seine Brust, und das ganze Zimmer roch nach Grippe und Vicks' Nasentropfen. «Machen Sie sich keine Sorgen um mich, Sir», sagte ich. «Wirklich nicht. Ich komme schon weiter. Ich mache jetzt einfach so eine Phase durch. Jedermann macht doch Phasen durch, nicht?»

«Ich weiß nicht, Junge. Ich weiß nicht.»

Ich kann es nicht leiden, wenn jemand auf diese Art antwortet. «Doch, sicher. Ganz sicher geht das allen so», sagte ich. «Ich meine es ganz im Ernst, Sir. Bitte machen Sie sich

keine Sorgen um mich.» Ich legte ihm sozusagen die Hand auf die Schulter. «O. K.?» sagte ich.

«Möchtest du nicht eine Tasse Schokolade, bevor du gehst? Mrs. Spencer würde gern -»

«Ich würde gern bleiben, wirklich, aber ich muß jetzt gehen. Ich muß sofort in die Turnhalle. Aber vielen Dank. Vielen Dank, Sir.»

Dann gaben wir uns die Hand und so weiter, der übliche Mist. Aber es machte mich verdammt traurig.

«Ich werde Ihnen schreiben, Sir. Pflegen Sie jetzt Ihre Grippe.»

«Auf Wiedersehen, Junge.»

Als ich die Tür hinter mir zugemacht hatte und zum Wohnzimmer zurückging, rief er mir etwas nach, aber ich konnte es nicht verstehen. Ich bin ziemlich sicher, daß er mir «Viel Glück!» nachschrie.

Hoffentlich nicht. Hoffentlich täusche ich mich. Ich würde nie jemandem «Viel Glück!» nachschreien. Es klingt fürchterlich, wenn man richtig darüber nachdenkt.

3

Ich bin der größte Lügner, den man sich denken kann. Schrecklich. Sogar, wenn ich unterwegs bin, um mir ein Magazin zu kaufen, und mich jemand fragt, wohin ich gehe, bin ich imstand, zu antworten, ich ginge in die Oper. Fürchterlich. Als ich Spencer sagte, ich müßte in der Turnhalle meine Habseligkeiten holen, war das auch eine reine Lüge. Ich habe meine verdammten Sachen überhaupt nie in der Turnhalle aufbewahrt.

In Pencey wohnte ich im Ossenburger-Gedächtnis-Flügel, wo die neuen Schlafräume sind. Dieser Flügel war nur für Junioren und Senioren. Ich war ein Junior und mein Zimmergenosse ein Senior.

Der Flügel war nach einem ehemaligen Schüler namens Ossenburger benannt. Lr wurde steinreich, nachdem er von Pencey fortging. Er gründete ein Begräbnisinstitut - mit Filialen in ganz Amerika -, das den Leuten ermöglichte, ihre Angehörigen für ungefähr fünf Dollar pro Stück zu bestatten. Man muß diesen Ossenburger gesehen haben, um sich das vorzustellen. Vermutlich steckt er sie in einen Sack und wirft sie ms Wasser. Immerhin stiftete er Pencey also einen Haufen Geld, und dafür wurde unser Flügel nach ihm benannt. Zum ersten Fußballmatch des Jahres erschien er in einem kolossalen Cadillac, und wir mußten auf der Tribüne alle aufstehen und Hurra brüllen. Am nächsten Morgen hielt er dann in der Kapelle eine ungefähr zehnstündige Rede. Er begann mit ungefähr fünfzig blöden Witzen, um uns zu zeigen, was für ein rechter Kerl er sei. Überwältigend.

Dann erzählte er uns, daß er sich nie schäme, wenn er in Schwierigkeiten oder so stecke, sich hinzuknien und zu Gott zu beten. Er sagte, wir sollten auch immer zu Gott beten - einfach mit ihm sprechen und so -, wo immer wir uns befänden. Er sagte, wir müßten uns Jesus als unseren Kumpel vorstellen und so. Er
selbst
spreche die ganze Zeit mit Christus, behauptete er. Sogar wenn er am Lenkrad sitze. Das gab mir den Rest. Ich kann mir diesen dicken Schwindler vorstellen, wie er in den ersten Gang schaltet und Christus bittet, ihm noch cm paar Leichname zu schicken. Das eigentlich Gute kam aber erst in der Mitte der Rede. Ossenburger erzählte uns gerade, was für ein toller Kerl er sei, was für ein Draufgänger und so, da ließ dieser Kerl, der in der Reihe vor mir saß, dieser Edgar Marsalla, diesen grandiosen Furz los. Das war natürlich unanständig in der »Kapelle und so, aber es war auch ganz lustig. Der gute Marsalla. Das Dach flog fast in die Luft. Fast keiner wagte, laut zu lachen, und der alte Ossenburger tat so, als habe er's gar nicht gehört, aber Thurmer, der Rektor, der neben Ossenburger auf dem Podium saß, dem konnte man ansehen, daß er's gehört hatte,
Junge,
der war vielleicht verbittert. Im Augenblick sagte er nichts, aber am nächsten Abend ließ er uns im Schulgebäude nachsitzen und hielt uns eine Rede. Er sagte, der Junge, der in der Kapelle die Störung verursacht habe, sei nicht würdig, in Pencey zu bleiben. Wir versuchten, den guten Marsalla dazu zu kriegen, noch mal einen direkt in Thurmers Rede fliegen zu lassen, aber er hatte gerade keinen auf der Latte.

