Zinder beugte sich vor. Das Madchen mit dem Schweif ging ein wenig nervos auf dem Podium hin und her und machte einen sehr unbehaglichen Eindruck.

»Assistentin Halib! Bitte, horen Sie auf, hin und her zu laufen, und kehren Sie in die Mitte der Scheibe zuruck!«rugte er sie.»Wir sind beinahe soweit, und Sie haben sich ja freiwillig gemeldet.«

»Verzeihung, Doktor«, sagte sie seufzend und trat in die Mitte. Zinder sah zu Yulin hinuber.

»Auf mein Zeichen!«rief er, und Yulin nickte.

»Los!«

Die kleine, spiegelahnliche Scheibe an der Decke schob sich hinaus, der kleine Punkt in der Mitte zielte nach unten, und plotzlich war der ganze Bereich des Podiums in bla?lichblaues Licht getaucht, das zu funkeln schien und die Frau einhullte. Sie wirkte erstarrt, unfahig, sich zu bewegen. Dann flackerte sie plotzlich mehrmals wie ein Projektionsbild und war mit einem Schlag verschwunden.

»Die von der Versuchsperson bekannte Stabilitatsgleichung ist neutralisiert«, sagte Yulin in seinen Aufzeichner. Er hob den Kopf und sah Zinder an.»Gil?«rief er ein wenig beunruhigt.

»Ja?«

»Angenommen, wir bringen sie nicht zuruck? Ich meine, was ware, wenn wir sie einfach neutralisiert hatten?«sagte Yulin nervos.»Wurde sie existieren, Gil? Hatte sie jemals existiert?«

Zinder lehnte sich zuruck und dachte nach.

»Sie wurde nicht existieren, nein«, antwortete er.»Was die andere Frage betrifft — nun, wenden wir uns an Obie.«Er beugte sich vor und schaltete den Transceiver ein, der ihn mit dem Computer verband.

»Ja, Doktor?«fragte die ruhige Stimme des Computers.

»Ich store den Proze? nicht, oder?«fragte Zinder vorsichtig.

»O nein«, erwiderte der Computer weiter.»Es bedarf nur knapp eines Achtels von mir, um das zu bewerkstelligen.«

»Kannst du mir sagen, ob die Versuchsperson Existenz besa?e, wenn sie nicht restabilisiert werden wurde? Das hei?t, hatte sie jemals existiert?«

Obie uberlegte.

»Nein, naturlich nicht. Sie ist ein unbedeutender Bestandteil der Primargleichung, versteht sich, so da? die Realitat, wie wir sie kennen, nicht betroffen ware. Aber sie wurde sich darauf einstellen. Sie hatte nie gelebt.«

»Und was ist, wenn wir ihr den Schwanz lassen wurden?«warf Yulin ein.»Wurden alle anderen annehmen, da? sie von Anfang an einen gehabt hat?«

»Gewi?«, bestatigte der Computer.»Um zu existieren, braucht sie schlie?lich einen Grund, sonst waren die Gleichungen nicht ausgewogen. Auch das hatte keine Auswirkung auf die Stabilitatsgleichung.«

»Was hatte wohl eine?«murmelte Zinder vor sich hin, dann sagte er zu Obie:»Wenn das so ist, dann sag mir, warum wissen wir — Ben, ich und du —, da? die Wirklichkeit verandert worden ist?«

»Wir sind in gro?er Nahe des Feldes«, gab Obie zuruck.»Jeder, der sich im Umkreis von ungefahr hundert Metern aufhalt, wu?te etwas davon. Je naher man ihm ist, desto mehr Dichotomie erkennt man. Uber eine Entfernung von mehr als hundert Metern hinaus fangt die Wahrnehmung der Wirklichkeit an, bedeutungslos zu werden. Die Leute wurden erkennen, da? etwas verandert ist, aber nicht ausmachen konnen, was. Uber tausend Meter hinaus wurde die Streuung mit der Hauptgleichung eins werden, und die Wirklichkeit wurde sich angleichen. Ich kann jedoch das fur Ihre Wahrnehmung anpassen oder stark reduzieren, wenn Sie wollen.«

»Auf keinen Fall!«erwiderte Zinder scharf.»Aber du meinst, da? jeder au?erhalb eines Umkreises von tausend Metern von hier des festen Glaubens sein wurde, sie sei schon immer ein Zentaur gewesen, und es gabe einen logischen Grund dafur?«

»Das ist richtig. Die Primargleichungen bleiben stets im naturlichen Gleichgewicht.«

»Sie kommt!«rief Ben aufgeregt.

Zinder schaute hinaus und sah in der Mitte der Scheibe einen Umri? flackern, der noch einmal aufzuckte, dann sich verfestigte. Das Feld erlosch. Der Spiegel schwenkte lautlos weg.

