Stanislaw Lem

Der Unbesiegbare

Der schwarze Regen

Der „Unbesiegbare“, ein Raumkreuzer der schweren Klasse, das gro?te Schiff, uber das die Flottenbasis im Sternbild der Leier verfugte, durchflog mit Photonenantrieb den au?ersten Quadranten der Sterngruppe. Die dreiundachtzig Mann Besatzung schliefen im Tunnelhibernator des Zentraldecks.

Die Flugstrecke war verhaltnisma?ig kurz, deshalb hatte man auf vollstandige Hibernation verzichtet und lediglich den Tiefschlaf angewandt, bei dem die Korpertemperatur nicht unter zehn Grad absinkt. In der Steuerzentrale arbeiteten nur die Automaten. Im Fadenkreuz der Orientierungsanlage hing die Scheibe der Sonne, die nicht viel hei?er war als ein gewohnlicher, roter Zwergstern. Als sie die halbe Bildschirmbreite einnahm, wurde die Annihilation unterbrochen.

Eine Weile war es im ganzen Raumschiff totenstill.

Die Klimaanlagen und die Rechenmaschinen arbeiteten lautlos. Die leichte Vibration horte auf, die Begleiterscheinung des Photonenstrahls, der vordem aus dem Heck gedrungen war und wie ein endlos langer, in Dunkel gehullter Degen das Raumschiff vorwartsgesto?en hatte. Der „Unbesiegbare“ flog noch immer nahezu mit Lichtgeschwindigkeit dahin, starr, taub und scheinbar ohne Leben an Bord.

An den Steuerpulten, die im rotlichen Schein der fernen, auf dem zentralen Bildschirm sichtbaren Sonne schimmerten, blinzelten die Lampchen einander zu. Die Magnettonbander setzten sich in Bewegung, gemachlich krochen die programmierten Codestreifen in die Eingabe immer anderer Apparate, die Umschalter spruhten Funken, und der Strom flo? mit einem Summen in die Leitungen, das niemand vernahm. Die Elektromotoren uberwanden den Widerstand der Reste langst eingetrockneten Schmierols, liefen an und wechselten von tiefem Drohnen zu hohem Stohnen uber. Mattierte Kadmiumstabe schoben sich aus den Hilfsreaktoren hervor, die magnetischen Pumpen pre?ten flussiges Natrium in die Kuhlschlangen, durch das Heck lief ein Zittern, und zugleich verriet ein schwaches Rasseln im Wandinnern es war, als trieben dort ganze Schwarme winziger Tierchen ihr Unwesen und scharrten mit ihren Krallen am Metall, da? sich die Reparaturautomaten auf ihre viele Kilometer lange Wanderung begeben hatten, um die Festigkeit der Gerustverstrebungen, die Undurchlassigkeit des Raketenrumpfes und die Haltbarkeit der Schwei?nahte zu uberprufen. Das ganze Schiff, voll von Gerausch und Bewegung, erwachte — nur die Besatzung schlief noch.

Schlie?lich schluckte der letzte Automat seinen Codestreifen und sandte Signale in die Hibernatorzentrale. In den kalten Luftstrom mischte sich Weckgas. Aus den Fu?bodengittern zwischen den Kojenreihen blies ein warmer Wind. Doch die Schlafer wollten anscheinend noch immer nicht aufwachen. Einige bewegten kraftlos die Arme, Fieberphantasien und Alptraume drangten sich in die Leere ihres eisigen Schlafes. Endlich offnete der erste die Augen. Das Schiff war darauf vorbereitet. Seit wenigen Minuten vertrieb kunstliches, wei?es Tageslicht die Dunkelheit aus den langen Deckkorridoren, den Aufzugsschachten, den Kajuten, der Steuerzentrale, den Arbeitskabinen und den Schleusenkammern.

Und wahrend der Hibernator von Seufzen und schlaftrunkenem Stohnen widerhallte, leitete das Raumschiff das erste Bremsmanover ein, als konnte es das endgultige Erwachen der Besatzung nicht erwarten. Auf dem zentralen Bildschirm flammten die feurigen Garben der Bugdusen auf. Eine Erschutterung zerri? plotzlich das bisher starre Gleichma? der Lichtgeschwindigkeit. Die gewaltige Gegenkraft, die von den Bugdusen ausging, suchte die achtzehntausend Tonnen Ruhemasse des „Unbesiegbaren“, die nun sogar mit der riesigen Eigengeschwindigkeit vervielfaltigt war, zu zermalmen. In den Kartenraumen schaukelten die hermetisch verpackten Karten unruhig an ihren Rollen. Hier und da bewegten sich mangelhaft befestigte Gegenstande, als waren sie lebendig. In den Kombusen stie?en klirrend Gefa?e aneinander, die Lehnen der leeren Schaumgummisessel bebten, die Sicherheitsgurte und die Wandseile der Decks pendelten hin und her. Gerausche von Glas, Blech und Kunststoff vermischten sich, wie eine Welle pflanzte sich das Klopfen vom Bug bis zum Heck fort. Aus dem Hibernator drang Stimmengewirr. Nach einem kurzen Ubergangsschlaf kehrten die Manner aus dem Nichts, in dem sie sieben Monate geweilt hatten, in die Wirklichkeit zuruck.

