»Dem wurde ich nicht zustimmen.«

Alle wandten sich uberrascht Fidelma zu, die leise ihren Einwand hervorgebracht hatte.

»Das Ubernaturliche ist das Naturliche, was wir noch nicht ganz begreifen konnen. Und wie verhalt es sich mit den Mysterien unseres Glaubens? Kommen sie uns nicht auch ubernaturlich vor? Wenn wir meinen, da? es das Gute gibt, mussen wir auch das Bose akzeptieren.«

»Es gibt von Gott gestiftete Mysterien!« warf Cathen rechtfertigend ein.

»Und bist du Richter daruber, was von Gott gefugt ist und was nicht?« sagte Fidelma ruhig.

Cathen offnete den Mund, als wolle er ihr widersprechen, doch dann machte er ihn wieder zu, da er keine Antwort parat hatte. Mit gerotetem Gesicht sagte er steif: »Verzeiht, ich mu? mich wieder meinen Verpflichtungen widmen.« Damit verlie? er den Raum.

Gwlyddien rutschte unruhig auf seinem Lehnstuhl hin und her, als die Tur zufiel.

»Ich bitte um Entschuldigung, offensichtlich habe ich Prinz Cathen verstimmt«, sagte Fidelma, auch wenn ihr Tonfall alles andere als entschuldigend war.

»Er ist mein jungster Sohn und etwas hitzig«, murmelte der Konig. »Er wollte euch gegenuber nicht respektlos sein.«

»Dergleichen haben wir auch nicht angenommen«, erwiderte Fidelma. »Dieser ratselhafte Vorfall hat uns jedoch neugierig gemacht. Sicher werden wir erst in ein paar Tagen ein Schiff fur unsere Weiterreise nach Canterbury finden, da konnten wir die Zeit bis zur Abfahrt eigentlich auch sinnvoll nutzen.«

Konig Gwlyddiens Gesicht hellte sich auf. »Also werdet ihr euch der Sache annehmen?«

Fidelma blickte zu Eadulf hinuber. Als der die widerspruchlichen Deutungen der Vorkommnisse durch Prinz Cathen, dessen Vater und den Abt vernommen hatte, war ihm sofort klar, da? Fidelma dem Konig die Bitte nicht abschlagen wurde. Fur Fidelma waren mysteriose Falle so unverzichtbar wie fur andere Leute der Wein. Resigniert zuckte er mit den Schultern und hoffte, sie wurde ihm seinen Unmut nicht von den Augen ablesen.

»Das werden wir«, erwiderte Fidelma, die das offensichtlich so in Ordnung fand.

»Dann habt ihr die Vollmacht des Konigs«, erklarte Gwlyddien mit Erleichterung. »Alle eure Kosten werden von uns ubernommen, und ganz gleich, welchen Lohn ihr verlangt, er soll euch in Gold oder Silber ausgezahlt werden, wie ihr es wunscht.«

»Sehr gut«, stimmte ihm Fidelma zu. »Aber wir benotigen eine Art Pfand, damit wir beweisen konnen, da? wir in deinem Auftrag handeln, etwas, das dein Siegel tragt; au?erdem genugend Geld, um unsere Ausgaben wahrend des Aufenthalts in diesem Konigreich zu bestreiten. Sollten wir die Grunde fur das seltsame Geschehen in Llanpadern erklaren konnen, bekommen wir zehn Goldstucke. Falls wir keinen Erfolg haben, sind wir mit funf Goldstucken zufrieden. Einverstanden?«

»Einverstanden.«

»Dann wollen wir mit Bruder Cyngar sprechen. Au?erdem mu?t ihr uns einen Fuhrer zur Verfugung stellen, der uns zum Kloster Llanpadern geleitet.«

Eadulf unterdruckte ein Stohnen.

»Das macht uns keine Muhe«, entgegnete Abt Tryf-fin. »Konntet ihr euch schon morgen vormittag dorthin begeben?«

»Warum so rasch?« erkundigte sich Eadulf, der nichts ubersturzen wollte.

»Ich erwahnte die beiden Ortschaften, die womoglich Alarm geschlagen hatten, falls man dort Krieger aus Ceredigion bemerkt hatte«, erwiderte Abt Tryffin. »Eine der beiden Ortschaften hat mich gebeten, ihnen einen barnwr, einen Richter, zu senden. Morgen wird sich Bruder Meurig, der dieses Amt innehat, dorthin auf den Weg machen. Ihr konntet ihn begleiten, er wurde euch fuhren.«

»Eine ausgezeichnete Idee!« pflichtete ihm Gwlyd-dien bei.

Fidelma war nachdenklich geworden. »Warum hat dieser Ort ...?«

»Er hei?t Llanwnda«, erganzte der Abt.

