Quellen beruhigte sich. Vielleicht regte er sich umsonst auf. Hatte Koll nicht gesagt, da? es um eine Regierungssache ging? Ein Befehl von oben, keine normale Verhaftung. Quellen wu?te, da? man ihn nicht einfach zuruckrufen wurde, wenn man ihn wirklich entdeckte. Man wurde ihn holen. Also handelte es sich um eine Dienstangelegenheit. Einen Augenblick sah er die Mitglieder der Hohen Regierung vor sich, schattenhafte Halbgotter, die einen Moment ihre anstrengende Tatigkeit unterbrachen, um Koll eine winzige Nachricht zukommen zu lassen.

Quellen warf einen langen Blick auf die grunen uberhangenden Baume, die sich unter dem Gewicht ihrer Blatter beugten und an denen noch ein paar Tropfen des heutigen Morgenregens glitzerten. Er lie? die Blicke bedauernd uber die zwei gro?en Raume wandern, uber seine luxuriose Veranda, uber die Landschaft. Jedesmal, wenn er von hier fortging, erschien es ihm wie ein endgultiger Abschied. Jetzt machte ihm nicht einmal das Summen der Fliegen etwas aus. Er schluckte und trat auf die Maschine zu. Das purpurne Feld hullte ihn ein. Er wurde ins Innere gesogen.

Quellen wurde verschlungen. Die verborgenen Generatoren waren direkt mit dem Hauptgenerator verbunden, der sich endlos auf seinen Pfahlen am Grund des Atlantiks drehte und die Thetakraft kondensierte, die eine sofortige Reise moglich machte. Was war die Thetakraft? Quellen konnte es nicht sagen. Er konnte kaum die Elektrizitat erklaren, und die gab es schon seit einer ganzen Weile. Er nahm sie als eine Gegebenheit hin und vertraute sich dem statischen Feld an. Wenn jemand die Abszissen um eine Kleinigkeit verschoben hatte, waren Quellens Atome irgendwo ins Universum gewirbelt und hatten sich nie wieder zusammengefugt. Aber an solche Dinge dachte man nicht.

Der Vorgang war blitzschnell. Die hagere, schmale Gestalt von Quellen wurde aufgegliedert, ein Strom von Wellikeln wurde uber den halben Planeten geschickt, und Quellen war wieder als Einheit da. Es geschah so schnell, da? das Nervensystem den Schmerz des Auseinandergerissenseins gar nicht empfand.

Aber man dachte nicht uber den technischen Zusammenhang nach. Man reiste einfach. Wozu sollte man sich mit unangenehmen Gedanken plagen?

* * *

Quellen tauchte in dem winzigen Apartment fur Klasse-Sieben-Burger auf. Es befand sich in Appalachia, und jeder glaubte, da? er hier wohnte. Ein paar Notizen warteten auf ihn. Er sah sie kurz durch. In der Hauptsache Werbeanzeigen. Und ein Zettel von seiner Schwester Helaine, da? sie bei ihm gewesen sei. Quellen hatte ein leichtes Schuldgefuhl. Helaine und ihr Mann waren Proleten, die sich von der harten Wirklichkeit hatten uberrumpeln lassen. Er wunschte oft, da? er etwas fur sie tun konnte, denn ihr Elend verstarkte seine Gewissensbisse noch. Aber was konnte er machen? Es war besser, wenn er nicht auffiel.

Mit ein paar schnellen Bewegungen schlupfte er aus seinen Freizeitkleidern und in die steife Uniform. Er entfernte das Schild Privat von seiner Tur. So verwandelte er sich von Joe Quellen, dem Besitzer eines verbotenen Grundstucks im Herzen eines unbekannten Gebietes Afrikas, in Joseph Quellen, Kriminalsekretar, Verteidiger von Gesetz und Ordnung. Er verlie? das Haus. Der Aufzug brachte ihn uber endlose Stockwerke zu der Schnellbootrampe. In der Stadt war das Reisen mit statischen Feldern technisch nicht moglich. Leider, seufzte Quellen vor sich hin.

Ein Schnellboot kam heran. Quellen schlo? sich der Menge an, die hineindruckte. Mit einem schmerzhaften Angstgefuhl fuhr er in die Stadt. Zu Koll.

Man hatte Quellen gesagt, da? das Polizeigebaude als architektonische Glanzleistung angesehen werden konnte. Achtzig Stockwerke, von spitzen Turmen uberragt. Die roten Vorhangwande waren aus einem groben, rupfenartigen Gewebe und schimmerten wie ein Leuchtturm, wenn die Lichter eingeschaltet waren. Das Bauwerk hatte Wurzeln. Quellen hatte nie genau erfahren, wie viele unterirdische Stockwerke es besa?, und er hegte den Verdacht, da? niemand es wu?te — au?er ein paar Mitgliedern der Hohen Regierung. Bestimmt gab es zwanzig Komputerstockwerke und eine Ablage fur ausgedientes Material. Dazu wahrscheinlich weitere acht Stockwerke mit Verhorraumen. Einige sagten, da? sich unterhalb der Verhorraume ein Komputer befand, der ganze vierzig Stockwerke umfa?te, und da? dies der richtige Komputer sei, wahrend die anderen nur zur Tarnung dienten. Moglich, Quellen wollte seine Nase nicht zu tief in diese Dinge stecken. Wer neugierig war, mu?te damit rechnen, da? die anderen ihn mit ihrer Neugier belastigten.

