heute abend weg. Verschieben Sie die Sache, bis Sie zuruckkommen.«

Riesenfeld trinkt seinen Korn aus.»Es mag Ihnen komisch vorkommen – aber Sachen solcher Art verschiebt man hochst ungern.«

In diesem Augenblick tritt Lisa aus ihrer Haustur. Sie tragt ein enganliegendes schwarzes Kostum und Schuhe mit den hochsten Absatzen, die ich je gesehen habe. Riesenfeld erspaht sie zur gleichen Zeit wie ich. Er rei?t seinen Hut vom Tisch und sturmt hinaus.»Dies ist der Augenblick!«

Ich sehe ihn die Stra?e hinunterschie?en. Den Hut in der Hand, wandert er respektvoll neben Lisa her, die sich zweimal umsieht. Dann verschwinden beide um die Ecke. Ich wundere mich, wie das ausgehen wird. Georg Kroll wird es mir sicher berichten. Moglich, da? der Gluckspilz dabei noch ein zweites Denkmal in schwedischem Granit herausholt.

Drau?en kommt der Tischler Wilke uber den Hof.»Wie ware es mit einer Sitzung heute abend?«ruft er durchs Fenster.

Ich nicke. Ich habe schon erwartet, da? er das vorschlagen wurde.»Kommt Bach auch?«frage ich.

»Klar. Ich hole gerade Zigaretten fur ihn.«

Wir sitzen in der Werkstatt Wilkes zwischen Hobelspanen, Sargen, Blumentopfen mit Geranien und Leimtopfen. Es riecht nach Harz und frischgeschnittenem Tannenholz. Wilke hobelt den Deckel des Zwillingssarges zurecht. Er hat sich entschlossen, eine Blumengirlande umsonst dreinzugeben, sogar vergoldet, mit Blattgoldersatz. Wenn er interessiert ist, ist der Verdienst ihm gleichgultig. Und hier ist er interessiert.

Kurt Bach sitzt auf einem schwarzlackierten Sarg mit falschen Bronzebeschlagen; ich auf einem Prachtstuck aus Natureiche, matt gebeizt. Wir haben Bier, Wurst, Brot, Kase und sind entschlossen, mit Wilke die Geisterstunde zu uberstehen. Der Sargtischler wird namlich gewohnlich zwischen zwolf und ein Uhr nachts melancholisch, schlafrig und angstlich. Es ist seine schwache Stunde. Man sollte es nicht glauben, aber er furchtet sich dann vor Gespenstern, und der Kanarienvogel, den er in einem Papageienka?g uber seiner Hobelbank hangen hat, ist um diese Zeit nicht genug Gesellschaft fur ihn. Er ist dann verzagt, spricht von der Zwecklosigkeit des Daseins und greift zum Schnaps. Wir haben ihn schon ofter morgens besoffen auf einem Bett von Hobelspanen schnarchend in seinem gro?ten Sarg gefunden, mit dem er vor vier Jahren elend hereingefallen ist. Der Sarg war fur den Riesen vom Zirkus Bleichfeld angefertigt worden, der plotzlich bei einem Gastspiel in Werdenbruck nach einer Mahlzeit von Limburger Kase, harten Eiern, Mettwurst, Kommi?brot und Schnaps gestorben war – scheinbar gestorben, denn wahrend Wilke die Nacht durch, allen Gespenstern zum Trotz, an dem Sarg fur den Riesen schuftete, hatte der sich plotzlich mit einem Seufzer vom Totenbett erhoben und anstatt, wie es anstandig gewesen ware, Wilke auf der Stelle zu verstandigen, eine halbe Flasche Korn ausgesoffen, die noch ubriggeblieben war, und sich schlafen gelegt. Am nachsten Morgen behauptete er, kein Geld zu haben und au?erdem keinen Sarg fur sich bestellt zu haben, ein Einwand, gegen den nichts zu machen war. Der Zirkus zog weiter, und da niemand den Sarg bestellt haben wollte, blieb Wilke damit sitzen und bekam dadurch fur einige Zeit eine etwas bittere Weltanschauung. Besonders argerlich war er auf den jungen Arzt Wullmann, den er fur alles verantwortlich machte. Wullmann hatte zwei Jahre als Feldunterarzt gedient und war dadurch abenteuerlich geworden. Er hatte so viele halbtote und dreivierteltote Muschkoten im Lazarett zur Behandlung gehabt, ohne da? ihn irgend jemand fur ihren Tod oder ihre schiefgeheilten Knochen verantwortlich machte, da? er zum Schlu? einen Haufen interessante Erfahrungen sammeln konnte. Deshalb war er nachts noch einmal zu dem Riesen geschlichen und hatte ihm irgendeine Spritze verabreicht – er hatte ofters im Lazarett gesehen, da? Tote wieder erwacht waren -, und der Riese war auch prompt wieder ins Leben zuruckgewandert. Wilke hatte seitdem, ohne da? er es wollte, eine gewisse Abneigung gegen Wullmann, die dieser spater auch nicht dadurch aus der Welt schaffen konnte, da? er sich wie ein vernunftiger Arzt benahm und die Hinterbliebenen seiner Falle zu Wilke schickte. Fur Wilke war der Sarg des Riesen eine standige Mahnung, nicht zu leichtglaubig zu sein, und ich glaube, das war auch der Grund, warum er mit der Zwillingsmutter in ihre Wohnung gegangen ist – er wollte sich selbst davon uberzeugen, da? die Toten inzwischen nicht schon wieder auf Holzpferden herumritten. Es ware fur Wilkes Selbstachtung zuviel gewesen, neben dem unverkau?ichen Riesensarg auch noch mit dem quadratischen Zwillingssarg hangenzubleiben und so eine Art Barnum in der Zunft der Sargtischler darzustellen. Am meisten hatte ihn bei der Sache mit Wullmann geargert, da? er keine Gelegenheit gehabt hatte, mit dem Riesen ein langeres Privatgesprach zu fuhren. Er hatte ihm alles vergeben, wenn er mit ihm ein Interview uber das Jenseits hatte haben konnen. Der Riese war schlie?lich einige Stunden lang so gut wie tot gewesen, und Wilke, als Amateurwissenschaftler und Gespensterfurchter, hatte viel darum gegeben, Auskunft uber das Dasein auf der anderen Seite zu erhalten.

