Der alteste auf unserer Stube ist Lewandowski. Er ist vierzig Jahre alt und liegt bereits zehn Monate im Hospital an einem schweren Bauchschu?. Erst in den letzten Wochen ist er so weit gekommen, da? er gekrummt etwas hinken kann.

Seit einigen Tagen ist er in gro?er Aufregung. Seine Frau hat ihm aus dem kleinen Nest in Polen, wo sie wohnt, geschrieben, da? sie so viel Geld zusammen hat, um die Fahrt zu bezahlen und ihn besuchen zu konnen. Sie ist unterwegs und kann jeden Tag eintreffen. Lewandowski schmeckt das Essen nicht mehr, sogar Rotkohl mit Bratwurst verschenkt er, nachdem er ein paar Happen genommen hat. Standig lauft er mit dem Brief durchs Zimmer, jeder hat ihn schon ein dutzendmal gelesen, die Poststempel sind wer wei? wie oft schon gepruft, die Schrift ist vor Fettflecken und Fingerspuren kaum noch zu erkennen, und was kommen mu?, kommt: Lewandowski kriegt Fieber und mu? wieder ins Bett.

Er hat seine Frau seit zwei Jahren nicht gesehen. Sie hat inzwischen ein Kind geboren, das bringt sie mit. Aber etwas ganz anderes beschaftigt Lewandowski. Er hatte gehofft, die Erlaubnis zum Ausgehen zu erhalten, wenn seine Alte kommt, denn es ist doch klar: Sehen ist ganz schon, aber wenn man seine Frau nach so langer Zeit wiederhat, will man, wenn es eben geht, doch noch was anderes.

Lewandowski hat das alles stundenlang mit uns besprochen, denn beim Kommi? gibt es darin keine Geheimnisse. Es findet auch keiner etwas dabei. Diejenigen von uns, die schon ausgehen konnen, haben ihm ein paar tadellose Ecken in der Stadt gesagt, Anlagen und Parks, wo er ungestort gewesen ware, einer wu?te sogar ein kleines Zimmer.

Doch was nutzt das alles. Lewandowski liegt im Bett und hat seine Sorgen. Das ganze Leben macht ihm keinen Spa? mehr, wenn er diese Sache verpassen mu?. Wir trosten ihn und versprechen ihm, da? wir den Kram schon irgendwie schmei?en werden.

Am andern Nachmittag erscheint seine Frau, ein kleines, verhutzeltes Ding mit angstlichen und eiligen Vogelaugen, in einer Art von schwarzer Mantille mit Krausen und Bandern, wei? der Himmel, wo sie das Stuck mal geerbt hat.

Sie murmelt leise etwas und bleibt scheu an der Tur stehen. Es erschreckt sie, da? wir sechs Mann hoch sind.

»Na, Marja«, sagt Lewandowski und schluckt gefahrlich mit seinem Adamsapfel,»kannst ruhig ‘reinkommen, die tun dir hier nichts.«

Sie geht herum und gibt jedem von uns die Hand. Dann zeigt sie das Kind vor, das inzwischen in die Windeln gemacht hat. Sie hat eine gro?e, mit Perlen bestickte Tasche bei sich, aus der sie ein reines Tuch nimmt, um das Kind flink neu zu wickeln. Damit ist sie uber die erste Verlegenheit hinweg, und die beiden fangen an zu reden.

Lewandowski ist sehr kribblig, er schielt immer wieder au?erst unglucklich mit seinen runden Glotzaugen zu uns heruber.

Die Zeit ist gunstig, die Arztvisite ist vorbei, es konnte hochstens noch eine Schwester ins Zimmer schauen. Einer geht deshalb noch einmal hinaus – spekulieren. Er kommt zuruck und nickt. »Kein Aas zu sehen. Nun sag’s ihr schon, Johann, und mach zu.«

Die beiden unterhalten sich in ihrer Sprache. Die Frau guckt etwas rot und verlegen auf. Wir grinsen gutmutig und machen wegwerfende Handbewegungen, was schon dabei sei! Der Teufel soll alle Vorurteile holen, die sind fur andere Zeiten gemacht, hier liegt der Tischler Johann Lewandowski, ein zum Kruppel geschossener Soldat, und da ist seine Frau, wer wei?, wann er sie wiedersieht, er will sie haben, und er soll sie haben, fertig.

Zwei Mann stellen sich vor die Tur, um die Schwestern abzufangen und zu beschaftigen, wenn sie zufallig vorbeikommen sollten. Sie wollen ungefahr eine Viertelstunde aufpassen.

Lewandowski kann nur auf der Seite liegen, einer packt ihm deshalb noch ein paar Kissen in den Rucken, Albert kriegt das Kind zu halten, dann drehen wir uns ein bi?chen um, die schwarze Mantille verschwindet unter der Bettdecke, und wir kloppen laut und mit allerhand Redensarten Skat.