Buroangestellte nickten Quellen respektvoll zu, als er an ihren dichtgedrangten Schreibplatzen vorbeiging. Er lachelte. Er konnte es sich leisten, freundlich zu sein. Hier besa? er einen Status. Er war Klasse Sieben. Sie waren Vierzehner, Funfzehner, und der Junge, der die Papierkorbe ausleerte, konnte hochstens ein Zwanziger sein. Fur sie war er eine hohe Personlichkeit, praktisch ein Vertrauter der Hohen Regierung, ein personlicher Bekannter von Danton und Kloofman. Alles eine Sache der Perspektive, dachte Quellen. In Wirklichkeit hatte er Danton nur ein einzigesmal gesehen. Und auch da wu?te er nicht, ob er es tatsachlich war. Er hatte keine Ahnung, ob es Kloofman gab. Wahrscheinlich.

Quellen krampfte die Hand um den Turgriff und wartete, bis ihn die Suchstrahlen identifiziert hatten. Die Tur zum inneren Buro ging auf. Er trat ein und warf einen Blick auf die unfreundlichen Gestalten, die hinter ihren Schreibtischen sa?en. Da war der kleine, spitznasige Martin Koll, der einfach an ein gro?es Nagetier erinnerte. Er blatterte in einem Sto? von Zetteln. Leon Spanner, Quellens zweiter Chef, sa? ihm gegenuber. Auch er hatte den Specknacken uber Papiere gebeugt. Als Quellen eintrat, griff Koll mit einer nervosen Geste an die Wand und schaltete den Luftstrom fur drei Personen ein.

»Sie haben reichlich lange gebraucht«, sagte Koll, ohne aufzusehen.

Quellen sah ihn finster an. Koll hatte graue Haare, ein graues Gesicht und eine graue Seele. »Tut mir leid«, sagte er. »Ich mu?te mich umziehen. Ich hatte meinen freien Tag.«

»Egal, was wir unternehmen, es andert doch nichts«, knurrte Spanner, als sei niemand hereingekommen und als hatte niemand etwas gesagt. »Es ist nun mal geschehen, und wir konnen es nicht ruckgangig machen. Verstehen Sie das? Am liebsten wurde ich alles kurz und klein schlagen.«

»Setzen Sie sich, Quellen«, sagte Koll nebenbei. Er wandte sich an Spanner, einen gro?en, bulligen Mann mit zerfurchter Stirn und groben Gesichtszugen. »Ich dachte, wir hatten das alles schon einmal besprochen«, sagte Koll. »Wenn wir uns einmischen, gerat alles durcheinander. Bei einer Spanne von funfhundert Jahren verschieben wir den ganzen Aufbau. Soviel steht fest.«

Quellen atmete insgeheim auf. Jedenfalls sorgten sie sich nicht um sein illegales Versteck in Afrika.

Es klang eher, als beschaftigten sie sich mit den Zeitreisenden. Gut. Jetzt, da seine Blicke keine Angst mehr verrieten, konnte er seine beiden Vorgesetzten mit gro?erer Aufmerksamkeit beobachten. Koll und Spanner diskutierten offenbar schon seit einer ganzen Weile. Koll war der intelligentere. Er hatte einen beweglichen Geist und eine nervose, flattrige Energie. Aber Spanner hatte mehr Macht. Es hie?, da? seine Verbindungen bis zu den hochsten Stellen reichten.

»Gut, Koll«, knurrte Spanner. »Ich gebe sogar zu, da? es die Vergangenheit durchschutteln wird. Soviel gebe ich zu.«

»Nun, das ist schon etwas«, meinte der kleine Mann.

»Unterbrechen Sie mich nicht. Ich denke immer noch, da? wir der Sache ein Ende bereiten sollen. Wir konnen das Geschehene nicht ungeschehen machen, aber wir konnen es in diesem Jahr einstellen. Wir mussen es sogar.«

Koll funkelte Spanner verachtlich an. Quellen konnte sehen, da? Koll sich nur seinetwegen beherrschte.

»Weshalb, Spanner, weshalb?« fragte Koll mit einiger Beherrschung. »Wenn wir den Dingen ihren Lauf lassen, hort alles von selbst auf. Viertausend von ihnen gingen 86, neuntausend 87 und funfzigtausend 88. Und wenn wir die Zahlen vom vergangenen Jahr bekommen, werden sie noch hoher sein. Sehen Sie — hier hei?t es, da? uber eine Million Zeitreisende in den ersten achtzig Jahren ankamen und da? danach die Zahlen noch anstiegen. Denken Sie an die Bevolkerung, die wir verlieren! Es ist wundervoll. Wir konnen es uns einfach nicht leisten, diese Leute hierzulassen, wenn wir die Chance haben, sie loszuwerden. Und die Geschichte sagt, da? wir sie losgeworden sind.«

»Die Geschichte sagt auch, da? die Zeitreisen nach 2491 aufhorten. Und das bedeutet, da? wir sie im nachsten Jahr erwischten.« Spanner lachelte. »Ich meine, da? wir sie im nachsten Jahr erwischen werden. Es ist so vorgeschrieben. Die Vergangenheit ist ein geschlossenes Buch.«

»Wirklich?« Koll lachte bellend. »Und wenn wir die Losung nicht finden? Wenn die Zeitreisenden weiter in die Vergangenheit gehen?«

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