schnappt man uber. Er kaute an seinem Fingernagel und warf einen verstohlenen Blick auf den mageren Korper seiner Frau.

Die Luft in ihrem Apartment war schlecht, aber Pomrath wagte es nicht, die Sauerstoffzufuhr aufzudrehen. Er hatte den Vorrat fur diese Woche schon verbraucht, und wenn er den Hebel herunterdruckte, wurde ihm der Komputer tief unter der Erde ein paar unangenehme Dinge sagen. Pomrath hatte das Gefuhl, da? seine Nerven das Geschwatz des Sparsamkeitskomputers jetzt nicht ertragen konnten. Seine Nerven konnten uberhaupt wenig vertragen. Er war Klasse Vierzehn, und das war schlimm genug, und seit einem Vierteljahr hatte er keine Arbeit, was noch schlimmer war. Dabei war sein Schwager in Klasse Sieben. Das wuhlte besonders in ihm. Aber was nutzte ihm dieser Joe Quellen? Der verdammte Kerl war nie daheim. Entzog sich seinen Familienpflichten.

Helaine hatte ihre Dusche beendet. Beim Molekulbad wurde kein Wasser verwendet. Nur Klasse Zehn und daruber hatten das Vorrecht, Wasser zur Korperreinigung zu benutzen. Da die meisten Menschen auf der Welt Klasse Elf und darunter waren, hatte der Planet zum Himmel gestunken, wenn es nicht die praktischen Molekulbader gegeben hatte. Man zog sich aus, stellte sich vor die Duse, und Ultraschallwellen entfernten geschickt den Schmutz von der Haut und gaben einem das Gefuhl, sauber zu sein. Pomrath sah nicht weg, als Helaine sich umdrehte und nackt vor ihm stand. Sie zwangte sich in ihre Tunika. Fruher, erinnerte er sich, hatte er sie fur atemberaubend gehalten. Und dann hatte sie immer mehr an Gewicht verloren. Sie war jetzt mager. Es gab Zeiten — besonders nachts  —, in denen sie uberhaupt nichts Weibliches mehr fur ihn hatte.

Er setzte sich auf die Schaumstoffbank, die an der fensterlosen Wand stand, und fragte: »Wann kommen die Kinder heim?«

»In einer Viertelstunde. Deshalb habe ich jetzt noch eine Dusche genommen. Bleibst du hier, Norm?«

»Ich gehe in funf Minuten.«

»In die Traumbar?«

Er sah sie stirnrunzelnd an. Sein von vielen Niederlagen gezeichnetes Gesicht sah immer so aus, als runzelte er die Stirn. »Nein«, sagte er. »Nicht in die Traumbar. Zur Arbeitsvermittlungsmaschine.«

»Aber du wei?t doch, da? dich die Maschine hier erreichen kann, wenn es Arbeit gibt, also …«

»Ich will hingehen«, sagte Pomrath mit eisiger Wurde. »Ich werde die Arbeitsvermittlung aufsuchen. Und danach hochstwahrscheinlich die Traumbar. Entweder, um zu feiern, oder, um meine Sorgen zu vergessen.«

»Ich wu?te es.«

»Verdammt, Helaine, weshalb la?t du mich nicht in Ruhe? Ist es meine Schuld, da? ich keine Arbeit habe? Ich habe gute Zeugnisse. Ich mu?te Arbeit bekommen. Aber die Welt ist eben ungerecht.«

Sie lachte hart. Diese Harte war neu an ihr. Er spurte sie erst seit ein paar Jahren. »In elf Jahren hattest du genau dreiundzwanzig Wochen Arbeit«, sagte sie. »Die restliche Zeit haben wir von Stempelgeld gelebt. Du bist von Klasse Zwanzig bis Klasse Vierzehn hochgekommen, und da klebst du nun Jahr fur Jahr, und wir kommen auf keinen grunen Zweig, und ich fuhle mich in diesem verdammten Apartment eingesperrt, und wenn die Kinder da sind, wurde ich ihnen am liebsten die Kopfe abrei?en und …«

»Helaine«, sagte er. »Sei still.«

Zu seiner gro?en Uberraschung schwieg sie. Ihr Kinn schob sich vor, und sie schluckte muhsam. Sehr viel ruhiger sagte sie: »Tut mir leid, Norm. Es ist nicht deine Schuld, da? wir Proleten sind. Es gibt eben nicht mehr Arbeitsstellen. Nicht einmal du mit deiner Begabung …«

»Ja, ich wei?.«

»So ist es nun mal. Ich liebe dich, wei?t du das auch? In guten wie in schlechten Zeiten, wie es so schon hei?t.«

»Naturlich, Helaine. Schon gut.«

»Vielleicht gehe ich diesmal mit dir zur Traumbar. Ich programmiere das Essen fur die Kinder …«

Er schuttelte den Kopf. Diese plotzliche Zartlichkeit war ruhrend, aber er sah Helaine nahe genug in der Wohnung, Tag und Nacht. Er wollte nicht, da? sie mitkam, wenn er seinem armseligen Vergnugen nachging. »Diesmal nicht, Liebling«, sagte er schnell. »Vergi? nicht, da? ich zuerst zur Arbeitsvermittlung mu?. Bleibe lieber hier. Du kannst ja Beth Wisnack oder sonst jemanden besuchen.«

»Ihr Mann ist immer noch weg.«

»Wer — Wisnack? Haben Sie ihn nicht aufgespurt?«

»Sie glauben, da? er — den Sprung gewagt hat. Ich meine, sie suchten ihn per Televektor. Sie fanden keine Spur. Er ist wirklich verschwunden.«

»Glaubst du diese Geschichte von den Zeitreisen?« fragte Pomrath.