Also, ich wohnte im Ossenburger-Gedächtnis-Flügel. Ich freute mich auf mein Zimmer, als ich vom alten Spencer zurückkam, denn die andern waren alle noch beim Fußballmatch, und ausnahmsweise war das Zimmer geheizt. Ich fand es richtig gemütlich. Ich zog meinen Mantel und die Krawatte aus und machte den Hemdkragen auf, und dann setzte ich die Mütze auf, die ich morgens in New York gekauft hatte. Es war eine rote Jagdmütze mit langem Schild. Ich hatte sie in einem Sportgeschäft im Schaufenster gesehen, als wir aus der Untergrundbahn kamen - gerade nachdem ich entdeckte, daß ich die verfluchten Floretts hatte liegenlassen. Die Mütze kostete nur einen Dollar. Ich setzte sie verkehrt herum auf - mit dem

Schild im Nacken -, idiotisch, das gebe ich zu, aber es gefiel mir am besten so. Ich sah gut darin aus. Dann nahm ich das Buch, das ich angefangen hatte, und setzte mich in meinen Sessel. In jedem Zimmer waren zwei Sessel. Jeder von uns hatte einen, mein Zimmergenosse Ward Stradlater und ich. Die Armlehnen waren in traurigem Zustand, weil sich immer alle draufsetzten, aber es waren trotzdem ganz bequeme Sessel.

Das Buch, in dem ich gerade las, hatte ich in der Bibliothek aus Versehen bekommen. Man hatte mir die falsche Nummer gegeben, und ich merkte es erst, als ich schon wieder in meinem Zimmer war.

Es hieß
Out of Afrika,
von Isak Diesen Zuerst dachte ich, es wäre zum Sterben langweilig, aber das war ein Irrtum. Es war ein sehr gutes Buch. Ich bin ganz ungebildet, aber ich lese sehr viel. Mein Lieblingsautor ist mein Bruder D.B., und dann kommt Ring Lardner. Mein Bruder schenkte mir ein Buch von Ring Lardner zum Geburtstag, gerade bevor ich nach Pencey kam. Es waren furchtbar komische, verrückte Theaterstücke dann und die Geschichte von einem Verkehrspolizisten, der sich in cm tolles Mädchen verliebt, die immer rasend schnell fährt. Aber der Polizist ist verheiratet, so daß er sie nicht heiraten kann. Dann kommt das Mädchen um, weil es immer so schnell fährt. Die Geschichte hat mich umgeworfen. Am liebsten lese ich Bücher, in denen wenigstens von Zeit zu Zeit komische Stellen sind. Ich lese auch viel klassische Bücher, Psychokrimis wie
Des Wilden Wiederkehr
und Kriegsbücher und so, aber sie machen mir keinen besonders rieten Eindruck.

Am meisten halte ich davon, wenn man nach einem Buch ganz erledigt ist und sich wünscht, daß man mit dem Autor, der es geschrieben hat, nah befreundet wäre und daß man ihn antelefonieren könnte, wenn man dazu Lust hätte. Das kommt allerdings nicht oft vor. ich hätte nichts dagegen, Isak Diesen anzurufen. Und auch Ring Lardner, wenn mir D.B. nicht gesagt hätte, daß er gestorben ist. Zum Beispiel so ein Buch wie
Des

Menschen Hörigkeit

von Somerset Maugham - das habe ich letzten Sommer gelesen. Es ist sicher ein gutes Buch und so, aber ich hätte keine Lust, Somerset Maugham anzurufen. Ich weiß nicht. Er ist einfach nicht der Typ, den ich gerne anrufen würde. Viel lieber den alten Thomas Hardy.
Eustacia Vye
gefällt nur sehr gut.

Ich setzte also meine neue Mütze auf und fing an,
Out of Afrika
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