Nach einer Minute erscheint eine Schwester. Sie sieht in ihrer wei? und schwarzen Tracht aus wie ein hubscher Kaffeewarmer. »Machen Sie doch die Tur zu, Schwester«, sagt jemand.

»Es wird gebetet, deshalb ist die Tur offen«, erwidert sie.

»Wir mochten aber noch schlafen -«

»Beten ist besser als schlafen.« Sie steht da und lachelt unschuldig. »Es ist auch schon sieben Uhr.«

Albert stohnt wieder. »Tur zu!« schnauze ich.

Sie ist ganz verdutzt, so etwas kann sie scheinbar nicht begreifen. »Es wird doch auf fur Sie mitgebetet.«

»Einerlei! Tur zu!«

Sie verschwindet und la?t die Tur offen. Die Litanei ertont wieder. Ich bin wild und sage:»Ich zahle jetzt bis drei. Wenn es bis dahin nicht aufhort, fliegt was.«

»Von mir auch«, erklart ein anderer.

Ich zahle bis funf. Dann nehme ich eine Flasche, ziele und werfe sie durch die Tur auf den Korridor. Sie zerspringt in tausend Splitter. Das Beten hort auf. Ein Schwarm Schwestern erscheint und schimpft ma?voll.

»Tur zu!« schreien wir.

Sie verziehen sich. Die Kleine von vorhin ist die letzte. »Heiden«, zwitschert sie, macht aber doch die Tur zu. Wir haben gesiegt.

* * *

Mittags kommt der Lazarettinspektor und ranzt uns an. Er

verspricht uns Festung und noch mehr. Nun ist ein Lazarettinspektor, genau wie ein Proviantamtsinspektor, zwar jemand, der einen langen Degen und Achselstucke tragt, aber eigentlich ein Beamter, und er wird darum nicht einmal von einem Rekruten fur voll genommen. Wir lassen ihn deshalb reden. Was kann uns schon passieren -»Wer hat die Flasche geworfen?« fragt er.

Bevor ich uberlegen kann, ob ich mich melden soll, sagt jemand:»Ich!«

Ein Mann mit struppigem Bart richtet sich auf. Alles ist gespannt, weshalb er sich meldet.

»Sie?«

»Jawohl. Ich war erregt daruber, da? wir unnotig geweckt wurden, und verlor die Besinnung, so da? ich nicht wu?te, was ich tat.« Er redet wie ein Buch.

»Wie hei?en Sie?«»Ersatz-Reservist Josef Hamacher.«

Der Inspektor geht ab. Alle sind neugierig. »Weshalb hast du dich denn blo? gemeldet? Du warst es ja gar nicht!« Er grinst. »Das macht nichts. Ich habe einen Jagdschein.« Das versteht naturlich jeder. Wer einen Jagdschein hat, kann machen, was er will.

»Ja«, erzahlt er,»ich habe einen Kopfschu? gehabt, und darauf ist mir ein Attest ausgestellt worden, da? ich zeitweise unzurechnungsfahig bin. Seitdem bin ich fein heraus. Man darf mich nicht reizen. Mir passiert also nichts. Der unten wird sich schon argern. Und gemeldet habe ich mich, weil mir das Werfen Spa? gemacht hat. Wenn sie morgen wieder die Tur aufmachen, schmei?en wir wieder.«

Wir sind heilfroh. Mit Josef Hamacher in der Mitte konnen wir jetzt alles riskieren.

Dann kommen die lautlosen, flachen Wagen, um uns zu holen.

Die Verbande sind verklebt. Wir brullen wie Stiere.

* * *

Es liegen acht Mann auf unserer Stube. Die schwerste Verletzung hat Peter, ein schwarzer Krauskopf – einen komplizierten Lungenschu?. Franz Wachter neben ihm hat einen zerschossenen Arm, der anfangs nicht schlimm aussieht. Aber in der dritten Nacht ruft er uns an, wir sollten klingeln, er glaube, er blute durch.

Ich klingele kraftig. Die Nachtschwester kommt nicht. Wir haben sie abends ziemlich stark in Anspruch genommen, weil wir alle neue Verbande und deshalb Schmerzen hatten. Der eine wollte das Bein so gelegt haben, der andere so, der dritte verlangte Wasser, dem vierten sollte sie das Kopfkissen aufschutteln; – die dicke Alte hatte bose gebrummt zuletzt und die Turen geschlagen. Jetzt vermutet sie wohl wieder so etwas, denn sie kommt nicht.

