dauert das endlos, und er kennt jeden, dessen Mutter, Gro?mutter oder Schwester sich’s jemals einfallen lie?, durch Poona zu reisen.«

Dies ereignete sich im Herbst 1944. Im Spatfruhling des Jahres 1946 empfing Hercule Poirot einen Besuch.

Hercule Poirot sa? an einem heiteren Maimorgen vor seinem aufgeraumten Schreibtisch, als sein Diener George sich naherte und mit ehrerbietig leiser Stimme meldete:

»Eine Dame wunscht Sie zu sprechen, Sir.«

»Was fur eine Art Dame?«, erkundigte sich Poirot, den die minuziosen Schilderungen Georges stets amusierten.

»Sie durfte zwischen vierzig und funfzig sein, Sir, nicht sehr elegant, mit einem sozusagen kunstlerischen Anflug in der Erscheinung. Derbe Halbschuhe, ein Tweedkostum, aber eine Spitzenbluse. Um den Hals eine exotische, mehrreihige Kette und uberdies einen pastellblauen Seidenschal.«

Poirot schuttelte sich leicht.

»Ich spure kein gro?es Verlangen, diese Dame zu sehen«, erklarte er.

»Soll ich sagen, Sie fuhlten sich nicht wohl?«, erkundigte sich George.

Poirot musterte seinen Diener nachdenklich.

»Sie haben ihr doch vermutlich bereits angedeutet, dass ich in eine au?erst wichtige Arbeit vertieft bin und keinesfalls gestort werden darf, wie ich Sie kenne, George.«

George hustelte und verzichtete auf jede direkte Antwort.

»Sie kame extra vom Land herein, sagte sie, und es mache ihr nichts aus zu warten.«

Poirot seufzte.

»Gegen das Unvermeidliche zu kampfen, ist sinnlos«, beschied er. »Wenn eine Dame fortgeschrittenen Alters und geschmuckt mit exotischen Halsketten es sich in den Kopf gesetzt hat, den beruhmten Hercule Poirot zu sprechen, und zu diesem Zweck extra eine Reise unternommen hat, wird nichts sie hindern konnen, ihr Vorhaben auszufuhren. Sie wird in der Halle sitzen und sich nicht vom Fleck ruhren. Also fuhren Sie sie lieber gleich herein.«

George zog sich zuruck und kam gleich darauf wieder, um wurdevoll zu verkunden:

»Mrs Cloade.«

Mit wehendem Schal, die Ketten bunter Perlen in klirrender Bewegung, fegte eine Gestalt in abgetragenem Tweedkostum zur Tur herein, Hercule Poirot beide Hande entgegenstreckend.

»Monsieur Poirot, spiritistische Erleuchtung hat mir den Weg zu Ihnen gewiesen«, verkundete sie, ohne zu zogern.

Poirot blinzelte leicht irritiert.

»Vielleicht nehmen Sie erst einmal Platz, meine Verehrteste, und sagen mir – « Er kam nicht weiter.

»Durch automatisches Schreiben, Monsieur Poirot, und durch Klopfzeichen. Madame Elvary (Ach, was fur eine wundervolle Person sie ist!) und ich, wir befragten gestern den Tisch. Und immer wieder kamen die gleichen Buchstaben. H. P. H. P. H. P. Naturlich begriff ich nicht sofort die Bedeutung. Das geht nicht so im Handumdrehen. Leider ist uns armen Wesen in diesem Erdental der wahre Durchblick nicht gegeben. Ich zerbrach mir den Kopf, was diese Initialen bedeuten konnten, auf wen in meinem Bekanntenkreis sie passten. Naturlich musste eine bestimmte Verbindung mit unserer letzten Sitzung vorhanden sein, ach, und was fur eine wichtige und aufregende Sitzung das war! Ich kaufte mir die Picture Post, und da haben Sie wieder ein untrugliches Zeichen spiritistischer Eingebung, denn sonst kaufe ich immer den New Statesman, und kaum hatte ich die Zeitung aufgeschlagen, sah ich Ihr Bild! Ihr Bild und eine genaue Beschreibung Ihrer au?erordentlichen Erfolge. Ist es nicht wunderbar, wie alles, alles in diesem Leben einen bestimmten Zweck verfolgt? Sind Sie nicht auch dieser Meinung? Ganz offensichtlich haben die Geister Sie dazu auserkoren, Licht in diese Angelegenheit zu bringen.«

Poirot beobachtete seinen seltsamen Besuch nachdenklich. Was sonderbarerweise seine Aufmerksamkeit am meisten fesselte, waren die schlauen Auglein der Frau. Sie verliehen dem wirren Gerede einen beklemmenden Nachdruck.

»Darf ich fragen, Mrs Cloade – «, hub Poirot an und hielt dann stirnrunzelnd inne. »Mir ist, als hatte ich den Namen schon einmal gehort.«

Sie nickte lebhaft.

