hinausfahren, dringt uns bereits die Nasse durch die Mantel und Kleider, – und so bleibt es die Zeit vorne auch. Wir werden nicht trocken. Wer noch Stiefel tragt, bindet sie oben mit Sandsacken zu, damit das Lehmwasser nicht so rasch hineinlauft. Die Gewehre verkrusten, die Uniformen verkrusten, alles ist flie?end und aufgelost, eine triefende, feuchte, olige Masse Erde, in der die gelben Tumpel mit spiralig roten Blutlachen stehen und Tote, Verwundete und Uberlebende langsam versinken.

Der Sturm peitscht uber uns hin, der Splitterhagel rei?t aus dem wirren Grau und Gelb die spitzen Kinderschreie der Getroffenen, und in den Nachten stohnt das zerrissene Leben sich muhsam dem Schweigen zu. Unsere Hande sind Erde, unsere Korper Lehm und unsere Augen Regentumpel. Wir wissen nicht, ob wir noch leben.

Dann sturzt die Hitze wie eine Qualle feucht und schwul in unsere Locher, und an einem dieser Spatsommertage, beim Essenholen, fallt Kat um. Wir beide sind allein. Ich verbinde seine Wunde; das Schienbein scheint zerschmettert zu sein. Es ist ein Knochenschu?, und Kat stohnt verzweifelt:»Jetzt noch – gerade jetzt noch -« Ich troste ihn. »Wer wei?, wie lange der Schlamassel noch dauert! Du bist erst mal gerettet-«

Die Wunde beginnt heftig durchzubluten. Kat kann nicht allein bleiben, damit ich eine Bahre zu holen versuche. Ich wei? auch nirgendwo eine Sanitatsstation in der Nahe.

Kat ist nicht sehr schwer; deshalb nehme ich ihn auf den Rucken und gehe zuruck mit ihm zum Verbandsplatz.

Zweimal machen wir Rast. Er hat starke Schmerzen durch den Transport. Wir sprechen nicht viel. Ich habe den Kragen meiner Jacke aufgemacht und atme heftig, ich schwitze, und mein Gesicht ist gedunsen von der Anstrengung des Tragens. Trotzdem drange ich, da? wir weitergehen, denn das Terrain ist gefahrlich.

»Geht’s wieder, Kat?«

»Mu? wohl, Paul.«

»Dann los.«

Ich richte ihn auf, er steht auf dem unverletzten Bein und halt sich an einem Baum fest. Dann fasse ich vorsichtig das verwundete Bein, er gibt sich einen Ruck, und ich nehme auch das Knie des gesunden Beines unter den Arm. Unser Weg wird schwieriger. Manchmal pfeift eine Granate heran. Ich gehe, so schnell ich vermag, denn das Blut von Kats Wunde tropft zu Boden. Wir konnen uns nur schlecht schutzen vor den Einschlagen, denn ehe wir Deckung nehmen, sind sie langst voruber. Um abzuwarten, legen wir uns in einen kleinen Trichter. Ich gebe Kat Tee aus meiner Feldflasche. Wir rauchen eine Zigarette. »Ja, Kat«, sage ich trubsinnig,»nun kommen wir doch noch auseinander.«

Er schweigt und sieht mich an.

»Wei?t du noch, Kat, wie wir die Gans requirierten? Und wie du mich aus dem Schlamassel holtest, als ich noch ein kleiner Rekrut und zum erstenmal verwundet war? Damals habe ich noch geweint. Kat, es sind fast drei Jahre jetzt.«

Er nickt.

Die Angst vor dem Alleinsein steigt in mir auf. Wenn Kat abtransportiert ist, habe ich keinen Freund mehr hier.

»Kat, wir mussen uns auf jeden Fall wiedersehen, wenn wirklich Frieden ist, ehe du zuruckkommst.«

»Glaubst du, da? ich mit dem Knochen da noch mal k. v. werde?« fragt er bitter.

»Du wirst ihn in Ruhe ausheilen. Das Gelenk ist ja in Ordnung. Vielleicht klappt es doch damit.«

»Gib mir noch eine Zigarette«, sagt er.

»Vielleicht konnen wir irgend etwas spater zusammen machen, Kat.«- Ich bin sehr traurig, es ist unmoglich, da? Kat – Kat, mein Freund, Kat mit den Hangeschultern und dem dunnen, weichen Schnurrbart, Kat, den ich kenne auf eine andere Weise als jeden anderen Menschen, Kat, mit dem ich diese Jahre geteilt habe -, es ist unmoglich, da? ich Kat vielleicht nicht wiedersehen soll.

