verrückt.

Ich lief ihr aber nicht nach. Ich wußte, daß sie hinter mir hergehen würde, und machte mich deshalb auf der Parkseite auf den Weg zum Zoo, und sie ging auf der verdammten andern Straßenseite in der gleichen Richtung. Sie schaute nie zu mir herüber, aber ich merkte, daß sie mich vermutlich aus ihrem verrückten Augenwinkel beobachtete. Jedenfalls gingen wir auf diese Weise die ganze Strecke zum Zoo. Nur einmal wurde ich unruhig - als nämlich ein zweistöckiger Omnibus daherkam und ich eine Weile lang nicht mehr sehen konnte, wo zum Teufel sie war. Beim Zoo schrie ich zu ihr hinüber: «Phoebe! Ich geh in den Zoo! Komm jetzt!» Sie wollte mich nicht anschauen, aber offenbar hatte sie mich doch gehört, denn als ich mich oben an der Treppe, die zum Zoo hinunterführt, wieder nach ihr umdrehte, sah ich sie die Straße kreuzen und mir nachgehen.

Im Zoo waren nicht viele Leute, weil ziemlich schlechtes Wetter war, aber ein paar standen bei den Seelöwen am Schwimmbassin. Ich ging vorbei, aber da die gute Phoebe stehenblieb und so tat, als müßte sie die Fütterung sehen - ein Wärter warf den Seelöwen Fische zu -, drehte ich wieder um.

Ich hielt das für eine gute Gelegenheit, um wieder mit ihr ins reine zu kommen. Ich stellte mich hinter sie und legte ihr beide Hände auf die Schultern, aber sie machte eine Kniebeuge und schlüpfte mir weg - ich habe schon gesagt, daß sie sich manchmal ziemlich rotzig benehmen kann, wenn sie in der Stimmung ist. Sie blieb weiter dort stehen, während die Seelöwen gefüttert wurden, und ich stand hinter ihr. Ich legte ihr nicht mehr die Hände auf die Schultern oder so, weil sie mir sonst wirklich davongerannt wäre. Kinder sind komisch. Man muß sehr achtgeben, was man tut.

Als wir von den Seelöwen weggingen, wollte sie zwar immer noch nicht neben mir hergehen, aber sie hielt sich in weniger großer Entfernung. Sie ging auf dem einen Trottoir und ich auf dem andern.

Das war nicht überwältigend, aber doch besser als ein Kilometer Abstand wie vorher. Dann sahen wir uns auf der kleinen Anhöhe die Bären an, obwohl es da nicht viel zu sehen gab. Nur ein einziger Bär war draußen - der Eisbär. Der braune saß in seiner verdammten Höhle und wollte sich nicht zeigen. Man sah nur sein Hinterteil. Ein kleiner Junge neben mir, dem ein Cowboyhut tief über den Ohren saß, sagte fortwährend zu seinem Vater: «Mach, daß er herauskommt! Mach doch, daß er herauskommt!» Ich schaute Phoebe an, aber sie wollte nicht lachen. Kinder wollen ja nie lachen oder so, wenn sie beleidigt sind.

Nach den Bären gingen wir aus dem Zoo hinaus und kreuzten eine Straße zum Park hinüber und gingen dann durch eine Unterführung, die genau so nach Pinkel roch wie alle diese Unterführungen.

Es war der Weg zum Karussell. Phoebe wollte immer noch nicht mit mir reden, aber sie lief jetzt neben mir her. Ich griff nach dem Gürtel hinten an ihrem Mantel, einfach nur so zum Vergnügen, aber das wollte sie nicht haben. Sie sagte: «Behalt deine Hände bei dir, falls dir das möglich ist.» Sie war immer noch beleidigt. Aber nicht mehr so sehr wie vorher. Wir kamen immer näher zum Karussell, man hörte schon die blöde Musik, die offenbar dazugehört. Es war: O Marie! Das gleiche Lied hatten sie schon vor fünfzig Jahren gespielt, als ich selber noch ein Kind war. Das ist nett an den Karussells, daß sie immer dasselbe spielen.

«Ich dachte, das Karussell sei im Winter zu», sagte Phoebe. Das war das erste Mal, daß sie wirklich etwas sagte. Wahrscheinlich hatte sie vergessen, daß sie beleidigt war.

«Vielleicht wegen Weihnachten», sagte ich.

Darauf antwortete sie nicht. Wahrscheinlich war ihr wieder eingefallen, daß sie beleidigt war.

