Pencey schwätzten nur von mit Mädchen schlafen - so wie Ackley zum Beispiel -, aber bei Stradlater war es kein Geschwätz. Ich kannte selber mindestens zwei Mädchen, mit denen er's gemacht hatte. Das ist die reine Wahrheit.

«Erzähl mir die Geschichte deines faszinierenden Lebens, Kleiner», sagte ich.

«Könntest du vielleicht das verfluchte Licht ausdrehen? Ich muß morgen früh in die Messe.»

Ich stand auf und drehte es aus, um zu seinem Glück beizutragen. Dann legte ich mich wieder auf Elys Bett.

«Was willst du weiter tun - in Elys Bett schlafen?» fragte Ackley. Er war der vollendete Gastgeber, wahrhaftig.

«Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Mach dir keine Sorgen.»

«Ich mach mir keine Sorgen. Es wäre mir nur verdammt unangenehm, wenn Ely plötzlich käme und fände in seinem Bett einen -»

«Beruhige dich. Ich werde nicht hier schlafen. Ich möchte deine verdammte Gastfreundschaft nicht ausnützen.»

Ein paar Minuten später schnarchte er schon aus Leibeskräften. Ich lag im Dunkeln und versuchte, nicht an Jane und Stradlater in dem verdammten Auto zu denken. Aber das war fast unmöglich. Ich kannte Stradlaters Methoden leider zu gut. Einmal hatten wir zu viert in Ed Bankys Auto gesessen. Stradlater mit seinem Mädchen im Fond und ich vorne mit meinem. Was dieser Mensch für eine Technik hatte! Erst fing er an, ihr zu schmeicheln, mit einer ruhigen, aufrichtigen Stimme -so, als ob er nicht nur ein besonders hübscher Bursche wäre, sondern auch ein netter, aufrichtiger Bursche.

Mir wurde schlecht, nur vom Zuhören. Das Mädchen sagte immer wieder: «Nein - bitte nicht. Bitte nicht so. Bitte.» Aber er redete immer weiter mit dieser ruhigen, aufrichtigen AbrahamLincoln-Stimme auf sie ein, und schließlich war nur noch eine fürchterliche Stille hinten im Wagen. Es war wirklich schlimm. Er hat es wohl damals nicht mit dem Mädchen gemacht, aber es war nah dran. Verdammt nah.

Während ich dalag und nichts zu denken versuchte, kam Stradlater vom Waschraum zurück und ging in unser Zimmer. Man konnte deutlich hören, wie er sein Toilettenzeug weglegte und das Fenster aufmachte. Er war ein Frischluftfanatiker. Kurz darauf drehte er das Licht aus. Er kümmerte sich überhaupt nicht darum, wo ich war.

Sogar draußen auf der Straße war es deprimierend. Man hörte kein einziges Auto mehr. Mir war so einsam und elend zumut, daß ich sogar Ackley gern geweckt hätte.

«He, Ackley», flüsterte ich, damit Stradlater mich nicht durch die Vorhänge vom Duschraum hörte. Aber Ackley wachte nicht auf.

«He, Ackley!» Er hörte mich immer noch nicht. Er schlief wie ein Fels.

«He, Ackley!» - Das weckte ihn endlich.

«Was ist jetzt wieder los?» fragte er. «Ich hab geschlafen, verflucht noch mal.»

«Du, was muß man eigentlich tun, um ins Kloster zu gehen?» fragte ich. Ich spielte nämlich mit diesem Gedanken. «Muß man dafür katholisch sein und so weiter?»

«Natürlich muß man katholisch sein. Du Idiot, hast du mich mir geweckt, um blöde Fragen-»

«Ach, schlaf nur weiter. Ich geh ohnedies in keins. Bei dem Pech, das ich immer habe, käme ich wahrscheinlich in eins, wo nur die verkehrte Sorte von Mönchen ist. Lauter gemeine Esel. Jedenfalls Esel.»

Als ich das sagte, fuhr Ackley in seinem Bett in die Höhe. «Hör mal», sagte er, «über mich oder sonst etwas kannst du sagen, was du willst, aber wenn du anfängst, über meine verdammte Religion zu -»

«Reg dich nicht auf. Kein Mensch sagt etwas gegen deine verdammte Religion.» Ich stand auf und ging zur Tür. Ich wollte nicht mehr in dieser blöden Atmosphäre sein. Unterwegs blieb ich stehen, nahm Ackleys Hand und drückte sie mit gespielter Herzlichkeit. Er zog sie weg. «Was soll das bedeuten?» fragte er.