»Gib mir deine Adresse fur zu Hause, Kat, auf jeden Fall. Und hier ist meine, ich schreibe sie dir auf.« Den Zettel schiebe ich in meine Brusttasche. Wie verlassen ich schon bin, obschon er noch neben mir sitzt. Soll ich mir rasch in den Fu? schie?en, um bei ihm bleiben zu konnen? Kat gurgelt plotzlich und wird grun und gelb. »Wir wollen weiter«, stammelt er.

Ich springe auf, gluhend, ihm zu helfen, ich nehme ihn hoch und setze mich in Lauf, einen gedehnten, langsamen Dauerlauf, damit sein Bein nicht zu sehr schlenkert.

Mein Hals ist trocken, es tanzt mir rot und schwarz vor den Augen, als ich verbissen und ohne Gnade weiterstolpernd, endlich die Sanitatsstation erreiche.

Dort breche ich in die Knie, habe aber noch so viel Kraft, nach der Seite umzufallen, wo Kats gesundes Bein ist. Langsam richte ich mich nach einigen Minuten wieder auf. Meine Beine und meine Hande zittern heftig, ich habe Muhe, meine Feldflasche zu finden, um einen Schluck zu nehmen.

Die Lippen beben mir dabei.

Aber ich lachele – Kat ist geborgen.

Nach einer Weile unterscheide ich den verworrenen Stimmenschwall, der sich in meinem Ohr fangt.

»Das hattest du dir sparen konnen«, sagt ein Sanitater.

Ich sehe ihn verstandnislos an.

Er zeigt auf Kat. »Er ist ja tot.«

Ich begreife nicht. »Er hat einen Schienbeinschu?«, sage ich.

Der Sanitater bleibt stehen. »Das auch -« Ich drehe mich um. Meine Augen sind noch immer trube, der Schwei? ist mir jetzt von neuem ausgebrochen, er lauft uber die Lider. Ich wische ihn fort und sehe zu Kat hin.

Er liegt still. »Ohnmachtig«, sage ich rasch.

Der Sanitater pfeift leise:»Das kenne ich nun doch besser. Er ist tot. Darauf halte ich jede Wette.«

Ich schuttele den Kopf. »Ausgeschlossen! Vor zehn Minuten noch habe ich mit ihm gesprochen. Er ist ohnmachtig.«

Kats Hande sind warm, ich fasse ihn bei den Schultern, um ihn mit Tee abzureiben. Da fuhle ich meine Finger na? werden. Als ich sie hinter seinem Kopf hervorziehe, sind sie blutig. Der Sanitater pfeift wieder durch die Zahne:»Siehst du-«

Kat hat, ohne da? ich es bemerkt habe, unterwegs einen Splitter in den Kopf bekommen. Nur ein kleines Loch ist da, es mu? ein ganz geringer, verirrter Splitter gewesen sein. Aber er hat ausgereicht. Kat ist tot.

Ich stehe langsam auf.

»Willst du sein Soldbuch und seine Sachen mitnehmen?« fragt der Gefreite mich. Ich nicke, und er gibt sie mir.

Der Sanitater ist verwundert. »Ihr seid doch nicht verwandt?« Nein, wir sind nicht verwandt. Nein, wir sind nicht verwandt. Gehe ich? Habe ich noch Fu?e? Ich hebe die Augen, ich lasse sie herumgehen und drehe mich mit ihnen, einen Kreis, einen Kreis, bis ich innehalte. Es ist alles wie sonst. Nur der

Landwehrmann Stanislaus Katczinsky ist gestorben. Dann wei? ich nichts mehr.

12.

Es ist Herbst. Von den alten Leuten sind nicht mehr viele da. Ich bin der letzte von den sieben Mann aus unserer Klasse hier.

Jeder spricht von Frieden und Waffenstillstand. Alle warten. Wenn es wieder eine Enttauschung wird, dann werden sie zusammenbrechen, die Hoffnungen sind zu stark, sie lassen sich nicht mehr fortschaffen, ohne zu explodieren. Gibt es keinen Frieden, dann gibt es Revolution.

Ich habe vierzehn Tage Ruhe, weil ich etwas Gas geschluckt habe. In einem kleinen Garten sitze ich den ganzen Tag in der Sonne. Der Waffenstillstand kommt bald, ich glaube es jetzt auch. Dann werden wir nach Hause fahren.

Hier stocken meine Gedanken und sind nicht weiterzubringen. Was mich mit Ubermacht hinzieht und erwartet, sind Gefuhle. Es ist Lebensgier, es ist Heimatgefuhl, es ist das Blut, es ist der Rausch der Rettung. Aber es sind keine Ziele.

Waren wir 1916 heimgekommen, wir hatten aus dem Schmerz und der Starke unserer Erlebnisse einen Sturm

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