gewonnen, dass sie Fortyfoot House nicht sehr mochte, auch wenn sie immer und immer wieder erklart hatte, wie sehr sie es vermisse.

Ich offnete vorsichtig die Schlafzimmertur, um Danny nicht aufzuwecken, der im Zimmer nebenan schlief, dann schlich ich leise durch den schmalen Flur im Obergeschoss. Egal, wo ich hinsah, uberall entdeckte ich etwas, das fur mich Arbeit bedeutete. Feuchtigkeit hatte auf der blassgrunen Tapete gro?e Flecken hinterlassen, die Deckenfarbe schalte sich ab, die Fensterbretter waren verrottet. Die Heizkorper waren undicht, die Ventile mit Kalk uberzogen. Das gesamte Haus roch verwahrlost.

Ich erreichte die oberste Stufe der steilen, schmalen Treppe und wollte gerade nach unten gehen, als ich das Schlurfen erneut horte - es war mehr ein Huschen als ein Schlurfen. Ich zogerte. Es klang so, als komme das Gerausch vom Dachboden. Nicht vom Dachvorsprung, was ich erwartet hatte, wenn es nistende Vogel gewesen waren. Sondern von der Mitte des Dachbodens, fast so, als habe sich etwas diagonal uber den Fu?boden bewegt.

Eichhornchen, dachte ich. Ich hasse Eichhornchen. Sie sind so zerstorerisch, und sie essen ihre Jungen auf. Vermutlich hatten sie den gesamten Dachboden ubernommen und ihn zu einem riesigen stinkenden Eichhornchenreich gemacht.

Neben dem Treppenabsatz gab es eine kleine mit Tapete beklebte Tur, die nicht direkt ins Auge fiel. Mrs. Tarrant hatte mir gesagt, dass dies der einzige Zugang zum Dachboden sei, auf dem sie auch nur wenige Mobelstucke eingelagert hatten.

Ich offnete die Tur und spahte hinein. Der Speicher war stockfinster, und der Luftzug wehte mir von Trockenfaule gepragte, stickige Luft entgegen. Ich horchte, konnte aber nur den Wind horen, der sich unter den Dachziegeln fing. Das Kratzen war wieder verstummt.

In der Nahe der Tur ertastete ich einen altmodischen braunen Lichtschalter, doch egal, wie oft ich ihn betatigte, es passierte nichts. Entweder war die Gluhbirne durchgebrannt oder die Leitungen waren verrostet. Vielleicht hatten auch die Eichhornchen die Kabel durchgebissen. Am gegenuberliegenden Treppenabsatz sah ich einen gro?en Spiegel, den ich so ausrichtete, dass er das wenige Sonnenlicht des fruhen Morgens reflektierte und wenigstens die ersten Stufen der auf den Dachboden fuhrenden Treppe schwach beleuchtete. Ich fand, dass es eine recht gute Idee war, mich zumindest einmal schnell umsehen, damit ich wusste, mit wem oder was ich es zu tun hatte. Ich hasse Eichhornchen, aber sie sind mir immer noch lieber als Ratten.

Ich zog den Teppich aus dem Flur heruber, damit er die Tur zum Speicher daran hinderte, hinter mir zuzufallen, dann betrat ich vorsichtig die ersten drei Stufen. Sie waren extrem steil und mit dickem braunen Filz belegt, wie ich ihn seit zwanzig Jahren bestimmt nirgends mehr gesehen hatte. Der Luftzug wehte mir bestandig entgegen, aber es war keine frische Luft, eher wie verbrauchter Atem, so als atme der Dachboden aus.

Auf der vierten Stufe hielt ich kurz inne, um wieder zu horchen, gleichzeitig konnten sich meine Augen an den schwachen Lichtschein gewohnen. Es uberraschte mich, dass zwischen den Dachziegeln kein einziger Lichtstrahl hindurchdrang. Offenbar befand sich das Dach noch immer in gutem Zustand. Das bleiche Licht, das der Spiegel reflektierte, war keine gro?e Hilfe, aber ich konnte immerhin einige Umrisse auf dem Dachboden ausmachen. Etwas, das aussah wie ein Sessel. Etwas, das aussah wie ein kleiner Schreibtisch. Im Winkel zwischen Fu?boden und Dach etwas, bei dem es sich um einen Berg alter Kleidung handeln mochte, das aber ebenso gut ein sonderbar geformtes Mobelstuck unter einem Laken sein konnte.

Es hing Trockenfaule in der Luft. Das roch ich. Aber es war auch noch ein anderer Geruch da. Ein schwacher su?licher Geruch wie der von Gas oder von einem verwesenden Vogel, der sich in einem Kamin verfangen hatte. Ich konnte nicht sagen, was es war, aber zumindest, dass ich diesen Geruch nicht mochte. Ich beschloss, spater noch einmal mit einer Taschenlampe hierher zu kommen, um der Sache auf den Grund zu gehen.

Gerade wollte ich wieder nach unten gehen, als ich erneut das Scharren horte. Es kam aus der Ecke, die am weitesten von mir entfernt und wo der Dachboden am dunkelsten war. Hier oben war das Gerausch schwerer, es hatte mehr Substanz - nicht das, was ein Eichhornchen oder ein Vogel verursachen wurde. Es lie? eher an einen gro?en Kater oder eine sehr gro?e Ratte denken oder sogar an einen Hund. Allerdings konnte ich mir nicht vorstellen, wie ein Hund auf den Dachboden hatte gelangen sollen.

