»Womit drohst du mir, Alte?« sagte sie schroff.

»Ich drohe dir nicht, Lady«, kicherte das alte Weib. »Ich warne dich blo?. In dem dusteren Palast da oben hat sich der Tod eingenistet. Der Tod ereilt alle, die da reingehen. Verla? diesen elenden Ort, wenn dir dein Leben lieb ist!«

Ein plotzlicher Blitz und rollender Donner lenkten Fidelma fur einen Moment ab, denn sie mu?te ihr unruhiges Pferd zugeln. Als sie sich wieder umwandte, war die Alte verschwunden. Fidelma pre?te die Lippen zusammen und zuckte die Achseln. Dann lenkte sie ihr Pferd den Pfad entlang zum Tor des Palasts der Konige von Muman. Noch zweimal wurde sie von Wachen angerufen, und auf ihre Antwort hin gaben die Krieger respektvoll den Weg frei.

Ein Stallbursche lief herbei und nahm ihr das Pferd ab, nachdem sie schlie?lich in dem steingepflasterten Hof abgestiegen war. Ihn erleuchteten schimmernde Laternen, deren Licht im Winde geheimnisvoll tanzte. Fidelma strich noch rasch dem Pferd uber die Nustern und ergriff ihre Satteltasche, dann eilte sie der Haupttur des Gebaudes zu. Sie offnete sich vor ihr, noch bevor sie anklopfen konnte.

Sie betrat eine weite Halle, die von einem lodernden Feuer im Mittelkamin erwarmt wurde, der fast so gro? war wie ein kleines Zimmer. In der Halle befanden sich mehrere Leute, die sich nach ihr umwandten und untereinander flusterten. Ein Diener kam herbei, nahm ihr die Tasche ab und half ihr aus dem Reisemantel. Sie warf das regendurchweichte Kleidungsstuck von den Schultern und ging eilig zum Feuer, um sich zu erwarmen. Der Diener erklarte ihr, ein anderer bringe Colgu die Nachricht, da? sie eingetroffen sei.

Unter den Leuten, die in der gro?en Halle des Palastes herumstanden und ihre durchna?te Gestalt neugierig musterten, fand Fidelma nicht ein freundliches, vertrautes Gesicht. Es herrschte eine Atmosphare gezwungener Feierlichkeit. Ja, sie meinte eine gewisse Melancholie, sogar Feindseligkeit zu spuren. Ein duster dreinblickender Monch stand mit wie zum Gebet gefalteten Handen neben dem Feuer.

»Gott schenke dir einen guten Tag, Bruder«, gru?te Fidelma ihn lachelnd in dem Versuch, ein Gesprach anzuknupfen. »Warum sieht man hier so viele lange Gesichter?«

Der Monch wandte sich um und starrte sie an, wobei seine Miene noch kummervoller wurde.

»Du erwartest doch wohl keine Lustbarkeiten in einer Zeit wie dieser, Schwester?« erwiderte er tadelnd und wandte sich ab, ehe sie eine Erklarung verlangen konnte.

Fidelma war einen Moment verblufft, dann sah sie sich nach einer gesprachigeren Person um.

Sie bemerkte, da? ein Mann mit einem spitzen Gesicht sie arrogant anstarrte. Als sie seinem hochmutig prufenden Blick begegnete, kam ihr eine Erinnerung. Bevor sie sie aussprechen konnte, kam der Mann auf sie zu.

»Aha, Fidelma von Kildare«, sagte er mit sproder Stimme und ohne Warme, »also hat wohl dein Bruder Colgu dich kommen lassen?«

Fidelma war uberrascht von seinem unfreundlichen Ton, doch antwortete sie mit einem Lacheln, als sie den Mann erkannte.

»Ich begru?e dich als Forbassach, Brehon des Konigs von Laigin. Was machst du so weit von Fearna entfernt?«

Der Mann erwiderte ihr Lacheln nicht.

»Du hast ein gutes Gedachtnis, Schwester Fidelma. Ich habe von deinen Taten am Hofe des Konigs Oswy von Northumbrien gehort und von dem Dienst, den du in Rom geleistet hast. Aber in diesem Konigreich wird dir dein Talent nichts nutzen. An dem Urteil wird deine beruhmte Schlauheit nichts andern konnen.«

Fidelma merkte, wie ihr Lacheln einfror. Es war ihr, als sei sie in einer fremden Sprache angeredet worden. Brehon Morann von Tara hatte sie ermahnt, da? ein guter Anwalt niemals seinen Gegner erraten lasse, was er denke, und Forbassach gab ihr deutlich zu verstehen, da? er ihr Gegner sei, doch in welcher Hinsicht, das war ihr nicht klar.

»Ich bin sicher, Forbassach von Fearna, da? deine Worte einen tiefen Sinn haben, nur verstehe ich ihn nicht«, antwortete sie langsam und deutete wieder ein Lacheln an.

Forbassachs Gesicht rotete sich.

»Wirst du unverschamt, Schwester? Du bist Colgus leibliche Schwester, und doch tust du so, als ob ...«

»Verzeihung, Forbassach.«

Eine ruhige mannliche Stimme unterbrach den aufsteigenden Zorn in der Stimme des Brehons.

