Die grundlegende Tatsache unserer Existenz auf diesem Planeten war, dass wir nicht die Ersten waren. Unsere Uberlieferungen waren voll von Geistern und Halluzinationen,

Mythen und Aberglauben. Die >Traumzeit< hatten die Aborigines es genannt. Die Zeit davor. Die Zeit vor uns, als die Alten die Erde beherrscht hatten.

Meine Ohren wurden von einem tiefen, trommelnden Gerausch bombardiert, als sich der schwarze Schatten langsam uber Billings herabsenkte. Er schrie ekstatisch, wahrend die Wolke immer tiefer sank.

Blitze zuckten um ihn herum, Funken sprangen von seinen Haaren uber. Wahrend er schrie, schossen Funken aus seinem Mund wie Blitze von einem Schwei?gerat.

»Ich werde euch alle beherrschen!«, schrie er uns an. »Ich werde ewig leben und euch alle beherrschen!«

Ohne etwas zu sagen und ohne mich anzusehen, sturmte Miller auf den Altar zu. Brown Jenkin schlug mit einer Klaue nach ihm, traute sich aber nicht, ihm zu folgen.

»Sergeant!«, rief ich. »Sergeant!«

Miller stieg aber uber die Knochen, so schnell er konnte, und plotzlich verstand ich, was er vorhatte. >Ein Mann<, hatte Billings geprahlt. >Ein Mann kann euch alle verfolgen und vernichten^ Was aber, wenn dieser eine Mann nicht der junge Mr. Billings war, sondern ...?

Miller versetzte Billings einen Sto?, der ihn zu Boden schickte und mitten in den blutigen Uberresten von Vanessa Charles landen lie?. Billings schrie ihn entsetzt an, doch Miller trat ihn, nicht nur einmal, sondern wieder und wieder, bis Billings den Halt verlor und von dem Knochenberg rutschte. Auf dem Rucken liegend fand er sich an der Mauer der Kapelle wieder.

Miller nahm seinen Platz ein. Sein Gesichtsausdruck hatte etwas Gluckseliges und zugleich Martyrerhaftes, als habe er der Menschheit schlie?lich doch noch einen Dienst erwiesen, der seiner wurdig war. Kein Wunder, dass er von Anfang an geglaubt hatte, dass Brown Jenkin wirklich existierte. Er war fast ein Heiliger.

Die kalte schwarze Wolke senkte sich auf ihn herab wie der Vorhang in einem Theater. Warum sollte sich Yog-Sothoth darum kummern, welchen Menschen er in sich aufnahm? Einen Moment lang sah ich Detective Sergeant Miller mit leuchtenden Augen; sein ganzer Korper war von blendender Statik umgeben, seine Haare wirbelten nach oben, er hatte die Arme ausgestreckt. Dann schoss die Wolke empor in den giftig gelben Himmel, begleitet von einem Gerausch, das die Atmosphare so sehr in Bewegung versetzte, dass ich nicht das Gerausch horte, sondern nur die Schmerzen in meinen Trommelfellen spurte. Und dann war es voruber.

Billings stolperte durch den Berg aus Knochen, fassungslos. »Ich!«, schrie er zum Himmel hinauf. »Ich! Ich war derjenige, den ihr mitnehmen solltet!«

»Et maintenantpourquoi?«, fragte Brown Jenkin noch aufgeregter. »Tu as promised me alles, you fucker! Et maintenant c'est tout disparu, dans cet cloud!«

Billings fiel auf die Knie, stohnte, schluchzte und schlug sich gegen die Brust. Brown Jenkin begab sich zu ihm, baute sich vor ihm auf und spuckte ihm wieder und wieder ins Gesicht, bis Billings' Gesicht vollig von Jenkins Spucke uberzogen war.

»Pourquoi did I suffer and fight for all of these years, bastard-bastard! Pourquoi!«

Billings ballte die Fauste und heulte, als trauere er.

Brown Jenkin stand vor ihn und sah ihn hasserfullt an. Mit einer plotzlichen, fast beilaufigen Bewegung schossen seine Klauen uber Billings' Kehle und rissen seinen Kehlkopf heraus. Blut schoss aus der Wunde, und Billings sackte schlie?lich in sich zusammen, wahrend ein Bein noch zuckte. Brown Jenkin stand da mit dem Kehlkopf auf seine Klaue gespie?t. Seine Oberlippen verzog er zu etwas, was einem Grinsen nahe kam.