«Nichts. Ich möchte dir nur dafür danken, daß du so ein gottverdammter Prinz bist, das ist alles», sagte ich betont treuherzig. Du bist ein Prachtmensch, kleiner Ackley, weißt du das?»

«Wie geistreich. Einmal wird dir jemand eine ordentliche Tracht-»

Ich hielt mich nicht damit auf, ihm zuzuhören. Ich machte die blöde Tür hinter mir zu und stand im Gang.

Alle schliefen oder waren ausgegangen oder übers Wochenende heimgefahren, und es war totenstill und niederdrückend im Gang. Vor Leahys und Hoffmanns Zimmer lag die leere Umhüllung einer Kolynos-Tube, und ich gab ihr ein paar Tritte mit meinen pelzgefütterten Pantoffeln, während ich auf die Treppe zu ging. Ich dachte, ich könnte unten nachsehen, was Brossard machte. Aber plötzlich änderte ich diese Absicht. Ganz plötzlich beschloß ich, von Pencey wegzugehen - jetzt sofort, mitten in der Nacht, und nicht noch bis Mittwoch zu warten. Ich hatte einfach keine Lust mehr, noch länger da herumzuhängen. Es machte mich viel zu traurig und einsam. Ich wollte in New York in ein Hotel gehen - in irgendein billiges Hotel - und mich bis Mittwoch erholen. Am Mittwoch wollte ich dann ausgeruht und frisch bei Kräften heimgehen. Wahrscheinlich bekamen meine Eltern erst am Dienstag oder Mittwoch Thurmers Nachricht, daß ich geflogen war. Ich wollte nicht heimkommen, bevor sie den Brief gelesen und verdaut hatten. Ich wollte nicht im ersten Augenblick schon dabeisein. Meine Mutter kann sich sehr hysterisch benehmen. Wenn sie etwas erst einmal richtig verdaut hat, ist sie zwar gar nicht so übel. Außerdem hatte ich ein bißchen Ferien nötig. Ich war mit meinen Nerven vollkommen runter, ganz im Ernst.

Ich entschloß mich also, wegzugehen, ging in unser Zimmer zurück und machte Licht, um meine Sachen zu packen. Das meiste hatte ich schon gepackt. Stradlater wachte nicht einmal auf. Ich rauchte eine Zigarette und zog mich an und packte dann meine beiden Handkoffer. Das dauerte nur zwei Minuten. Ich kann sehr rasch packen.

Ein einziger Punkt deprimierte mich dabei. Nämlich die neuen Schlittschuhe, die mir meine Mutter erst vor ein paar Tagen geschickt hatte. Das bedrückte mich wirklich. Ich stellte mir vor, wie meine Mutter zu Spauldings gegangen war und dem Verkäufer einen Haufen törichte Fragen gestellt hatte, und jetzt flog ich schon wieder von dieser Schule. Das machte mich traurig. Sie hatte mir die verkehrten Schlittschuhe gekauft - ich wollte Rennschlittschuhe, und die hier waren für Hockey -, aber es machte mich trotzdem traurig. Fast jedesmal, wenn mir jemand etwas schenkt, endet es damit, daß ich traurig werde.

Als ich gepackt hatte, zählte ich mein Geld. Ich erinnere mich nicht mehr genau, wieviel es war, aber jedenfalls ziemlich viel. Meine Großmutter hatte mir gerade vor einer Woche einen Haufen geschickt. Sie geht sehr großzügig damit um. Sie hat nicht mehr alle Tassen im Schrank - sie ist alt wie ich weiß nicht was - und schenkt mir mindestens viermal im Jahr Geld zum Geburtstag. Aber obwohl ich also reichlich versehen war, dachte ich, ein paar Dollar mehr könnten nichts schaden.

Man weiß nie. Deshalb ging ich zu Frederick Woodruff hinunter, dem ich meine Schreibmaschine geliehen hatte. Ich weckte ihn und fragte, wieviel er mir für diese Maschine zahlen würde. Er war sehr reich. Er sagte, er könne das jetzt nicht entscheiden. Er wolle sie eigentlich gar nicht kaufen.

Schließlich kaufte er sie doch. Sie hatte gegen neunzig Dollar gekostet, und er

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