fursten abends darauf gesessen und uns vorgenommen, sie spater stundenweise abzuvermieten. Pro Stunde eine Zigarette. Es ware ein sorgenloses Leben und ein Geschaft geworden.

»Albert«, fallt mir ein,»und unsere Fre?sacke.«

Wir werden schwermutig. Die Sachen hatten wir gebrauchen konnen. Wenn der Zug einen Tag spater fuhre, hatte Kat uns sicher gefunden und uns den Kram gebracht.

Ein verfluchtes Schicksal. Wir haben Mehlsuppe im Magen, dunnes Lazarettfutter, und in unseren Sacken ist Schweinebraten als Konserve. Aber wir sind so schwach, da? wir uns nicht weiter daruber aufregen konnen.

Die Bahren sind klatschna?, als der Zug morgens einlauft. Der Feldwebel sorgt dafur, da? wir in denselben

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