»Naturlich. Mein armer Schwager – Gordon. Wahnsinnig reich und sehr oft in den Zeitungen erwahnt. Er starb infolge eines Luftangriffs vor gut anderthalb Jahren. Es war ein schrecklicher Schlag fur uns alle. Mein Mann ist ein jungerer Bruder von Gordon. Er ist Arzt, Dr. Lionel Cloade…« Sie fuhr mit verhaltener Stimme fort. »Er hat naturlich keine Ahnung davon, dass ich Sie aufsuche. Er ware sehr dagegen. Arzte neigen im Allgemeinen zu einer mehr materialistischen Einstellung. Spiritismus scheint ihnen vollig wesensfremd zu sein. Sie vertrauen ihr Schicksal der Wissenschaft an. Aber was – frage ich – kann die Wissenschaft schon? Was ist die Wissenschaft uberhaupt?«

Auf diese Frage schien es fur Hercule Poirot keine andere Antwort zu geben, als Mrs Cloade einen ausfuhrlichen Vortrag zu halten uber das Leben und Wirken so gro?er Personlichkeiten wie Pasteur, Lister, Koch, Edison und uber die wohltuende Annehmlichkeit des elektrischen Lichts wie hundert anderer nicht minder Epoche machender Erfindungen. Doch das war selbstverstandlich nicht die Antwort, die Mrs Lionel Cloade zu horen wunschte. Genau betrachtet erheischte ihre Frage, wie so viele Fragen, uberhaupt keine Antwort. Sie war rein rhetorisch.

Hercule Poirot begnugte sich daher mit der nuchternen Erkundigung:

»Und in welcher Angelegenheit suchen Sie meine Hilfe, Mrs Cloade?«

»Glauben Sie an das Vorhandensein einer Geisterwelt, Monsieur Poirot?«

»Ich bin ein guter Katholik«, erwiderte Poirot ausweichend.

Mrs Cloade tat den katholischen Glauben mit einem nachsichtigen Lacheln ab.

»Blind!«, stellte sie fest. »Die Kirche ist blind, in Vorurteilen befangen und nicht imstande, die Schonheit jener Welt, die jenseits unseres Erdendaseins unser harrt, zu erkennen.«

»Um zwolf Uhr habe ich eine wichtige Besprechung«, bemerkte Hercule Poirot.

Mrs Cloade lehnte sich vor; sie hatte den Hinweis verstanden.

»Ich will zur Sache kommen. Ware es Ihnen moglich, eine verschollene Person aufzuspuren, Monsieur Poirot?«

Poirots Brauen schoben sich in die Hohe.

»Vielleicht«, erwiderte er vorsichtig. »Nur kann die Polizei in solchen Fallen von weit gro?erer Hilfe sein als ich. Ihr steht der notige Apparat zur Verfugung.«

Mrs Cloade tat die Polizei mit dem gleichen nachsichtigen Lacheln ab, das sie fur die katholische Kirche ubrig gehabt hatte.

»Nein, Monsieur Poirot. Die Stimmen aus der Geisterwelt haben mich zu Ihnen gefuhrt, nicht zur Polizei. Horen Sie gut zu. Ein paar Wochen vor seinem Tod hat mein Schwager geheiratet. Eine junge Witwe, eine gewisse Mrs Underhay. Der erste Mann dieser Mrs Underhay soll in Afrika gestorben sein. Schrecklich fur die junge Frau, finden Sie nicht? Sie erhielt aus Afrika einen Bericht uber den Tod ihres Mannes. Ein geheimnisvolles Land – Afrika.«

»Ein geheimnisvoller Erdteil«, berichtigte Poirot sachlich. »Welcher Teil Afrikas war – «

»Zentralafrika«, fiel Mrs Cloade eifrig ein. »Wo die Voodoos und die Zombies – «

»Die Zombies sind in Westindien beheimatet«, wandte Poirot ein, doch nahm Mrs Cloade hiervon keine Notiz.

»– die schwarze Magie, seltsame Sitten und Gebrauche daheim sind«, fuhr sie mit dramatisch erhobener Stimme fort. »Ein von Geheimnissen umwobenes Land, in dem ein Mann untertauchen konnte, ohne die geringste Spur zu hinterlassen.«

»Moglich, moglich«, gab Poirot zu. »Aber das Gleiche trifft auch auf Piccadilly Circus zu.«

Mrs Cloade tat Piccadilly als nicht zur Sache gehorig ab.

»Zweimal haben wir in jungster Zeit die Botschaft eines Geistes erhalten, der sich selbst Robert nennt. Nicht tot… Die Botschaft sturzte uns zunachst in schreckliche Verwirrung. Wir konnten uns an keinen Robert erinnern. Wir baten um einen helfenden Hinweis, und da wurden uns die Buchstaben R. U. ubermittelt. Erzahle R. hie? es weiter. Wir sollen Robert berichten?, erkundigten wir uns. Nein, hie? es, ihr sollt von Robert berichten. Wir standen noch immer vor einem Ratsel. Was soll denn das U

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