Kurt Bach ist fur all das nicht zu haben. Der Sohn der Natur ist immer noch Mitglied der Freireligiosen Gemeinde Berlin, deren Wahlspruch ist:»Macht hier das Leben gut und schon, kein Jenseits gibt’s, kein Wiedersehn.«Es ist sonderbar, da? er trotzdem ein Bildhauer furs Jenseits, mit Engeln, sterbenden Lowen und Adlern geworden ist, aber das war ja nicht immer seine Absicht. Als er junger war, hielt er sich fur eine Art Neffen von Michelangelo.

Der Kanarienvogel singt. Das Licht halt ihn wach. Wilkes Hobel macht ein zischendes Gerausch. Die Nacht steht vor dem offenen Fenster.»Wie fuhlen Sie sich?«frage ich Wilke.»Klopft das Jenseits bereits?«

»Halb und halb. Es ist ja erst halb zwolf. Um die Zeit fuhle ich mich, als ginge ich spazieren mit einem Vollbart in einem ausgeschnittenen Damenkleid. Unbehaglich.«

»Werden Sie Monist«, schlagt Kurt Bach vor.»Wenn man an nichts glaubt, fuhlt man sich nie besonders schlecht. Auch nicht lacherlich.«

»Auch nicht gut«, sagt Wilke.

»Mag sein. Aber bestimmt nicht so, als hatte man einen Vollbart und truge ein ausgeschnittenes Damenkleid. So fuhle ich mich nur, wenn ich nachts aus dem Fenster sehe, und da ist der Himmel mit den Sternen und den Millionen Lichtjahren, und ich soll glauben, da? uber all dem eine Art Ubermensch sitzt, dem es wichtig sein soll, was aus Kurt Bach wird.«

Der Sohn der Natur schneidet sich behaglich ein Stuck Wurst ab und verzehrt es. Wilke wird nervoser. Die Mitternacht ist schon zu nahe, und um diese Zeit liebt er solche Gesprache nicht.»Kalt, was?«sagt er.»Schon Herbst.«

»Lassen Sie das Fenster nur ruhig offen«, erwidere ich, als er es schlie?lich will.»Es nutzt Ihnen nichts, Geister gehen durch Glas. Blicken Sie lieber auf die Akazie drau?en! Sie ist die Lisa Watzek der Akazien. Horen Sie, wie der Wind in ihr rauscht! Wie ein Walzer in den seidenen Unterrocken einer jungen Frau. Eines Tages aber wird sie gefallt werden, und Sie werden Sarge daraus machen -«

»Nicht aus Akazienholz. Sarge macht man aus Eiche, Tanne, Mahagoni furniert -«

»Gut, gut, Wilke! Ist noch etwas Schnaps da?«

Kurt Bach reicht mir die Flasche heruber. Wilke zuckt plotzlich zusammen und hobelt sich fast einen Finger ab.

»Was war das?«fragt er erschreckt.

Ein Kafer ist gegen die Lampe ge?ogen.»Ruhig Blut, Alfred«, sage ich.»Keine Botschaft aus dem Jenseits. Lediglich ein schlichtes Drama der Tierwelt. Ein Mistkafer, der zur Sonne strebt – verkorpert fur ihn in einer Hundertwattbirne im Hinterhaus der Hakenstra?e drei.«

Es ist eine Verabredung, da? wir von kurz vor Mitternacht bis zum Ende der Geisterstunde Wilke duzen. Er fuhlt sich dadurch geschutzter. Nach ein Uhr sind wir wieder formell.

»Ich verstehe nicht, wie man ohne Religion leben kann«, sagt Wilke zu Kurt Bach.»Was macht man da, wenn man nachts im Dunkeln aufwacht bei einem Gewitter?«

»Im Sommer?«

»Naturlich, im Sommer. Im Winter gibt’s keine Gewitter.«

»Man trinkt etwas Kaltes«, erwidert Kurt Bach.»Dann schlaft man weiter.«

Wilke schuttelt den Kopf. Er wird um die Geisterstunde nicht nur angstlich, sondern auch sehr religios.

»Ich kannte jemand, der beim Gewitter ins Bordell ging«, sage ich.»Es zwang ihn direkt dazu. Er war sonst impotent; nur bei Gewitter anderte sich das. Eine Gewitterwolke sehen und zum Telefon greifen, um eine Reservation bei Fritzi zu machen, war eins fur ihn. Der Sommer 1920 war sein schonstes Lebensjahr; da wimmelte es von Gewittern. Manchmal vier, funf am Tage.«

»Was macht er jetzt?«fragt Wilke, der Amateur-Wissenschaftler, interessiert.

»Er ist tot«, sage ich.»Gestorben wahrend der letzten gro?en Gewitter im Oktober 1920.«

Der Nachtwind wirft eine Tur im Hause gegenuber zu. Von den Turmen schlagen die Glocken. Es ist

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