In der Riesentasche seines Jacketts stie? Bronowski auf einen Apfel und bi? hinein. 'Okay, du hast mit Hallam gesprochen und bist - wie erwartet - rausgeschmissen worden. Was nun?'

'Ich bin noch unentschlossen. Auf jeden Fall soll er gehorig auf die Nase fallen. Du wei?t ja, da? ich schon einmal bei ihm gewesen bin, vor Jahren, als ich noch neu hier war, als ich ihn noch fur einen gro?en Mann hielt. Einen gro?en Mann ... Er ist der gro?e Schurke in der Geschichte der Wissenschaft. Er hat die Geschichte der Pumpe neu geschrieben, wei?t du, hier oben neu geschrieben ' Lamont tippte sich an die Schlafe. 'Er glaubt seine eigene Spinnerei und kampft mit krankhafter Wut darum. Er ist ein Zwerg, der nur ein Talent besitzt - die Fahigkeit, andere zu uberzeugen, da? er ein Riese ist.'

Lamont sah Bronowski an, dessen breites, gelassenes Gesicht nun amusiert verzogen war, und zwang sich zu einem Lachen. 'Ja, ja, das hilft alles nichts, und ich hab's dir sowieso schon erzahlt.'

'Hundertmal', stimmte ihm Bronowski zu.

'Trotzdem verwirrt es mich, da? die ganze Welt...'

2

Als Hallam zum erstenmal das veranderte Wolfram in die Hand nahm, war Peter Lamont gerade zwei Jahre alt. Dreiundzwanzig Jahre spater gehorte Lamont bereits zum Personal der Pumpstation I - der Druck seiner Doktorarbeit war noch ganz frisch und nahm gleichzeitig einen Ruf an die Physikalische Fakultat der Universitat an.

Das war eine bemerkenswerte Bestatigung fur den jungen Mann. Die Pumpstation I lie? noch etwas den Glanz spaterer Stationen vermissen, doch sie war der Vorlaufer aller anderen, der gesamten Kette, die jetzt den ganzen Planeten umspannte, obwohl die diesbezugliche Technologie erst wenige Jahrzehnte alt war. Noch nie hatte sich eine wichtige technische Neuerung so schnell und umfassend durchgesetzt, aber warum auch nicht? Sie brachte Energie - kostenlos, grenzenlos, problemlos.

Sie war der Weihnachtsmann und die Wunderlampe der ganzen Welt.

Obwohl Lamont den Posten ubernommen hatte, um sich mit Problemen hochster theoretischer Abstraktion zu befassen, interessierte er sich bald fur die erstaunliche Geschichte der Entwicklung der Elektronenpumpe. Sie war noch von keinem Autoren zusammenhangend dargestellt worden, der die dahinterstehenden theoretischen Prinzipien begriff (soweit diese uberhaupt verstandlich waren) und der gleichzeitig die Falligkeit besa?, der Allgemeinheit darzulegen, worum es dabei ging. Naturlich hatte Hallam selbst eine Anzahl Artikel fur die Massenmedien geschrieben, die jedoch keine zusammenhangende, ausgereifte Geschichte darstellten - etwas, das Lamont sehr gern vorgelegt hatte.

Er nahm Hallams Abhandlungen als Basis, dazu andere veroffentlichte Unterlagen - gewisserma?en die offiziellen Dokumente , und versuchte mit deren Hilfe zu ergrunden, wie Hal-lam zu seiner umwalzenden Bemerkung gelangt war, zu der Gro?en Einsicht, wie sie (stets im Schragdruck) genannt wurde.

Als er seine ersten Illusionen verloren hatte, begann Lamont naturlich tiefer zu graben, und dabei ergab sich fur ihn die Frage, ob Hallams gro?e Bemerkung wirklich die seine gewesen war. Sie war wahrend des Seminars gefallen, das den eigentlichen Beginn der Ara der Elektronenpumpe darstellte und uber das - wie es sich herausstellte - Einzelheiten nur au?erordentlich schwer in Erfahrung zu bringen waren. Uberhaupt unmoglich schien es, an die Tonbandaufzeichnungen heranzukommen.

Schlie?lich begann Lamont zu vermuten, da? die Abdrucke, die das Seminar im Sand der Zeit hinterlassen hatte, nicht nur zufallig so schwach waren. Verschiedene Einzelheiten, geschickt verbunden, lie?en mit einiger Sicherheit annehmen, da? John F. X. McFarland etwas geau?ert hatte, was Hallams

Schlusselbemerkung sehr nahekam - und da? das vorher geschehen war. Er suchte McFarland auf, der in den offiziellen Berichten uberhaupt nicht vorkam und der jetzt mit der Erforschung der hoheren Atmosphare, unter besonderem Bezug auf die solaren Winde, beschaftigt war. Es war keine uberma?ig wichtige Arbeit, doch sie hatte ihre Vorteile, und sie bezog sich nicht unerheblich auf Effekte der Pumpe. McFarland hatte es sichtlich verstanden, dem Schicksal des Vergessens, wie es Denison befallen hatte, aus dem Weg zu gehen.

Er begru?te Lamont hoflich und erklarte sich bereit, uber jedes Thema mit ihm zu sprechen - nur nicht uber die Ereignisse des Seminars. Daran erinnerte er sich einfach nicht mehr.

Lamont fa?te nach und legte die Beweise offen, die er gesammelt hatte.

