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In der Nacht des 9. Marz 1860 hingen dichte dunkle Wolkenfelder uber dem Meer und beschrankten die Sicht auf wenige Meter. Auf den vom Sturm gepeitschten Wogen trieb fast segellos eine 100-t- Jacht. Die Tafelplanke mit der Aufschrift Sloughi war durch irgendeinen Zufall, einen Brecher oder eine Schiffskollision, zum gro?ten Teil zerstort.

Es war 23 Uhr. Das erste Morgengrauen war nicht vor 5 Uhr fruh zu erwarten. Nur das Abflauen des Sturmes und die Beruhigung der aufgewuhlten See konnten den Schoner vor einem Untergang mit Mann und Maus bewahren.

Auf dem Heck der Sloughi standen 4 Jungen. Sie stemmten sich mit vereinten Kraften gegen das Steuerrad, um bei den seitwarts heranrollenden Wellen ein Kentern zu verhindern. Kurz vor Mitternacht brach eine riesige Wassermenge uber die Schanzkleidung herein. Es war ein Wunder, da? das Steuer diesem wuchtigen Schlag uberhaupt standhielt. Die Kinder wurden umgeworfen, aber sie konnten sich sofort wieder erheben.

»Ist das Steuer noch heil, Briant?«

»Ja, Gordon!«

»Festhalten, Doniphan, auf keinen Fall jetzt den Mut verlieren!«

»Du bist hoffentlich nicht verletzt worden, Moko?«

»Nein«, antwortete der 12jahrige Negerjunge. »Wir mussen aufpassen, da? die Jacht gegen die Wellen segelt. Sonst werden wir versenkt!«

Da wurde die Tur der zum unteren Salon fuhrenden Treppe hastig aufgerissen.

»Briant! Briant! Was ist denn los?« rief ein 9 Jahre altes, total verangstigtes Kind.

»Nichts, Iverson, gar nichts!« rief Briant zuruck. »Geh mit Dole wieder ins Bett, aber rasch!«

»Wir haben aber schreckliche Angst«, sagte ein zweites, noch jungeres Kind. »Und die anderen?«

»Alle haben Angst«, versicherte Dole.

»Geht jetzt hinunter, schlie?t die Tur und legt euch wieder ins Bett«, befahl Briant.

»Achtung! Ein Brecher!« schrie Moko plotzlich. Ein schwerer Brecher erschutterte das Heck der Jacht.

»Macht, da? ihr verschwindet!« rief Gordon.

»Geht hinunter, ihr Kleinen, es besteht fur uns keine Gefahr«, rief Briant ihnen nach.

Da tauchte ein drittes Kind auf. »Braucht ihr uns da oben?«

»Nein, Baxter, bleib mit den anderen bei den Kleinen. 4 sind oben genug«

Baxter verschlo? die Tur.

Auf der Sloughi befanden sich ausschlie?lich Kinder — insgesamt 15. Kein Kapitan, kein Steuermann, nicht ein Matrose war an Bord. Keiner wu?te genau, was vorgefallen war. Die Sloughi trieb im Stillen Ozean, dem Meer, das sich uber 140 Langengrade von Australien und Neuseeland bis zur sudamerikanischen Kuste erstreckt.

War die Besatzung der Jacht verungluckt? Hatten malaiische Seerauber sie entfuhrt und an Bord nur die jungen Passagiere, deren altester kaum 14 Jahre alt war, ihrem Schicksal uberlassen? Von der ursprunglich vorgesehenen Mannschaft, dem Kapitan, dem Obersteuermann und den 6 Matrosen war nur Moko, der Schiffsjunge ubrig. Woher kam der Schoner? Wohin sollte die Fahrt gehen? Keines der Kinder hatte darauf eine schlussige Antwort geben konnen, ware die Sloughi jetzt von einem Segler, einem transatlantischen Dampfer oder einem jener unter Segel oder Dampf laufenden Kauffahrteischiffe, die von Europa und Amerika nach allen Weltmeeren auslaufen, aufgebracht worden. Briant und seine Kameraden wachten so gut sie konnten, da? die Sloughi nicht nach der einen oder anderen Seite abgedrangt wurde.

»Was sollen wir tun?« fragte Doniphan.

»Wei? ich auch nicht!«

»Versuchen wir uns zu retten, mehr kann ich nicht sagen«, bemerkte Gordon.

