Es ist darin enthalten, wenn Tjaden bei einem gemeldeten feindlichen Angriff in rasender Hast seine Erbsensuppe mit Speck ausloffelt, weil er ja nicht wei?, ob er in einer Stunde noch lebt. Wir haben lange daruber diskutiert, ob es richtig sei oder nicht. Kat verwirft es, weil er sagt, man musse mit einem Bauchschu? rechnen, der bei vollem Magen gefahrlicher sei als bei leerem.

Solche Dinge sind Probleme fur uns, sie sind uns ernst, und es kann auch nicht anders sein. Das Leben hier an der Grenze des Todes hat eine ungeheuer einfache Linie, es beschrankt sich auf das Notwendigste, alles andere liegt in dumpfem Schlaf; – das ist unsere Primitivitat und unsere Rettung. Waren wir differenzierter, wir waren langst irrsinnig, desertiert oder gefallen. Es ist wie eine Expedition im hohen Eise; – jede Lebensau?erung darf nur der Daseinserhaltung dienen und ist zwangslaufig darauf eingestellt. Alles andere ist verbannt, weil es unnotig Kraft verzehren wurde. Das ist die einzige Art, uns zu retten, und oft sitze ich vor mir selber wie vor einem Fremden, wenn der ratselhafte Widerschein des Fruher in stillen Stunden wie ein matter Spiegel die Umrisse meines jetzigen Daseins au?er mich stellt, und ich wundere mich dann daruber, wie das unnennbare Aktive, das sich Leben nennt, sich angepa?t hat selbst an diese Form. Alle anderen Au?erungen liegen im Winterschlaf, das Leben ist nur auf einer standigen Lauer gegen die Bedrohung des Todes, – es hat uns zu denkenden Tieren gemacht, um uns die Waffe des Instinktes zu geben, – es hat uns mit Stumpfheit durchsetzt, damit wir nicht zerbrechen vor dem Grauen, das uns bei klarem, bewu?tem Denken uberfallen wurde, – es hat in uns den Kameradschaftssinn geweckt, damit wir dem Abgrund der Verlassenheit entgehen, – es hat uns die Gleichgultigkeit von Wilden verliehen, damit wir trotz allem jeden Moment des Positiven empfinden und als Reserve aufspeichern gegen den Ansturm des Nichts. So leben wir ein geschlossenes, hartes Dasein au?erster Oberflache, und nur manchmal wirft ein Ereignis Funken. Dann aber schlagt uberraschend eine Flamme schwerer und furchtbarer Sehnsucht durch.

Das sind die gefahrlichen Augenblicke, die uns zeigen, da? die Anpassung doch nur kunstlich ist, da? sie nicht einfach Ruhe ist, sondern scharfste Anspannung zur Ruhe. Wir unterscheiden uns au?erlich in der Lebensform kaum von Buschnegern; aber wahrend diese stets so sein konnen, weil sie eben so sind und sich durch Anspannung ihrer Geisteskrafte hochstens fortentwickeln, ist es bei uns umgekehrt: unsere inneren Krafte sind nicht auf Weiter-, sondern auf Zuruckentwicklung angespannt. Jene sind entspannt und selbstverstandlich so, wir sind es au?erst angespannt und kunstlich.

Und mit Schrecken empfindet man nachts, aus einem Traum aufwachend, uberwaltigt und preisgegeben der Bezauberung heranflutender Gesichte, wie dunn der Halt und die Grenze ist, die uns von der Dunkelheit trennt – wir sind kleine Flammen, notdurftig geschutzt durch schwache Wande vor dem Sturm der Auflosung und der Sinnlosigkeit, in dem wir flackern und manchmal fast ertrinken. Dann wird das gedampfte Brausen der Schlacht zu einem Ring, der uns einschlie?t, wir kriechen in uns zusammen und starren mit gro?en Augen in die Nacht.

Trostlich fuhlen wir nun den Schlafatem der Kameraden, und so warten wir auf den Morgen.

* * *

Jeder Tag und jede Stunde, jede Granate und jeder Tote wetzen an diesem dunnen Halt, und die Jahre verschlei?en ihn rasch. Ich sehe, wie er allmahlich schon um mich herum niederbricht. Da ist die dumme Geschichte mit Detering. Er war einer von denen, die sich sehr fur sich hielten. Sein Ungluck war, da? er in einem Garten einen Kirschbaum sah. Wir kamen gerade von der Front, und dieser Kirschbaum stand in der Nahe des neuen Quartiers an einer Wegbiegung uberraschend in der Morgendammerung vor uns. Er hatte keine Blatter, aber er war ein einziger wei?er Blutenbusch.