Das Raumschiff verlor an Geschwindigkeit. Der in rotes Gewolk gehullte Planet verdeckte die Sterne. Immer langsamer glitt ein Ozean vorbei, in dem sich das Sonnenlicht wie in einem gewolbten Spiegel brach. Kraterubersat trat ein braunlicher Kontinent hervor. Die Manner an ihren Platzen sahen nichts davon. Tief unter ihnen, in den Titankammern des Triebwerks, drohnte ein gedampftes Tosen, eine riesige Last zog ihnen die Finger von den Hebeln. In den Bereich des Bremsstrahls geriet eine Wolke, glanzte wei?lich auf wie bei einer Quecksilberexplosion, zerfiel und war verschwunden. Einen Augenblick schwoll das Triebwerkgeheul an. Die rotliche Scheibe in der Tiefe wurde flach: So verwandelt sich ein Planet in ein Festland. Nun hoben sich bereits sichelformige Dunen ab, uber die der Wind hinwegfegte. Lavastrange, die von einem nahe gelegenen Krater auseinanderliefen wie Radspeichen, warfen den Feuerschein aus den Raketendusen lodernd zuruck, so da? er das Sonnenlicht uberstrahlte.

„Mittelachse — volle Kraft! Statischer Antrieb!“

Die Zeiger ruckten trage in den nachsten Sektor der Me?skala vor, das Manover lief reibungslos ab. Wie ein kopfstehender, feuerspeiender Vulkan hing das Raumschiff eine halbe Meile hoch uber der zernarbten Planetenoberflache mit den versandeten Felsrucken.

„Mittelachse — volle Kraft! Bremst statischen Antrieb!“

Nun war bereits zu erkennen, wo der Bremsstrahl auf den Boden traf. Eine rote Sandwolke stieg dort auf. Vom Heck zuckten violette Blitze, scheinbar lautlos, denn das Donnern ging im Brullen der Gase unter. Allmahlich glich sich die Potentialdifferenz aus, die Blitze verschwanden.

Eine Trennwand achzte. Mit einer Kopfbewegung bedeutete der Kommandant dem Ingenieur: Fremdschwingung, mu? beseitigt werden. Aber keiner reagierte. Die Triebwerke heulten auf, und ohne jegliche Erschutterung, wie ein von unsichtbaren Seilen gehaltener Stahlberg, senkte sich das Raumschiff.

„Mittelachse — halbe Kraft! Kleiner statischer Antrieb!“

Rauchende Sandwolken, hoch wie Meereswogen, jagten in konzentrischen Kreisen davon. Das Epizentrum, das aus geringer Entfernung von dem gebundelten Feuerstrahl getroffen wurde, rauchte nicht mehr. Der Sand war verschwunden.

Aus einem roten, blasigen Spiegel hatte er sich in einen siedenden See geschmolzener Silikate verwandelt und war schlie?lich in einer Saule kreischender Explosionen verdampft. Das Urgestein des Planeten, nackt wie fleischloses Gebein, wurde weich.

„Reaktoren auf Leerlauf! Kalter Antrieb!“

Das leuchtende Blau des Atomfeuers erlosch. Aus den Dusen spruhte in schragem Strahl Borwasserstoff, und mit einemmal uberflutete ein gespenstisches Grun Wuste, Kraterwande und Wolken. Der Basaltgrund, auf dem das breite Heck des „Unbesiegbaren“ aufsetzen sollte, wurde nun nicht mehr schmelzen.

„Reaktoren auf Null. Mit kaltem Antrieb Landung!“

Aller Herzen schlugen schneller, die Blicke wandten sich den Instrumenten zu, schwitzende Finger krampften sich um die Hebel. Die letzten Worte bedeuteten, da? es kein Zuruck gab, da? man den Fu? auf festen Boden setzen wurde, und sei es auch nur auf den Sand eines oden Planeten.

Immerhin war dort ein Sonnenaufgang und ein Sonnenuntergang, ein Horizont, Wolken und Wind.

„Punktlandung im Nadir!“

Anhaltendes Stohnen fullte das Schiff: Die Turbinen pre?ten den Kraftstoff nach unten. Eine kegelformige, grune Feuersaule verband es mit dem rauchenden Felsen.

Ringsum verschleierten Sandwolken die Periskope der Mitteldecks. Nur auf den Radarschirmen in der Steuerzentrale erschienen und erloschen in standigem Wechsel die Umrisse einer im Chaos des Taifuns verschwindenden Landschaft.

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