Wir warten. Dann sagt Franz:»Klingle noch mal.«

Ich tue es. Sie la?t sich immer noch nicht sehen. Auf unserem Flugel ist nachts nur eine einzige Stationsschwester, vielleicht hat sie gerade in andern Zimmern zu tun. »Bist du sicher, Franz, da? du blutest?« frage ich. »Sonst kriegen wir wieder was auf den Kopf.«

»Es ist na?. Kann keiner Licht machen?« Auch das geht nicht. Der Schalter ist an der Tur, und niemand kann aufstehen. Ich halte den Daumen auf der Klingel, bis er gefuhllos wird. Vielleicht ist die Schwester eingenickt. Sie haben ja sehr viel Arbeit und sind alle uberanstrengt, schon tagsuber. Dazu das standige Beten.

»Sollen wir Flaschen schmei?en?« fragt Josef Hamacher mit dem Jagdschein.

»Das hort sie noch weniger als das Klingeln.«

Endlich geht die Tur auf. Muffelig erscheint die Alte. Als sie die Geschichte bei Franz bemerkt, wird sie eilig und ruft:»Weshalb hat denn keiner Bescheid gesagt?«

»Wir haben ja geklingelt. Laufen kann hier keiner.«

Er hat stark geblutet und wird verbunden. Morgens sehen wir sein Gesicht, es ist spitzer und gelber geworden, dabei war es am Abend noch fast gesund im Aussehen. Jetzt kommt ofter eine Schwester.

* * *

Manchmal sind es auch Hilfsschwestern vom Roten Kreuz. Sie sind gutmutig, aber mitunter etwas ungeschickt. Beim Umbetten tun sie einem oft weh und sind dann so erschrocken, da? sie einem noch mehr weh tun.

Die Nonnen sind zuverlassiger. Sie wissen, wie sie anfassen mussen, aber wir mochten gern, da? sie etwas lustiger waren. Einige allerdings haben Humor, sie sind gro?artig. Wer wurde Schwester Libertine nicht jeden Gefallen tun, dieser wunderbaren Schwester, die im ganzen Flugel Stimmung verbreitet, wenn sie nur von weitem zu sehen ist? Und solcher sind noch mehrere da. Wir wurden fur sie durchs Feuer gehen. Man kann sich wirklich nicht beklagen, man wird direkt wie ein Zivilist hier behandelt von den Nonnen. Wenn man dagegen an die Garnisonlazarette denkt, in denen man mit angelegter Hand im Bett liegen mu?, kann einem die Angst kommen.

Franz Wachter kommt nicht wieder zu Kraften. Eines Tages wird er abgeholt und bleibt fort. Josef Hamacher wei? Bescheid:»Den sehen wir nicht wieder. Sie haben ihn ins Totenzimmer gebracht.«

»Was fur ein Totenzimmer?« fragt Kropp.

»Na, ins Sterbezimmer -«

»Was ist denn das?«

»Das kleine Zimmer an der Ecke des Flugels. Wer kurz vor dem Abkratzen ist, wird dahin gebracht. Es sind zwei Betten darin. Uberall hei?t es nur das Sterbezimmer.«

»Aber warum machen sie das?«

»Sie haben dann nicht so viel Arbeit nachher. Es ist auch bequemer, weil es gleich am Aufzug zur Totenhalle liegt. Vielleicht tun sie es auch, damit keiner in den Salen stirbt, wegen der andern. Sie konnen ja auch besser bei ihm wachen, wenn er allein liegt.«

»Aber er selber?«

Josef zuckt die Achseln. »Gewohnlich merkt er ja nicht mehr viel davon.«

»Wei? es denn jeder?«»Wer langer hier ist, wei? es naturlich.«

* * *

Nachmittags wird das Bett von Franz Wachter neu belegt. Nach ein paar Tagen holen sie auch den neuen wieder ab. Josef macht eine bezeichnende Handbewegung. Wir sehen noch manchen kommen und gehen.

Manchmal sitzen Angehorige an den Betten und weinen oder sprechen leise und verlegen. Eine alte Frau will gar nicht fort, aber sie kann die Nacht uber ja nicht dableiben. Am andern Morgen kommt sie schon ganz fruh, aber doch nicht fruh genug; denn als sie an das Bett geht, liegt schon jemand anders drin. Sie mu? zur Totenhalle.

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