»Pssssssttt!«, zischte ich in die Richtung, um das Tier zu erschrecken.

Das Kratzen brach abrupt ab, jedoch nicht, um sich erschrocken und uberhastet zuruckzuziehen, sondern eher auf eine Weise, als wolle das Geschopf abwarten, um herauszufinden, was ich als Nachstes machen wurde. Ich lauschte intensiv, und einen Augenblick lang glaubte ich, eine raues Almen zu horen, aber das war wohl nur der Wind.

»Pssssssttt!«, wiederholte ich, diesmal noch nachdrucklicher.

Es kam keine Reaktion. Ich hatte keine Angst vor der Dunkelheit, und ich hatte auch keine gro?e Angst vor Tieren, nicht einmal vor Ratten. Ich hatte einen Freund, der in London fur Islington Council Ratten fing. Einmal hatte er mich kilometerweit durch die Kanalisation gefuhrt und mir schmierig graue Ratten gezeigt, die durch die Fakalien der Menschen schwammen. Ich glaube, danach gab es nichts mehr, was mir Angst einjagen konnte.

»Sie haben uns eine Woche lang im Chigwell Reservoir trainieren lassen«, hatte mein Freund gesagt, »damit wir einen menschlichen Korper sofort erkennen konnen.«

»Ihr braucht eine Woche Training?«, hatte ich ihn unglaubig gefragt.

Ich erklomm die letzte Stufe, machte einen gro?en Schritt und starrte weiter in die Dunkelheit. Am anderen Ende des I »achbodens konnte ich eine Gestalt ausmachen, aber ganz sicher war ich mir nicht.

Sie war nicht so gro? wie ein erwachsener Mann, es konnte gar kein Erwachsener sein, dafur war zwischen Dach und Boden kein Platz mehr. Aber auch kein Kind, denn dafur wirkte sie zu klobig. Andererseits existierte auch keine derart gro?e Katze.

Nein, meine Augen spielten mir sicher einen Streich. Es war vermutlich nichts Unheimlicheres als ein alter Pelzmantel, der uber einem Stuhl lag. In der Dunkelheit sah ich Formen und sich bewegende Schatten, wo sich nichts befinden oder bewegen konnte. Ich sah, wie durchsichtige Kugelchen vor meinen Augen hin-und herschwirrten, Staub oder Tranen.

Ich tat noch einen Schritt. Mein Fu? stie? gegen die Kante eines harten rechteckigen Objekts - eine Truhe oder eine Kiste. Ich horchte wieder, wahrend ich leise atmete. Obwohl ich das Gefuhl hatte, dass sich etwas auf dem Dachboden befand, das mich beobachtete und darauf wartete, dass ich mich noch weiter vorwagte, kam ich zu dem Entschluss, weit genug gegangen zu sein.

Die Wahrheit war, dass ich sicher war, es sehen zu konnen. Etwas au?erst Finsteres, Kleines. Es bewegte sich nicht, sondern wartete angespannt, dass ich mich bewegte. Es war mir peinlich, so sicher zu sein. Die Logik sagte mir, dass es schlimmstenfalls eine Ratte sei.

Ich hatte keine Angst vor Ratten. Genauer gesagt, ich hatte keine allzu gro?e Angst vor Ratten. Ich hatte einmal versucht, einen Horrorroman uber Ratten zu lesen, der nichts weiter bewirkt hatte, als mich friedlich einschlummern zu lassen. Ratten waren nur Tiere, und sie hatten mehr Angst vor uns als wir vor ihnen.

»Pssssssttt!«, zischte ich etwas vorsichtiger und glaubte, dass es sich im gleichen Moment bewegt hatte.

»Pssssssttt!«

Keine Reaktion. Sogar der Wind schien den Atem anzuhalten. Die Luft auf dem Dachboden war wie erstarrt. Ich trat einen Schritt zuruck, dann noch einen und suchte mit der Hand nach dem Treppengelander. So gleichma?ig wie moglich zog ich mich in Richtung des schwachen Lichtscheins zuruck, der vom Spiegel reflektiert wurde.

Ich bekam das Gelander zu fassen. Da horte ich das Ding wieder rumoren. Es bewegte sich, aber nicht fort von mir. Es zog sich nicht in irgendeine dunkle Ecke zuruck, so wie es Ratten tun, sondern kam auf mich zu. Es bewegte sich sehr langsam und verursachte ein Gerausch, das nach Fell und Klauen klang, aber auch noch nach etwas anderem. Etwas, das mir zum ersten Mal seit dem Tag, da ich in die Kanalisation von Islington hinabgestiegen war, wieder Angst einjagte.

»Pssssssttt! Geh weg! Husch!«, rief ich.

Ich kam mir albern vor. Was, wenn da uberhaupt nichts war? Ein Berg alter Wasche, eine Taube, die auf dem Holzboden scharrte. Und uberhaupt: Was sollte es sein au?er einem Vogel oder einem kleinen Nager? Eine Fledermaus? Vielleicht. Aber Fledermause sind ungefahrlich, au?er sie haben Tollwut. Und Ratten? Die interessieren sich viel mehr fur ihr eigenes Uberleben, anstatt jemanden anzugreifen - es sei denn, sie sind ausgehungert oder fuhlen sich in hochstem Ma? bedroht. Ratten sind feige, weiter nichts.

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