McFarland brachte eine Pfeife zum Vorschein, fullte sie, beaugte eingehend ihren Inhalt und sagte mit seltsamer Betonung: 'Ich mochte mich nicht erinnern, weil es egal ist, wirklich egal. Nehmen wir einmal an, ich behaupte, in diesem Zusammenhang etwas Wesentliches gesagt zu haben. Niemand wurde mir glauben. Ich stunde wie ein Idiot da - wie ein gro?enwahnsinniger Idiot.'

'Und Hallam wurde dafur sorgen, da? Sie in den Ruhestand kamen?'

'Das will ich nicht behaupten, aber ich wu?te auch nicht, welchen Vorteil mir so etwas bringen konnte. Was macht es schon aus?'

'Es geht um die geschichtliche Wahrheit!' erwiderte La-mont.

'Ach, Unsinn! Die geschichtliche Wahrheit besteht darin, da? Hallam einfach nicht lockerlie?. Er trieb jeden an, der Sache nachzugehen - ob er wollte oder nicht. Ohne ihn ware das Wolfram irgendwann explodiert und hatte wer wei? wie viele Todesopfer gefordert. Vielleicht hatten wir kein zweites Muster in die Hand bekommen, und es hatte die Pumpe nie gegeben.

Hallam hat die allgemeine Anerkennung hierfur verdient, selbst wenn er sie nicht verdient, und wenn Ihnen das unverstandlich vorkommt, kann ich es auch nicht andern, weil Geschichte eben selten einen Sinn ergibt.'

Lamont war damit nicht zufrieden, doch er konnte nichts machen, denn McFarland wollte einfach nicht weiter daruber sprechen.

Geschichtliche Wahrheit!

Ein Stuck geschichtliche Wahrheit, das au?er Frage stand, war jedenfalls die Tatsache, da? allein die Radioaktivitat das 'Hallam-Wolfram' (wie es spater allgemein genannt wurde) in das Blickfeld der Offentlichkeit ruckte. Dabei war nicht wichtig, ob es nun wirklich Wolfram war oder nicht oder ob man daran herumgepfuscht hatte; auch interessierte niemanden, ob es sich um ein unmogliches Isotop handelte oder nicht. Alle diese Fragen wurden unwesentlich angesichts der verbluffenden Tatsache, da? die Substanz eine standig ansteigende Radioaktivitat aufwies unter Bedingungen, die die Existenz jeder Art radioaktiven Zerfalls, in welchen Stufen auch immer, soweit damals bekannt, ausschlossen.

Jedenfalls meinte Kantrowitsch eine Weile nach der Entdek-kung dieser Substanz, da? das Zeug verteilt werden sollte. Wenn es in gro?eren Brocken liegengelassen werde, lose es sich vielleicht auf oder explodiere - oder beides - und verseuche die halbe Stadt.

So wurde der Fund also zu Pulver zerstampft und in kleinen Mengen an verschiedenen Orten aufbewahrt; zuerst vermischte man das Pulver mit gewohnlichem Wolfram und schlie?lich, als auch dieses Wolfram radioaktiv wurde, mit Graphit, das der Strahlung einen niedrigeren Wirkungsquerschnitt bot.

Kaum acht Wochen, nachdem Hallam die Veranderung des Flascheninhalts bemerkt hatte, verkundete Kantrowitsch in einem Brief an den Redakteur der Nuclear Reviews, unter Angabe Hallams als Mitautor, die Existenz von Plutonium-186.

Tracys ursprungliche Messung fand auf diese Weise Bestatigung, doch sein Name wurde weder dann noch spater erwahnt. Damit begann das Hallam-Wolfram seinen Zug um die Welt, und Denison begann die Veranderungen zu spuren, die ihn schlie?lich in den Hintergrund abdrangten.

Die Existenz des Plutonium-186 an und fur sich war schon schlimm genug. Da? es aber zuerst stabil gewesen war und dann eine ansteigende Radioaktivitat an den Tag legte, war viel schlimmer. Es wurde ein Seminar organisiert, das sich des Problems annehmen sollte. Kantrowitsch ubernahm die Leitung, was ein interessanter historischer Umstand ist, denn zum letztenmal in der Geschichte der Elektronenpumpe wurde damit eine wichtige Versammlung zu diesem Thema einberufen, bei der Hallam nicht die Leitung innehatte. Es sei angemerkt, da? Kantrowitsch funf Monate spater starb und da? damit die einzige Personlichkeit dahinschied, deren Prestige Hallam noch in die Schranken weisen konnte.

Die Zusammenkunft war bis zu Hallanis Gro?er Einsicht au?erordentlich fruchtlos verlaufen, doch nach der von Lamont rekonstruierten Version kam der eigentliche Wendepunkt in der Mittagspause. Zu der Zeit namlich au?erte sich McFarland, dem in den offiziellen Berichten keinerlei Bemerkungen zugeschrieben wurden, wenn er auch als Teilnehmer verzeichnet war. McFarland sagte: 'Wissen Sie, was wir hier brauchen, ist ein bi?chen Phantasie. Nehmen wir einmal an... '

Er sprach mit Diderick van Klemens, und van Klemens hielt das Gesprach bruchstuckhaft in einer sehr personlichen Kurzschrift fest. Als Eamont diese Notizen endlich auftrieb, war van Klemens langst tot, und obwohl

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