Es war immer noch Zetta Halib, kenntlich. Aber wo die Frau gestanden hatte, war das Geschopf Zetta jetzt nur noch bis zu den Huften. Dort ging ihre gelbbraune Haut in schwarzes Haar uber, und der Rest ihres Korpers war der einer voll ausgewachsenen, vielleicht zweijahrigen Stute.

»Obie?«rief Zinder, und der Computer meldete sich.»Wie lange, Obie, bis sie sich stabilisiert? Das hei?t, wie lange, bevor der Zentaur permanent wird?«

»Fur sie ist er es jetzt schon«, erklarte der Computer.»Wenn Sie meinen, wie lange es dauern wird, bis die Primargleichungen das neue Muster stabilisieren — hochstens eine oder zwei Stunden. Es handelt sich schlie?lich um eine unbedeutende Storung.«

Zinder beugte sich uber das Gelander und starrte sie verblufft an. Es war klar, da? seine wildesten Traume ubertroffen worden waren.

»Wurde sie reinrassige Nachkommen zur Welt bringen wenn wir einen mannlichen Zentaur hatten?«fragte Yulin den Computer.

»Nein. Das wurde viel mehr Arbeit erfordern. Naturlich wurde sie ein Pferd zur Welt bringen.«

»Du konntest aber ein fortpflanzungsfahiges Zentaurenpaar hervorbringen?«fragte Yulin.

»Hochstwahrscheinlich«, sagte Obie ausweichend.»Das einzige Limit fur diesen Proze? ist schlie?lich meine Eingabe. Ich brauche das Wissen, wie ich es machen mu?, wie alles zusammengesetzt ist, bevor ich etwas erarbeiten kann.«

Die Zentaurin blickte zu ihnen herauf.

»Tun wir hier den ganzen Tag herum?«fragte sie ungeduldig.»Ich bekomme langsam Hunger.«

»Obie, was verzehrt sie?«fragte Yulin.

»Gras, Heu, alles in dieser Art«, antwortete der Computer.»Ich mu?te naturlich manches abkurzen. Der Oberkorper besteht vorwiegend aus Muskelgewebe und Knochengerust. Fur die Organe habe ich das Pferd genommen.«

Yulin nickte und schaute zu Zinder hinuber, der noch immer ein wenig betaubt wirkte.

»Gil?«rief er.»Wie ware es mit ein paar kosmetischen Verbesserungen, dann konnen wir sie eine Weile so lassen, nicht? Es ware interessant, zu sehen, wie es mit dieser Anderung weitergeht.«

Zinder nickte zerstreut.

Mit einem weiteren Durchgang konnte Yulin dem neuen Geschopf eine jungere menschliche Halfte geben; er straffte sie und stellte wieder her, was jugendliches, gutes Aussehen zu sein schien.

Sie waren fast fertig, als in der Nahe des alten Wissenschaftlers eine Tur aufging und ein junges Madchen, nicht alter als vierzehn, mit einem Tablett hereinkam. Sie war ungefahr einsfunfundsechzig gro?, wog aber fast achtundsechzig Kilogramm. Sie war untersetzt, stammig, unbeholfen, hatte dicke Beine und Bruste. Es half ihr nicht, da? sie ein durchsichtiges Kleid und Sandalen trug und ubertrieben viel Schminke aufgetragen hatte. Auch das offensichtlich gebleichte blonde Haar gereichte ihr nicht zum Vorteil. Sie wirkte auf irgendeine Weise grotesk, aber der alte Mann lachelte nachsichtig.

»Nikki«, sagte er vorwurfsvoll,»ich dachte, ich hatte dir gesagt, du sollst nicht hereinkommen, wenn das rote Licht brennt.«

»Tut mir leid, Daddy«, erwiderte sie, obwohl man nicht das mindeste davon bemerkte, da? es ihr leid tat, als sie das Tablett abstellte und ihn auf die Wange ku?te.»Aber du hast so lange nichts gegessen, da? wir uns Sorgen gemacht haben.«

Sie schaute hinuber, entdeckte den jungen Mann und zeigte ein ganz anderes Lacheln.

»Hi, Ben!«rief sie munter und winkte.

Yulin hob den Kopf, lachelte und winkte zuruck. Dann dachte er plotzlich angestrengt nach. Hundert Meter, dachte er. Die Kuche war etwa so weit entfernt, uber dem Boden.

Sie legte die Arme um ihren Vater.

»Was hast du denn so lange getrieben?«fragte sie ihn in ihrem spielerischen Ton. Wiewohl korperlich erwachsen, war Nikki Zinder gefuhlsma?ig durchaus noch ein Kind und benahm sich auch so. Zu sehr, wie ihr Vater wu?te. Sie wurde hier in zu starkem Ma?e beschutzt, war von Gleichaltrigen abgeschnitten und wurde von fruhester Zeit an durch die Unfahigkeit ihres Vaters, sie im Zaum zu halten, und das Wissen aller, da? sie die Kleine des Chefs war, arg verhatschelt. Selbst ihr leichtes Lispeln war kindlich; oft glich sie eher einer

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