Konturen des Baumes und der verschiedenen naturlichen Gegebenheiten genutzt wurden. An verschiedenen Stellen wurde gleichzeitig geschmirgelt, gedrechselt, poliert und abgeschliffen, wahrend Handwerkerinnen in das Holz komplizierte Muster einschnitten. Es war offensichtlich, da? auch der dicke Boden zum gro?ten Teil naturlicher Art war, aber man hatte ihn so glatt gemacht, da? er vollig eben geworden war und wie poliertes Holz von Mobeln glanzte.

Dhutu blieb stehen und rief:»Meine Schwestern! Lernt unsere neue Schwester Yua kennen, die bei uns wohnen wird!« Die anderen unterbrachen ihre Arbeit, drehten sich herum, nickten ihr freundlich zu und arbeiteten weiter.

»Komm, da? wir dich unterbringen«, fuhr die Awbrierin fort, ging zu einer geschickt verborgenen Falltur, offnete sie und kletterte hinunter. Yua folgte ihr. Es schien ihr nichts anderes ubrigzubleiben.

Untere Geschosse waren fertig und wirkten dadurch noch eindrucksvoller. Das Faszinierendste schien die Art zu sein, wie ringsum eine Art Leuchtfirnis angebracht worden war, so da? das Licht ganz winziger, glasbedeckter Lampen die gro?en Raume zu erhellen vermochte. Der lebende Baum war so feucht, da? von den kleinen Ollampen fast uberhaupt keine Brandgefahr ausging. Trotzdem ware ein helleuchtendes Feuer, wie es unter normalen Umstanden notig gewesen ware, um den Raum zu erhellen, viel zu gefahrlich gewesen, selbst wenn es einen Rauchabzug gegeben hatte.

In einer bestimmten Etage hielten sie sich uberhaupt nicht auf; diese war vom Boden bis zur Decke durch Vorhange verhullt. »Die Unterkunft der Manner«, erklarte Dhutu, als sie weiterstiegen. Das nachste Gescho? enthielt Unterkunfte fur eine Reihe alterer Awbri-Frauen, den Aufseherinnen dieser Welt. »Alle uber ihre Zeit hinaus«, flusterte Dhutu geheimnisvoll. »Man mu? ihnen stets Respekt bezeugen.«

Yua wurde zu einer alten Awbri-Frau gefuhrt, die auf einem gro?en weichen Kissen lag wie eine Katze. Yua brauchte keinen Hinweis, um zu wissen, da? diese Frau sehr alt war; ihr Schnabel zeigte Altersflecken; ihre Hande waren faltig und runzlig, und sie war so dunn, da? sie beinahe wie ein Skelett aussah; ihre Haut, wegen der Membranen schon schlaff, schien uberall, vom Gesicht bis zum Schwanz, herabzuhangen.

»Verehrte Gro?mutter«, sagte Dhutu mit einer leichten Verbeugung, »das ist die, deren Ankunft man uns mitgeteilt hat.«

Die alte Frau blickte kurzsichtig zum Neuzugang hinauf. Schlie?lich sagte sie mit sproder, bruchiger Stimme:»Du bist diejenige, die einmal ein anderes Wesen war?«

Yua entschied, da? es in diesem Stadium besser war, die fuhrende Garnitur, vor allem die untere, nicht zu verargern; sie nickte deshalb und schwieg.

Die Alte schien zufrieden zu sein.

»Es wird dir hier nicht gefallen«, sagte sie abrupt.

Yua fand, da? das nach einer Antwort verlangte.

»Es ist nicht das, was ich gewohnt bin«, erwiderte sie. »Ich bewundere die Baume und die Leistung, aber nicht alle Gebrauche, von denen ich hore, da? ihr sie hier habt.«

Die Alte nickte.

»Was hast du vorher gemacht?« fragte sie.

»Ich war eine Sprecherin, eine, die reiste, eine… eine religiose Fuhrerin«, erwiderte Yua, nach den richtigen Worten in der neuen Sprache suchend.

»Du konntest also ein Buch so halten, da? es zu dir spricht?«

Yua nickte.

»Das konnte ich — aber in meiner alten Sprache, versteht sich.«

Die altere Frau seufzte.

»Dir wird es hier gar nicht gefallen«, wiederholte sie mit Nachdruck, dann verstummte sie fur so lange Zeit, da? Yua verlegen wurde und furchtete, die Alte sei eingeschlafen. Aber Dhutu blieb in achtungsvoller Haltung stehen, so das Yua es fur angebracht hielt, ihrem Beispiel zu folgen.

Schlie?lich offnete die alte Frau ihre Augen wieder und sah Yua an.

»Du warst besser Zimmererin, Landwirtin oder Handwerkerin gewesen«, krachzte sie. »Du hast keine Fahigkeiten, die hier von Nutzen waren, so da? du nur fur die langweiligste, eintonigste Hilfsarbeit zu gebrauchen bist. Sie wird dich wahnsinnig machen. Du wirst versuchen, deine Schlauheit zu zeigen, und wenn es etwas gibt, das die Manner von Frauen nicht hinnehmen, dann das. Du wirst eine Bedrohung sein, und Bedrohungen mu? man ausschalten. Schlie?lich wird man dich zu einem Heilenden schicken, und dann wirst du nicht mehr denken.«

Yua uberlegte.