Ich zogerte noch einen Augenblick lang, dann rannte ich los. Mazurewicz sah mich, machte aber keine Anstalten, mich aufzuhalten. Vielleicht sah er das menschliche Dilemma viel philosophischer, als man glauben mochte. Vielleicht hatte er aber auch einfach keine Lust, hinter mir herzurennen. Ich sturmte uber den Friedhof, sprang uber den Bach und kampfte mich den rutschigen Hugel hinauf. Uber mir zogen sich dustere Wolken zusammen, und die See gab ein langsames oliges Gurgeln von sich. Vielleicht hatte Mazurewicz mir auch nur nicht folgen wollen, weil seine Arbeit getan war. Er hatte die Geburt der Unseligen Dreifaltigkeit uberwacht, und Gott wurde nie wieder uber diesen Planeten herrschen.

Au?er Atem und schwei?nass stieg ich die Feuerleiter hinauf, balancierte auf der Regenrinne entlang, wahrend ich mich vorsah, damit ich nicht ausrutschte. Auf halber Hohe brach eine der Sprossen heraus und fiel larmend auf den Boden der Veranda. Ich klammerte mich sekundenlang an die Leiter und zitterte vor Angst. Schlie?lich schaffte ich es, den restlichen Weg zuruckzulegen, wahrend ich ein Sto?gebet nach dem anderen sprach. Endlich hatte ich das Dachfenster erreicht, wahrend uber dem Armelkanal Blitze zuckten. Ich sah mich ein letztes Mal um. Ich bezweifelte, (lass ich das fahr 2049 erleben wurde, doch hier befand ich mich mitten in dieser Zeit, umgeben von sterbender Vegetation, bei?ender Luft und oligen Meeren. Irgendwo zeugte Yog-Sothoth bereits seinen Nachwuchs. Vielleicht hatten sie den Planeten verdient, den sie jetzt geerbt hatten. Auf jeden Fall hatten wir es verdient, ihn zu verlieren.

Ich zwangte mich durch das Dachfenster und schloss es. Die letzten Tropfen sauren Regens schlugen gegen das Glas.

22. Zeit der Schwierigkeiten

 Im Wohnzimmer traf ich auf Danny, Charity und Detective Constable Jones und eine Heerschar verwirrter uniformierter Polizisten.

»Wo ist Detective Sergeant Miller?«, fragte Jones. »Ich dachte, er ware bei Ihnen.«

»Ich ... nein«, sagte ich. »Ich habe ihn nicht gesehen.«

»Was ist mit Ihrem Bein?«, wollte er wissen. »Das sollte wohl genaht werden.«

Ich sah nach unten und stellte fest, dass mein rechtes Hosenbein blutdurchtrankt war. Brown Jenkin hatte seine Klauen bis tief in den Muskel in mein Bein gebohrt, aber seit meiner Flucht aus der Kapelle war mir der Schmerz einfach nicht bewusst geworden.

»Ach, das. Das habe ich mir an einer scharfen Kante an einem Koffer aufgerissen.«

»Na ja, jedenfalls sieht es so aus, als musste es genaht werden«, wiederholte Jones. »Und eine Tetanusspritze ware auch nicht verkehrt.«

»Und wo zum Teufel ist Dusty abgeblieben?«, fragte einer der Polizisten, wahrend er sich eine Zigarette anzundete. »Mrs. Pickering sitzt im Vikariat und sieht aus wie die Flei-schertheke im Supermarkt, wir haben hier dieses ganze Theater, und von Miller ist weit und breit nichts zu sehen.«

»Ich dachte, er sei bei Ihnen«, wiederholte Jones.

Ich schuttelte den Kopf. »Tut mir Leid, aber ich habe keine Ahnung, wo er ist.« Was im Grunde auch der Wahrheit entsprach. Ich wusste nicht, wo er war und was mit ihm geschah, aber ich betete, dass er nicht zu sehr leiden musste.

»Also gut«, sagte Jones. »Gehen Sie wegen Ihres Beins auf jeden Fall ins Krankenhaus, wir kommen spater wieder. Ich werde Ihnen noch einige Fragen stellen mussen.«

»Ist gut«, erwiderte ich. Ich begann zu zittern, was von dem Schock und der Erschopfung herruhrte und naturlich auch von der Wunde, die Brown Jenkin mir zugefugt hatte. Ich lie? mich in einen Sessel sinken und vergrub das Gesicht in meinen Handen. Danny kam zu mir, gefolgt von Charity. »Geht es dir gut, Daddy?«, fragte er besorgt.

Ich nahm seine Hand und druckte sie. »Mir geht es gut, Brown Jenkin hat mich gekratzt, weiter nichts. Der Detective hat Recht, es sollte besser genaht werden. Und du? Geht es dir gut?«

Danny nickte.

»Der andere Mann ...«, sagte Charity. »Was ist mit ihm geschehen?«

Ich sah zur Haustur. Der letzte Polizist ging gerade nach drau?en. »Auf oder zu?«

»Was?«

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