»Naturlich.«

»Ich finde, es ergibt keinen Sinn. Eine Reise in die Vergangenheit. Ich meine, wenn man anfangt, das Universum umzukrempeln, Helaine, ich meine, wenn man den Flu? der Ereignisse verwirrt …«

Ihre Augen waren gro?. »Auf den Spulen steht, da? es so etwas tatsachlich gibt. Die Hohe Regierung stellt ihre Nachforschungen an. Es ist sogar Joes Abteilung. Norm, wie kannst du sagen, da? es keine Zeitreisen gibt, wenn taglich Menschen verschwinden? Bud Wisnack direkt uber uns …«

»Es ist nicht bewiesen, da? er es tat.«

»Wo ist er dann?«

»In der Antarktis vielleicht. In Polen. Auf dem Mars. Ein Televektor kann sich auch tauschen. Ich kann einfach nicht an dieses Zeug mit den Zeitreisen glauben, Helaine. Es ist fur mich nicht greifbar. Verstehst du? Es ist so unwirklich, ein Marchen, etwas aus einer Traumbar.« Pomrath hustete. In letzter Zeit erhitzte er sich bei Diskussionen so schnell.

Er dachte an Bud Wisnack, den kleinen, kahlkopfigen Mann mit dem ewigen blauschwarzen Stoppelbart auf den Wangen. Und er fragte sich, ob er wirklich die Zeit ubersprungen und sich irgendwo im Jahre 1999 niedergelassen hatte.

Die Pomraths sahen einander einen Moment lang schweigend an. Dann sagte Helaine: »Sag mir eines, Norm. Es ist nur eine Annahme, sonst nichts. Ein Mann tritt an dich heran und behauptet, er kenne sich mit den Zeitreisen aus … Was wurdest du sagen, wenn er dir vorschlagt, in die Vergangenheit zu gehen und alles liegen und stehen zu lassen?«

Pomrath uberlegte. »Ich wurde nein sagen. Ich meine, es ware doch schandlich, Frau und Familie im Stich zu lassen. Bud Wisnack mag das ja machen, aber ich konnte mich meinen Pflichten nicht so einfach entziehen, Helaine.«

Ihre graublauen Augen glitzerten. Sie lachelte, als wollte sie sagen: Mir kannst du nichts vormachen! Dann meinte sie: »Das ist sehr schon gesagt, Norm. Aber ich glaube, du wurdest es doch tun.«

»Du kannst glauben, was du willst. Es ist auch egal, weil das Ganze nicht existiert. Ich gehe jetzt zur Maschine. Ich werde die Tasten einmal energisch drucken. Wer wei?? Vielleicht sitze ich noch eines Tages neben Joe in Klasse Sieben.«

»Moglich«, sagte Helaine. »Wann kommst du zuruck?«

»Spater.«

»Norm, bleibe nicht zu lange in der Traumbar. Ich mag es nicht, wenn du dich zu sehr in das Traumzeug hineindenkst.«

»Ich gehore zu den Massen«, erklarte er. »Die Massen brauchen ihr Opium.«

Er legte die Hand auf die Tur, und sie ging mit einem schnurrenden Gerausch auf. Das Ganglicht brannte schwach. Fluchend suchte sich Pomrath seinen Weg zum Lift. In den Hausern der Klasse Sieben waren die Ganglichter nicht so sparsam. Er hatte Joe Quellen besucht. Freilich nicht oft. Sein Schwager wollte nichts mit Proleten zu tun haben, auch wenn sie zu seiner Verwandtschaft gehorten. Aber Pomrath hatte sich umgesehen. Quellen fuhrte ein verdammt feines Leben. Und was war er schon? Was konnte er? Er war ein Burohocker, ein Federfuchser. Joe Quellens Arbeit konnte von jedem Komputer besser erledigt werden.

Duster starrte Pomrath in das Oval des Lifts. Es gab sein Spiegelbild verzerrt wieder. Er war ein untersetzter, breitschultriger Mann Anfang Vierzig, mit buschigen Augenbrauen und muden, traurigen Augen. Das Spiegelbild machte ihn noch alter, als er war. Mehr Zeit mu?te man haben, dachte er, wahrend ihn der Lift an die Erdoberflache brachte.

Du hast deine Wahl aus freiem Willen getroffen, sagte er sich vor. Du hast Helaine Quellen geheiratet. Du hast die erlaubten zwei Kinder. Du hast dir deinen Beruf ausgesucht. Und nun sitzt du mit drei Personen in einem Zimmer, und deine Frau ist dunn geworden, und du siehst sie nicht an, wenn sie nackt ist, um ihr nicht auf die

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