»Du sprichst selbst nicht so dumm oder unwissend«, stellte sie fest.

Der Schnabel der Alten wolbte sich zu dem, was bei den Awbriern als Lacheln galt.

»Aber ich bin geubt im Uberleben«, erwiderte sie stolz. »In dieser Gesellschaft aufgewachsen, fand ich Wege, klug zu sein und zu lernen, aber das die anderen nie merken zu lassen. Das entstammt der Erfahrung eines ganzen Lebens, und diese Zeit hast du nicht. Man nennt das Gerissenheit, glaube ich. Und was nutzte sie? Da? ich meine letzten Tage auf einem Polster verbringe, Drogendampfe einsauge und davon traume, wie sinnlos alles gewesen ist.«

Wenn Dhutu von diesen Worten entsetzt war, lie? sie sich das jedenfalls nicht anmerken. Sie regte sich kaum.

»Ich glaube«, flusterte Yua, »da? an dieser Gesellschaft hier mehr ist, als einer Neuen — oder einem Mann — auf den ersten Blick auffallt.«

Wieder kam das Lacheln.

»Ja, so ist es. Innerhalb des Klans gibt es die Gilden, und innerhalb der Gilden Dinge, die — nutzlich sind. Eine verborgene Schule, konnte man sagen. Ich verrate dir das nur, weil es fur dich auffalliger sein wird als fur die Manner, und du wirst besser bestehen, wenn du dich nicht verratst, nicht die falschen Fragen stellst. Du wirst wissen, da? die Herrschaft der Manner hier eine absolute ist. Sie konnen mit dir tun, was sie wollen, und du hast keine Rechte und nichts zu bestimmen. Aus diesem Grund geschieht alles, was wir tun, unter gro?er Gefahr, und ist trotzdem notwendig. Wir haben dieselben Gehirne und Fahigkeiten wie die Manner und durfen es nicht zeigen. Wir mussen weitab im Hintergrund arbeiten, damit unsere eigenen Ideen als die der Manner, nicht als unsere eigenen gelten.«

»Aber warum?« fragte Yua. »Warum ist das so? Das System scheint reif zu sein fur eine Revolution.« Sie hatte Muhe mit diesem Begriff, weil es in der Sprache Awbris dafur keine Entsprechung gab. Der Ausdruck klang wie ›andern, wie die Dinge stehen‹, aber was sie meinte, war klar.

Die Alte seufzte.

»Mein Kind, du wei?t noch nichts und begreifst nicht. Wenn deine erste Zeit vorbei ist, wirst du einsehen, da? dieser Weg der einzige ist. Geh jetzt. Ich befreie dich bis zu deiner ersten Zeit und der Aufnahme in den Klan von der Arbeit. Danach wird dir manches klarer sein. Es mag sein, da? du dich danach wirst umbringen wollen.« Ihre Augen verengten sich. »Und merke dir, wenn irgendeine Gefahr besteht, da? du, und sei es zufallig, verraten konntest, was du jetzt wei?t, wirst du einen noch leichteren und schnelleren Ausweg finden.«

Mit dieser Drohung war das Gesprach beendet. Die alte Frau lie? sich zurucksinken, griff nach einem kleinen Kastchen voll feinem, wei?em Pulver, sog tief die Luft ein und schien in eine Art lustvoller Versunkenheit zu verfallen. Dhutu machte eine Geste, und sie gingen hinaus und stiegen eine Etage hinunter.

Die Frauen wohnten in spartanischen Unterkunften in verschiedenen Stockwerken, aufgeteilt nach Gilden — Zimmerei, Landwirtschaft, Handwerk und so weiter —, wahrend die unterste Etage fur die Frauen ohne Gilde oder Handwerk vorgesehen war. Sie sah aus wie die anderen, ein nackter Raum mit Strohkissen zum Schlafen, einem einfallsreichen Leitungssystem, das Wasserfalle im Freien anzapfte und das Wasser durch den dicken Stamm herein- und wieder hinausfuhrte, sowie mit einer Toiletteneinrichtung fur alle. Aber im Gegensatz zu dem Trog fur Waschen, Baden und dergleichen, fuhrte der Toilettenabflu? zu einer Stelle unterhalb des untersten Geschosses, wo ein naturliches System das Abwasser wegfilterte. Die Fakalien der Awbrier trugen dazu bei, den Baum zu nahren, so da? es sich um ein kluges System handelte, aber die Etage genau daruber wurde dadurch zu einem von Gestank erfullten Ort — und das war naturlich der Wohnraum fur ungelernte und nicht einer Gilde zugehorigen Arbeiterinnen; Yuas Unterkunft.

»An den Gestank gewohnst du dich«, versicherte ihr Dhutu. »Wenn du eine Zeit hier bist, merkst du ihn gar nicht mehr. Wir haben alle so angefangen. Die meisten deiner Schwestern werden sehr jung und noch keiner Gilde zugeteilt sein — oder sehr, sehr dumm. Du verstehst?«

Yua nickte wenig begeistert.

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