«Willst du Karussell fahren?» fragte ich. Ich wußte, daß sie sicher große Lust hatte. Als sie noch klein war und Allie und D.B. und ich sie oft in den Park mitnahmen, war sie ganz versessen darauf.

Man konnte sie kaum mehr von dem verdammten Karussell wegkriegen.

Ich hatte erwartet, daß sie nicht antworten würde, aber sie sagte: «Ich bin zu groß dafür.»

«Nein, gar nicht. Geh doch. Ich warte hier auf dich. Geh doch», sagte ich. Wir standen jetzt davor.

Ein paar Kinder saßen darauf, zum größten Teil noch sehr kleine, und ein paar Eltern warteten in der Nähe, auf den Bänken und so. Ich ging zum Schalter, wo man Karten bekommt, und kaufte eine für Phoebe. Dann gab ich sie ihr. Sie stand dicht neben mir. «Da», sagte ich. «Wart noch - da, nimm auch den Rest von deinem Geld wieder.» Dabei gab ich ihr das Geld, das sie mir geliehen hatte.

«Behalt du's. Behalt du's für mich», sagte sie. Und dann hängte sie an: «- bitte.»

Das ist deprimierend, wenn jemand «bitte» zu einem sagt. Ich meine, wenn es Phoebe oder so jemand ist. Es deprimierte mich wahnsinnig. Aber ich steckte also das Geld in die Tasche.

«Willst du nicht auch fahren?» fragte sie. Dabei schaute sie mich irgendwie komisch an. Offenbar war sie nicht mehr so beleidigt.

«Vielleicht das nächste Mal. Ich schau dir zu», sagte ich. «Hast du die Karte?»

«Ja.»

«Dann los - ich setz mich da auf die Bank. Ich schau dir zu.» Ich setzte mich auf eine Bank, und sie lief zum Karussell und stieg hinauf. Zuerst ging sie um das ganze Karussell herum. Dann wählte sie ein großes braunes, sehr abgeschabtes altes Pferd. Als das Karussell sich zu drehen anfing, sah ich ihr zu, wie sie herumfuhr. Es saßen nur fünf oder sechs andere Kinder oben, und das Karussell spielte
Smoke Gets in Your Eyes,
aber sehr auf Jazz und komisch. Die Kinder versuchten alle den goldenen Ring zu erwischen, auch Phoebe, und ich hatte manchmal Angst, daß sie von dem blöden Pferd fallen würde, aber ich sagte nichts und unternahm nichts. Wenn die Kinder den goldenen Ring erwischen wollen, muß man es sie versuchen lassen und nichts sagen. Wenn sie herunterfallen, dann fallen sie eben in Gottes Namen, aber man darf nichts zu ihnen sagen.

Als das Karussell stillstand, sprang sie von ihrem Pferd und kam zu mir.

«Fahr auch einmal», sagte sie.

«Nein, ich schau dir nur zu. Ich glaube, ich schau dir nur zu», sagte ich. Ich gab ihr wieder etwas von ihrem Geld. «Da, kauf dir noch ein paar Karten.»

Sie nahm das Geld. »Ich bin dir nicht mehr böse«, sagte sie.

»Ich weiß. Eil dich — es geht schon gleich wieder los.« Dann gab sie mir plötzlich einen Kuß. Dann streckte sie die Hand aus und sagte: »Es regnet. Es fängt an zu regnen.«

»Ich weiß.«

Dann - es warf mich fast um - griff sie in meine Manteltasche und zog meine Jagdmütze heraus und setzte sie mir auf.

»Willst
du
sie denn nicht?« »Du kannst sie eine Zeitlang tragen.« »Schön. Aber lauf jetzt schnell. Du versäumst sonst noch den Anfang. Du bekommst sonst dein Pferd nicht mehr.« Sie zögerte aber noch.

»Hast du das vorhin im Ernst gesagt? Gehst du wirklich nicht fort? Gehst du wirklich nachher heim?« fragte sie. »Ja«, sagte ich. Es war mir auch wirklich ernst. Ich hätte sie nicht angelogen. Ich bin nachher tatsächlich nach Hause gegangen.
»Schnell, los
jetzt«, sagte ich. »Das Ding geht los.«

Sie rannte weg und kaufte ihre Karte und kam gerade noch rechtzeitig auf das verdammte Karussell. Oben lief sie um das Ganze herum, bis sie wieder ihr Pferd gefunden hatte. Dann stieg sie auf und winkte, und ich winkte ihr auch. Es fing wie aus Kübeln an zu regnen.
Wirklich
aus Kübeln, das schwöre ich. Sämtliche Eltern und Mütter und alle

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