Fidelma blickte auf. Neben ihr stand ein junger Mann ungefahr in ihrem Alter. Er war hochgewachsen, fast sechs Fu? gro?, und trug Kriegertracht. Er war glattrasiert, hatte welliges dunkles Haar und schien auf den ersten Blick auf eine rauhe Art hubsch zu sein. Seine Zuge waren angenehm und anziehend. Sie hatte keine Zeit, ihn genauer zu betrachten. Sie bemerkte, da? er einen Halsreifen von gedrehtem Gold mit reichen Verzierungen trug, der ihn als Mitglied des Ordens vom Goldenen Halsreifen auswies, der ausgewahlten Leibgarde der Konige von Muman. Er wandte sich mit einem freundlichen Lacheln an sie.

»Verzeihung, Schwester Fidelma. Ich habe den Auftrag, dich in Cashel willkommen zu hei?en und dich sofort zu deinem Bruder zu fuhren. Wenn du so gut sein wurdest, mir zu folgen .?«

Sie zogerte, doch Forbassach hatte sich grollend einer kleinen Gruppe zugewandt, die murmelnd zusammenstand und Blicke in ihre Richtung warf. Fidelma war ratlos. Doch sie ging daruber hinweg, folgte dem jungen Krieger durch die Halle und beeilte sich, um mit seinem ruhigen, aber ausladenden Schritt mitzuhalten.

»Das verstehe ich nicht, Krieger.« Sie keuchte ein wenig im Bestreben, neben ihm zu bleiben. »Was tut Forbassach von Fearna hier? Weshalb ist er so verargert?«

Der Krieger gab einen Laut von sich, der sehr einem verachtlichen Schnaufen ahnelte.

»Forbassach ist der Gesandte des neuen Konigs von Laigin, des jungen Fianamail.«

»Das erklart weder seine unfreundliche Begru?ung noch die Tatsache, da? alle so trubsinnig sind. Cashel war fruher immer ein Palast, den Lachen erfullte.«

Der Krieger wirkte verlegen.

»Dein Bruder wird dir erklaren, wie es steht, Schwester.«

Er erreichte eine Tur, doch bevor er klopfen konnte, wurde sie von innen aufgerissen.

»Fidelma!«

Ein junger Mann kam eilig aus der Tur heraus. Schon ein fluchtiger Blick verriet, da? er und Fidelma verwandt waren. Sie waren von dem gleichen hohen Wuchs, hatten das gleiche rote Haar und die wandelbaren grunen Augen, und sie besa?en die gleiche Gesichtsstruktur und Bewegungshaltung.

Bruder und Schwester umarmten sich herzlich. Atemlos hielten sie sich dann auf Armeslange und betrachteten einander prufend.

»Die Jahre sind gut zu dir gewesen, Fidelma«, stellte Colgu mit Befriedigung fest.

»Auch zu dir, Bruder. Ich machte mir Sorgen, als ich deine Botschaft erhielt. Es sind viele Jahre vergangen, seit ich zuletzt in Cashel war. Ich furchtete, dir konnte ein Ungluck zugesto?en sein. Aber du siehst gesund und munter aus. Doch diese Leute in der gro?en Halle, weshalb sind sie so duster und melancholisch?«

Colgu mac Failbe Fland zog seine Schwester in das Zimmer und wandte sich zu dem hochgewachsenen Krieger um: »Ich lasse dich spater holen, Cass«, sagte er, ehe er die Tur schlo?. Sie befanden sich in einem Empfangsraum, in einer Ecke glomm ein Feuer. Ein Diener trat mit einem Tablett auf sie zu, auf dem zwei Becher mit Gluhwein standen. Leichter Dampf stieg von dem hei?en Getrank auf. Der Diener stellte das Tablett auf den Tisch und zog sich unauffallig zuruck, wahrend Colgu Fidelma zu einem Stuhl vor dem Feuer fuhrte.

»Warme dich auf nach dem langen Ritt von Kildare«, meinte er, wahrend drau?en nach wie vor der Donner rollte. »Der Tag ist immer noch zornig auf sich selbst«, schlo? er, nahm einen Becher mit Gluhwein und reichte ihn seiner Schwester.

Fidelma lachelte schelmisch, als sie den Becher hob.

»So ist es. Aber trinken wir auf kunftige bessere Tage.«

»Dazu sage ich >amen<, kleine Schwester«, stimmte Colgu ihr zu.

Fidelma kostete genie?erisch den Wein.

»Es gibt viel zu besprechen, Bruder«, sagte sie. »Viel ist geschehen, seit wir uns zuletzt gesehen haben. Ich bin viel gereist, nach der Insel Colmcille, ins Land der Angelsachsen und sogar nach Rom.« Sie hielt inne, weil sie merkte, da? er sie etwas nachdenklich und besorgt ansah. »Aber du hast meine Frage noch nicht beantwortet. Warum herrscht eine so melancholische Stimmung im Palast?«

Ihr Bruder runzelte die Stirn.

»Du hast schon immer scharf beobachtet, kleine Schwester«, seufzte er.

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