»Warum hat Llanwnda« - ihr fiel die Aussprache ein wenig schwer - »um einen Richter gebeten? Ich vermute, ein barnwr hat die gleiche Position wie ein dalaigh in meinem Land? Gibt es irgendeinen Zusammenhang zwischen dieser Bitte und dem Verschwinden der Monche?«

Der Abt schuttelte den Kopf. »Der Furst von Pen Caer, der Herrscher dieser Gegend, hat in einer vollig anderen Angelegenheit um einen Richter gebeten. Ein junges Madchen ist von ihrem Freund vergewaltigt und ermordet worden. Sie war Jungfrau. In solch landlichen Gegenden ist das ein sehr schweres Verbrechen. Der Junge hatte Gluck, da? er nicht gleich von den aufgebrachten Einwohnern des Ortes zu Tode geprugelt wurde. Nein, zwischen diesen bei-den Vorfallen besteht nicht der geringste Zusammenhang.«

»Dann sollten wir morgen vormittag nach Llanpa-dern aufbrechen gemeinsam mit Bruder .«

»Bruder Meurig.«

». mit Bruder Meurig. Doch du hast gesagt, da? es sich um eine Wegstrecke von uber zwanzig Meilen handelt, und Bruder Eadulf ist noch nicht ganz wiederhergestellt .«

»Naturlich komme ich mit«, warf Eadulf kuhl ein. »Ich bin weder zu schwach noch zu inkompetent, um in dieser Sache nicht von Nutzen zu sein.«

»Ihr konnt Pferde von mir haben«, bot Gwlyddien an. »Dann sind wir uns einig.« Eadulf sah Fidelma wutend an. Sie fragte sich, warum er so au?er sich war, wo sie doch versuchte, alles fur ihn so angenehm wie moglich zu machen.

»Dann sind wir uns einig«, wiederholte sie.

»Vortrefflich. Unser Mittagsmahl wartet jetzt auf uns.« Abt Tryffin erhob sich. »Nachdem ihr beide gespeist und euch ausgeruht habt, werden wir Bruder Cyngar aufsuchen. Bruder Meurig halt sich auch in der Abtei auf. Ah . Das habe ich ganz vergessen. Mit den Adligen und den Monchen hier konnt ihr in der Sprache von Eireann reden oder auch auf Griechisch, Latein und Hebraisch. Die gewohnlichen Leute sprechen jedoch nur die Sprache der Kymren. Ihr werdet einen Dolmetscher brauchen.«

»Fur mich stellt eure Sprache keine Schwierigkeit dar«, erwiderte Fidelma nun auf Kymrisch, der Sprache der keltischen Waliser. »Ich habe mein Noviziat mit Nonnen aus dem Konigreich von Gwynedd verbracht und so manches von ihnen gelernt. Doch was eure Rechtssprache betrifft, werde ich einiges nicht verstehen, auch wenn ich mich bemuhe.«

Eadulf wurde nicht weiter gefragt, ob er Kymrisch verstand. So behielt er fur sich, da? er die Sprache zu einem gewissen Grad beherrschte.

»Dann gibt es fur eure Arbeit ja keine weiteren Hindernisse«, sagte Abt Tryffin erfreut. »Bruder Meurig wird euch weiterhelfen, wenn ihr Schwierigkeiten habt.«

»Dafur sind wir dir dankbar«, entgegnete Fidelma.

»Dann wollen wir speisen gehen.«

Kapitel 4

Es war kalt, aber es lag kein Reif auf dem Boden, als die drei Pferde durch die Tore der Abtei Dewi Sant trabten. Sie liefen hintereinander, angefuhrt von einer gro?en grauen Stute. Bruder Meurig ritt in zugigem Tempo voran, ihm folgten Schwester Fidelma und Bruder Eadulf auf feurigen kurzbeinigen Pferden. Es waren alles kraftige Tiere. Gegen die eisige Morgenkalte hatte sich Meurig einen weiten Umhang umgelegt, fast von gleicher Farbe wie sein Pferd. Auch seine Begleiter waren in dicke Wollumhange gehullt.

Abt Tryffin hatte zuvor einen Mann in Bruder Rhodris Hospiz in Porth Clais geschickt, um die Reisetaschen von Fidelma und Eadulf zu holen. Sie hatten unterdessen Gelegenheit gehabt, Bruder Cyngar zu fragen, was er in Llanpadern angetroffen hatte, so da? sie, da Bruder Meurig beim ersten Tageslicht mit ihnen aufbrechen wollte, inzwischen von Bruder Cyngar alle Informationen erhalten hatten.

Fidelma und Eadulf waren beide beeindruckt von der ernsten und umsichtigen Art Bruder Cyngars. Zwar erfuhren sie von ihm kaum mehr, als sie bereits von Abt Tryffin wu?ten. Aber Bruder Cyngar hatte ein ausgesprochen gutes Auge fur Details.

Er war weit davon entfernt, den Vorfall auf Hexerei oder das Bose an sich zuruckzufuhren, aber er akzeptierte den Gedanken, da? etwas, das nicht auf naturliche Weise zu erklaren war, eher ubernaturlichen

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