Abends war Detering nicht zu sehen. Er kam schlie?lich 246 an und hatte ein paar Zweige mit Kirschbluten in der Hand. Wir machten uns lustig und fragten, ob er auf Brautschau wolle. Er gab keine Antwort, sondern legte sich auf sein Bett. Nachts horte ich ihn rumoren, er schien zu packen. Ich witterte Unheil und ging zu ihm. Er tat, als ware nichts, und ich sagte ihm:»Mach keinen Unsinn, Detering.«

»Ach wo – ich kann nur nicht schlafen.«

»Weshalb hast du denn die Kirschzweige geholt?«

»Ich werde doch wohl noch Kirschzweige holen durfen«, antwortet er verstockt – und nach einer Weile:»Zu Hause habe ich einen gro?en Obstgarten mit Kirschen. Wenn die bluhen, sieht das vom Heuboden aus wie ein einziges Bettlaken, so wei?. Es ist jetzt die Zeit.«

»Vielleicht gibt’s bald Urlaub. Es kann auch sein, da? du, als Landwirt, abkommandiert wirst.«

Er nickt, aber er ist abwesend. Wenn diese Bauern aufgeruhrt sind, haben sie einen sonderbaren Ausdruck, eine Mischung von Kuh und sehnsuchtigem Gott, halb blode und halb hinrei?end. Um ihn von seinen Gedanken abzubringen, verlange ich ein Stuck Brot von ihm. Er gibt es mir ohne Einschrankung. Das ist verdachtig, denn er ist sonst knauserig. Deshalb bleibe ich wach. Es passiert nichts, er ist morgens wie sonst.

Wahrscheinlich hat er gemerkt, da? ich ihn beobachtet habe.

– Am ubernachsten Morgen ist er trotzdem fort. Ich sehe es, sage jedoch nichts, um ihm Zeit zu lassen, vielleicht kommt er durch. Nach Holland haben es schon verschiedene Leute geschafft.

Beim Appell aber fallt sein Fehlen auf. Nach einer Woche horen wir, da? er gefa?t ist von den Feldgendarmen, diesen verachteten Kommi?polizisten. Er hatte die Richtung nach Deutschland genommen – das war naturlich aussichtslos -, und ebenso naturlich hatte er alles sehr dumm angefangen. Jeder hatte daraus wissen konnen, da? die Flucht nur Heimweh und momentane Verwirrung war. Doch was begreifen Kriegsgerichtsrate hundert Kilometer hinter der Linie davon? – Wir haben nichts mehr von Detering vernommen.

* * *

Aber auch auf andere Weise bricht es manchmal heraus, dieses Gefahrliche, Gestaute – wie aus uberhitzten Dampfkesseln. Da ist auch noch das Ende zu berichten, das Berger fand.

Schon lange sind unsere Graben zerschossen, und wir haben die elastische Front, so da? wir eigentlich keinen richtigen Stellungskrieg mehr fuhren. Wenn Angriff und Gegenangriff hin und her gegangen sind, bleibt eine zerrissene Linie und ein erbitterter Kampf von Trichter zu Trichter. Die vordere Linie ist durchbrochen, und uberall haben sich Gruppen festgesetzt, Trichternester, von denen aus gekampft wird.

Wir sind in einem Trichter, seitlich sitzen Englander, sie rollen die Flanke auf und gelangen hinter uns. Wir sind umzingelt. Es ist schwierig, sich zu ergeben, Nebel und Rauch schwanken uber uns hin, niemand wurde erkennen, da? wir kapitulieren wollen, vielleicht wollen wir es auch gar nicht, das wei? man selbst nicht in solchen Momenten. Wir horen die Explosionen der Handgranaten herankommen. Unser Maschinengewehr bestreicht den vorderen Halbkreis. Das Kuhlwasser verdampft, wir reichen die Kasten eilig herum, jeder pi?t hinein, so haben wir wieder Wasser und konnen weiterfeuern. Aber hinter uns kracht es immer naher. In einigen Minuten sind wir verloren. Da rast ein zweites Maschinengewehr auf kurzeste Entfernung los. Es steckt im Trichter neben uns, Berger hat es geholt, und nun setzt ein Gegenangriff von hinten ein, wir kommen frei und finden Verbindung nach ruckwarts. Als wir nachher in einigerma?en guter Deckung sind, erzahlt einer von den Essenholern, da? ein paar hundert Schritte entfernt ein verwundeter Meldehund liege.

»Wo?« fragt Berger.

Der andere beschreibt es ihm. Berger geht los, um das Tier zu holen oder es zu erschie?en. Noch vor einem halben Jahr hatte er sich nicht darum gekummert, sondern ware vernunftig gewesen. Wir versuchen, ihn zuruckzuhalten. Doch als er ernsthaft geht, konnen wir nur sagen:»Verruckt!« und ihn laufenlassen. Denn diese Anfalle von Frontkoller werden gefahrlich, wenn man den Mann nicht gleich zu Boden werfen und festhalten kann. Und Berger ist ein Meter achtzig gro?, der kraftigste Mann der Kompanie.

Er ist tatsachlich verruckt, denn er mu? durch die Feuerwand;

– aber es ist dieser Blitz, der irgendwo uber uns allen lauert, der in ihn eingeschlagen ist und ihn besessen macht. Bei andern ist es so, da? sie zu toben anfangen, da? sie wegrennen, ja einer war da, der sich mit Handen und Fu?en und Mund immerfort in die Erde einzugraben versuchte. Es wird naturlich auch viel simuliert mit solchen Sachen, aber das Simulieren ist ja eigentlich auch schon ein Zeichen. Berger, der den Hund erledigen will, wird mit einem Beckenschu? weggeholt, und einer der Leute, die es tun, kriegt sogar dabei noch eine Gewehrkugel in die Wade.

* * *
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