Der Sturm verdoppelte seine Gewalt, der Wind wehte fuderweise, wie es im Jargon der Seeleute hei?t, und sehr oft schien es, als musse der Schoner unweigerlich in Trummer gehen und sinken. Da der Gro?mast gebrochen war, konnte kein Fahrsegel gehi?t werden. Aber nur so hatte man das Schiff noch einigerma?en sicher steuern konnen. Der an der Oberbramstenge gebrochene Fockmast stand zwar vorlaufig noch, doch mu?te man jede Minute befurchten, da? er, wenn die Takelage ri?, auf Deck sturzen und vollends auseinanderbrechen wurde. Am Bug flatterten die Fetzen des kleinen Kluversegels. Bis jetzt war weder eine Insel noch irgendein Festland im Osten aufgetaucht. Die Kinder spahten vergebens nach einem Licht, einem Orientierungspunkt. Ringsherum war tiefe, undurchdringliche Nacht.

»Moko! Der Fockmast ist kaputt!« rief plotzlich Doniphan.

»Nein! Soweit ich sehen kann, hat sich nur das Segeltuch von den Saumtauen gelost!«

»Wir mussen es abrei?en«, sagte Briant. »Gordon, bleib du mit Doniphan am Rad, und du, Moko, hilfst mir!«

Neben Moko hatte auch Briant einige nautische Kenntnisse. Sie losten das Hi?tau der Raa, die sich uber dem Vorderdeck herabsenkte, schnitten die Fetzen des Focksegels mit ihren Messern ab und befestigten dessen untere Ecken durch einige Hilfsbrassen an den Pflocken der Schanzkleidung; dabei gerieten sie mehrmals in Gefahr, von den Sturzseen weggespult und ertrankt zu werden. Unter dieser bis aufs au?erste verminderten Segelflache konnte die Sloughi wenigstens einigerma?en Richtung halten. Briant und Moko kehrten wieder zu Gordon und Doniphan ans Steuerrad zuruck. Da offnete sich die Tur zum Salon zum zweiten Male. Ein Kind streckte den Kopf heraus. Es war Jacques, der um 3 Jahre jungere Bruder Briants. »Was willst du?« fragte Briant. »Komm schnell. Im Salon steht Wasser!«

»Was?!« rief Briant erschreckt. »Wie ist das moglich?«

Mit einem Satz sprang er die Treppe hinunter. Den Salon erleuchtete mehr als notdurftig eine Hangelampe, die mit dem Rollen des Schiffes hin und her schwankte. Etwa 10 Kinder lagen auf den Polsterbanken oder Betten, die kleinsten, nicht alter als 8 Jahre, hatten sich in ihrer Todesangst dicht aneinandergedrangt.

»Keine Angst, es ist alles nur halb so schlimm«, versuchte er sie zu beruhigen.

Mit einer Signallaterne konnte er sich uberzeugen, da? tatsachlich Wasser in die Jacht eingedrungen war und von einem Bord zum anderen flutete. Woher kam das Wasser? War in der Seitenwand ein Leck? Vor dem Salon befanden sich das gro?e Zimmer und der Speisesaal, dann die Wohnung und anschlie?end das Wachhaus der Mannschaft. Briant durchsuchte all diese Raume und sah, da? das Wasser weder ober- noch unterhalb der Schwimmlinie eingedrungen sein konnte. Das Wasser mu?te also von Sturzseen herruhren, die uber die Treppe nach unten abgeflossen waren. Briant beruhigte seine Gefahrten, als er wieder durch den Salon nach oben zum Steuerrad ging.

Es war jetzt 1 Uhr fruh, und wahrend schwere Wolkenmassen die Dunkelheit noch lastender machten, wutete der Ozean mit aller Gewalt. Die Jacht flog und sturzte nur so dahin. Dann und wann horte man den Schrei eines Sturmvogels. Auf eine nahe Kuste konnte man deshalb aber nicht schlie?en, denn diese Vogel findet man oft mehrere 100 sm vom Land entfernt. Eine Stunde spater horte man wieder einen harten, kurzen Ri?. Der Rest des Focksegels war zerfetzt, die Stucke flatterten wie riesige Mowen durch die Luft.

»Wir haben kein Segel mehr«, rief Doniphan, »und ein anderes zu setzen ist jetzt unmoglich.«

»Macht nichts«, sagte Briant, »wir kommen auch so schnell genug voran.«

»Vorsicht! Wellen von hinten!« schrie Moko. »Festhalten, oder wir werden weggeschwemmt.«

Er hatte den Satz kaum beendet, als mehrere Tonnen Wasser uber Bord hereinsturzten. Briant, Doniphan und Gordon wurden gegen die Treppenkappe geschleudert, wo sie sich zum Gluck gerade noch anklammern konnten. Moko jedoch war verschwunden. Ein Teil des Mastwerkes, die beiden Boote und die Jolle, obwohl diese ganz hereingeholt waren, wurden mit fortgerissen. Da jedoch gleichzeitig ein Stuck der Schanzkleidung

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