Es geht alles gut. Ich habe einen wusten Kreuz-Solo mit vieren in den Fingern, der ungefahr noch rumgeht. Daruber vergessen wir beinahe Lewandowski. Nach einiger Zeit beginnt das Kind zu plarren, obschon Albert es verzweifelt hin und her schwenkt. Es knistert und rauscht dann ein bi?chen, und als wir so beilaufig aufblicken, sehen wir, da? das Kind schon die Flasche im Mund hat und wieder bei der Mutter ist. Die Sache hat geklappt.

Wir fuhlen uns jetzt als eine gro?e Familie, die Frau ist ordentlich munter geworden, und Lewandowski liegt schwitzend und strahlend da.

Er packt die gestickte Tasche aus, es kommen da ein paar gute Wurste zum Vorschein, Lewandowski nimmt das Messer wie einen Blumenstrau? und sabelt das Fleisch in Stucke. Mit gro?er Handbewegung weist er auf uns – und die kleine, verhutzelte Frau geht von einem zum andern und lacht uns an und verteilt die Wurst, sie sieht jetzt direkt hubsch aus dabei. Wir sagen Mutter zu ihr, und sie freut sich und klopft uns die Kopfkissen auf.

* * *

Nach einigen Wochen mu? ich jeden Morgen ins Zanderinstitut. Dort wird mein Bein festgeschnallt und bewegt.

Der Arm ist langst geheilt.

Es laufen neue Transporte aus dem Felde ein. Die Verbande sind nicht mehr aus Stoff, sie bestehen nur noch aus wei?em Krepp-Papier. Verbandstoff ist zu knapp geworden drau?en.

Alberts Stumpf heilt gut. Die Wunde ist fast geschlossen. In einigen Wochen soll er fort in eine Prothesenstation. Er spricht noch immer wenig und ist viel ernster als fruher. Oft bricht er mitten im Gesprach ab und starrt vor sich hin. Wenn er nicht mit uns andern zusammen ware, hatte er langst Schlu? gemacht. Jetzt aber ist er uber das Schlimmste hinausgelangt. Er sieht schon manchmal beim Skat zu.

Ich bekomme Erholungsurlaub.

Meine Mutter will mich nicht mehr fortlassen. Sie ist so schwach. Es ist alles noch schlimmer als das letztemal.

Danach werde ich vom Regiment angefordert und fahre wieder ins Feld.

Der Abschied von meinem Freunde Albert Kropp ist schwer. Aber man lernt das beim Kommi? mit der Zeit.

11.

Wir zahlen die Wochen nicht mehr. Es war Winter, als ich ankam, und bei den Einschlagen der Granaten wurden die gefrorenen Erdklumpen fast ebenso gefahrlich wie die Splitter. Jetzt sind die Baume wieder grun. Unser Leben wechselt zwischen Front und Baracken. Wir sind es teilweise schon gewohnt, der Krieg ist eine Todesursache wie Krebs und Tuberkulose, wie Grippe und Ruhr. Die Todesfalle sind nur viel haufiger, verschiedenartiger und grausamer.

Unsere Gedanken sind Lehm, sie werden geknetet vom Wechsel der Tage – sie sind gut, wenn wir Ruhe haben, und tot, wenn wir im Feuer liegen. Trichterfelder drau?en und drinnen.

Alle sind so, nicht wir hier allein – was fruher war, gilt nicht, und man wei? es auch wirklich nicht mehr. Die Unterschiede, die Bildung und Erziehung schufen, sind fast verwischt und kaum noch zu erkennen. Sie geben manchmal Vorteile im Ausnutzen einer Situation; aber sie bringen auch Nachteile mit sich, indem sie Hemmungen wachrufen, die erst uberwunden werden mussen. Es ist, als ob wir fruher einmal Geldstucke verschiedener Lander gewesen waren; man hat sie eingeschmolzen, und alle haben jetzt denselben Pragestempel. Will man Unterschiede erkennen, dann mu? man schon genau das Material prufen. Wir sind Soldaten und erst spater auf eine sonderbare und verschamte Weise noch Einzelmenschen.

Es ist eine gro?e Bruderschaft, die ein Schimmer von dem Kameradentum der Volkslieder, dem Solidaritatsgefuhl von Straflingen und dem verzweifelten Einanderbeistehen von zum Tode Verurteilten seltsam vereinigt zu einer Stufe von Leben, das mitten in der Gefahr, aus der Anspannung und Verlassenheit des Todes sich abhebt und zu einem fluchtigen Mitnehmen der gewonnenen Stunden wird, auf ganzlich unpathetische Weise. Es ist heroisch und banal, wenn man es werten wollte – doch wer will das?

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